Hans-Heinrich Dieter

Hohle Strukturen   (10.02.2024)

 

Seit 2015 berichten deutsche Medien vermehrt über „Hohle Strukturen“ in der Bundeswehr. Und der am 14. März 2023 veröffentlichte Wehrbericht 2022 der Wehrbeauftragten macht die schwierige Lage der Bundeswehr  zusammenfassend sehr deutlich.

Die Bundeswehr wurde nach 1990 – aber hauptsächlich in den schwierigen 16 Merkel-Jahren – zum Sanierungsfall kaputtgespart. Die Landes- und Bündnisverteidigung wurde nicht mehr ernst genommen und so wurden die Streitkräfte für Auslandseinsätze konditioniert. Die 2014 mit der NATO vereinbarte jährliche Investition in die jeweilige Verteidigungsfähigkeit in Höhe von 2% vom Brutto-Inlands-Produkt (BIP) wurde von Deutschland in den vergangenen Jahren nie - und mit dem Verteidigungshaushalt 2024 erstmalig nur unter Rückgriff auf „Tricks“ - geleistet. Die deutschen Streitkräfte sind deswegen in der Landes- und Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien derzeit nicht einsatzfähig.

Putins verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Lage in Europa dramatisch verändert. Nun ist es richtig und sehr wichtig, sich nach dieser „Zeitenwende“ mit der Landes- und Bündnisverteidigung im NATO-Rahmen zu befassen, denn es geht ja um nicht weniger als um eine „strategische Neuorientierung der Bundeswehr“. Es geht real um drei Divisionen des Heeres, große Teile der Kampf- und Transportflugzeugflotte, der Helikopter, Kriegsschiffe und Boote der deutschen Streitkräfte. Die sollen bis Ende 2031 vollumfänglich aufgestellt und ausgerüstet ohne große Vorwarnzeit gegen einen konventionell hochgerüsteten Gegner einsatzbereit sein. Und mit diesen Zielvorstellungen sieht sich Deutschland als geografisch zentrales und wirtschaftlich leistungsfähiges Land als Kern der Verteidigungsfähigkeit Europas. Da hat sich die bis vor kurzem noch naiv- pazifistisch eingestellte Bundesrepublik sehr viel vorgenommen. Und deswegen bleibt abzuwarten, welche konkreten politischen Konsequenzen gezogen werden, um diese Ankündigungen in die Tat umzusetzen!

Seit dem Ausrufen der „Zeitenwende“ durch Bundeskanzler Scholz hat sich aber nicht viel getan. Es wurden richtige und wichtige Strukturveränderungen geplant und teilweise durchgesetzt. Das Beschaffungswesen der Bundeswehr ist allerdings unverändert zu wenig leistungsfähig. Die Bundeswehr ist weiterhin ziemlich „blank“ und wird durch die Waffenlieferungen an die Ukraine noch blanker. Und nicht nur die Ukraine leidet unter Munitionsmangel, denn die Bundeswehr ist ebenfalls sehr stark unterversorgt. Und es wird nach derzeitigem Stand länger dauern als bis 2031, um die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte nach NATO-Kriterien wiederherzustellen.

Und inzwischen hat auch die NATO erkannt, dass Deutschland derzeit die Mindeststandards einer Einsatzfähigkeit in der Landes- und Bündnisverteidigung nicht erfüllt. Am Beispiel Heer: Wir haben zu wenig Kampftruppen-Bataillone, die Artillerie-Unterstützung ist schwach ausgelegt, die Luftnahunterstützung ist unzureichend gewährleistet und wenn Deutschland zum Beispiel eine Schnelle Eingreiftruppe für die NATO stellen und führen muss, dann muss Bewaffnung und Material aus dem ganzen Heer zusammengezogen werden und die Führungsfähigkeit ist auf dem neuesten Stand der Informations-Technologie nicht gewährleitet. Und für den Einsatz fehlt Munition in großen Stückzahlen. Die Luftwaffe hat teilweise veraltete Kampfflugzeuge und insgesamt einen nicht zufriedenstellenden Klarstand. Die Marine leidet sehr stark unter Fachkräftemangel, der Teile der Flotte in den Häfen hält. Und auch Luftwaffe und Marine leiden unter Munitionsmangel. Das führt zu Zweifeln der Partner an der Zuverlässigkeit Deutschlands und zu Vertrauensverlust.

Besonders gravierend wirkt sich die Personalnot aus. „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig!“ Und deswegen kämpfen die Soldatinnen und Soldaten täglich mit dem Mangel. Das macht die Truppe weniger attraktiv und das ist mit ein Grund für die sehr hohe „Absprungrate“ im ersten halben Jahr der Ausbildung und das verhindert den dringend erforderlichen Aufwuchs von gut qualifiziertem Personal. Nach der Wehrbeauftragten hat die Personalstärke der Bundeswehr zum Ende des Jahres 2022 bei knapp über 183.000 gelegen - und damit unter dem Niveau von 2021 und deswegen sei es noch „ein langer Weg“ bis zur Erreichung der Zielmarke 203 000 im Jahr 2031. Da kann man mit Fug und Recht von „hohlen Strukturen“ sprechen! Deswegen muss die Bundeswehr als Arbeitgeber durch verbesserte Rahmenbedingungen des militärischen Dienstes attraktiver werden. Vielleicht hilft da eine Allgemeine Dienstpflicht.

Aufgrund dieser Lage und der „Zeitenwende“ wurde für die Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro gesetzlich verankert, um die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte für die Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien bis 2031 wiederherzustellen. Die diesbezüglichen Vertragsabschlüsse werden bisher nur sehr zögerlich geleistet, es geht alles viel zu langsam, vom „Deutschland-Tempo“, das Scholz gerne propagiert, ist bisher nichts zu sehen. Außerdem hat der Kanzler versprochen, dass Deutschland in Zukunft mindestens die mit der NATO vereinbarten 2 Prozent vom BIP in die Verteidigungsfähigkeit investieren wird – und hat schon mit der Entscheidung zum Verteidigungshaushalt 2023 versagt.

Verteidigungsminister Pistorius hat vor den Eckwerteverhandlungen zum Haushalt 2024 wohlbegründet einen Aufwuchs von mindestens 10 Milliarden Euro für Verteidigungsinvestitionen gefordert, um der kaputtgesparten Bundeswehr allmählich auf die Füße zu helfen. Er hat sich, wie wir seit den Entscheidungen zum Bundeshaushalt 2024 wissen, nicht durchgesetzt! Und darüber hinaus hat er auch nicht erreicht, dass der reguläre Verteidigungshaushalt 2% vom BIP für Verteidigungsinvestitionen ermöglicht, ohne auf das Sondervermögen zurückzugreifen. Denn das im Gesetz verankerte Sondervermögen sollte nur für neue Rüstungsprojekte verwendet werden.

Nun ist der reguläre Verteidigungshaushalt in Höhe von rund 52 Milliarden Euro entschieden. Und man hat erwirkt, dass der Verteidigungshaushalt aus dem Sondervermögen mit ca. 21 Milliarden Euro aufgestockt werden kann. Damit hat der Einzelplan 14 einen Umfang von 73 Milliarden Euro. Mithilfe dieses Tricks erreicht die Bundesregierung in diesem Jahr erstmals die NATO-Zielvorgabe, jährlich mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Allerdings wird das Geld nicht wie ursprünglich gedacht nur für neue Rüstungsprojekte verwendet. Und um zum Beispiel die dringend benötigte Munition auch aus diesen Mitteln finanzieren zu können, musste extra das Gesetz geändert werden.

Wenn der „Trick“ im Laufe der mittelfristigen Finanzierung des Einzelplans 14 bis 2027 angewandt wird, ist das Sondervermögen bis Ende 2027 aufgebraucht. Danach müsste der Verteidigungshaushalt jährlich regulär um mindestens 20 Milliarden Euro aufgestockt werden, um die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der deutschen Streitkräfte nach NATO-Kriterien bis 2031 gewährleisten zu können. Und das müssen wir leisten, um in der NATO sowie der EU vertrauenswürdig zu bleiben und um die jüngste Feststellung unseres Generalinspekteurs Breuer: „Deutschland ist das Rückgrat der Verteidigung Europas“ Wirklichkeit werden zu lassen!

Da mahnt Verteidigungsminister Pistorius zurecht, dass Deutschland kriegstüchtig werden müsse. Und Generalinspekteur Breuer verschärft die Aussage aufgrund der Kriegs- und Krisenlage in Europa in einem Interview mit der WELT: „In fünf Jahren müssen wir kriegstüchtig sein.“ Das wird wohl nicht zu schaffen sein, denn so schnell arbeitet die Rüstungsindustrie nicht und zur Kriegstüchtigkeit gehört ja nicht nur die Bundeswehr, sondern die ganze Bevölkerung. Und die Gesellschaft zeigt sich eher kriegsmüde. Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung will mehr als die Hälfte der deutschen Bürger, dass sich Deutschland bei internationalen Krisen stärker zurückhält. Nur zwölf Prozent setzen auf mehr militärisches und neun Prozent auf mehr finanzielles Engagement. Und 71 Prozent der Befragten spricht sich gegen eine militärische Führungsrolle der Bundesrepublik in Europa aus. Ganz offensichtlich ist es bisher nicht gelungen, der Bevölkerung klarzumachen, dass der Neo-Stalinist Putin ein Kriegsverbrecher und Lügner ist, der vor weiteren Angriffskriegen nicht zurückschreckt, wenn er Erfolge hat. Den Bürgern ist nicht klar, dass es in nicht allzu langer Zeit um den Erhalt unserer Demokratie und unser Leben in Freiheit geht, wenn es der NATO mit einem kriegstüchtigen Deutschland nicht gelingt, den widerlichen Aggressor Putin durch Verteidigungsfähigkeit abzuschrecken.

Die NATO steht zusammen mit der EU und Deutschland vor einer Herkulesaufgabe, um glaubwürdige Abschreckung unter Berücksichtigung einer eingeschränkt wirkungsvollen Großmacht USA wieder vollständig herzustellen. Das wird Milliarden kosten und braucht eine patriotische Gesellschaft, die unsere Werte erhalten will und bereit ist, unser Recht und unsere Freiheit zu verteidigen.

Der Beitrag zur „Kriegstüchtigkeit“ muss als Bürgerpflicht verstanden werden!

(10.02.2024)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

https://www.hansheinrichdieter.de/html/wehrbericht2022.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/sanierungsfallbw-2.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/2prozentvombip.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/verteidigungshaushalt2024.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/allgemeinedienstpflicht-3.html

 

 

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