Hans-Heinrich Dieter

Europäischer “Führer” Scholz?   (30.08.2022)

 

Bundeskanzler Scholz versucht sich als europäischer „Führer“ und hat an der Karls-Universität in Prag ein „neues Europa“ entworfen. Dabei zeigte er sich weitaus weniger eloquent und konkret als Macron 2017 an der Pariser Sorbonne. Der französische Präsident hatte damals die „Neugründung“ eines souveränen, demokratischen und vereinigten Europas gefordert. Und konkret sprach er sich unter anderem für ein gemeinsames Budget für die Euro-Länder, einen gemeinsamen EU-Verteidigungsetat sowie eine europäische Interventionstruppe und einheitliche Regeln für Auslandseinsätze aus. Im Zusammenhang mit der immer wieder diskutierten Erweiterung der EU plädierte er für die Idee einer „Europäischen Politischen Gemeinschaft“, in der auch die Länder auf dem Kontinent ihren Platz finden sollen, die nicht Mitglied der EU sind. In den vergangenen 5 Jahren wurde keine der Visionen auch nur ansatzweise realisiert!

Scholz will die Europäische Union größer, handlungsfähiger sowie schlagkräftiger machen und dafür das Einstimmigkeitsprinzip aufgeben. Aus seiner Sicht müsse das ganze Konzept Europa erneuert werden. Denn der Druck auf Europa werde wachsen, und zwar unabhängig vom derzeitigen Krieg Russlands mit der Ukraine: „In einer Welt mit acht, künftig wohl mit zehn Milliarden Menschen ist jeder einzelne unserer europäischen Nationalstaaten für sich genommen viel zu klein, um allein seine Interessen und Werte durchzusetzen.“ Deswegen macht er auch Vorschläge für die künftige Sicherheitspolitik der EU und schlägt für deren Verteidigung vor, dass der EU-Rat auch als „europäischer Sicherheitsrat“ tagt. Das bedeutet dann, dass die Staats- und Regierungschefs künftig auch über militärische Maßnahmen beraten. Aus der „Wirtschaftsunion“ würde so eine „Verteidigungsunion“. Mit der NATO will Scholz zwar noch enger zusammenarbeiten, aber dennoch soll ein „eigenständiger Rat der EU-Verteidigungsminister“ gegründet werden. Bis 2025 soll es außerdem eine „Schnelle Eingreiftruppe der EU“ und ein „EU-Hauptquartier“ geben. Und Scholz sprach sich auch dafür aus, für Europa ein neues Luftverteidigungssystem zu schaffen und die Verteidigungsfähigkeit der Union zu stärken.

Im Zusammenhang mit der Erweiterung der EU greift Scholz Macrons Idee von einer „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ auf und meint, die Staats- und Regierungschefs aller europäischen Länder könnten sich ja in der Tat regelmäßig treffen. Nur eine Alternative zur Mitgliedschaft der Balkanländer sei das nicht. Denn Bundeskanzler Scholz stellt sich eine geopolitische EU aus 27, 30 oder 36 Staaten vor, mit dann mehr als 500 Millionen freien und gleichberechtigten Bürgerinnen und Bürgern, mit dem größten Binnenmarkt der Welt, mit führenden Forschungseinrichtungen und innovativen Unternehmen, mit stabilen Demokratien, mit einer sozialen Versorgung und einer öffentlichen Infrastruktur, die ihresgleichen sucht auf der Welt! Und deswegen plädiert Scholz für die baldige EU-Erweiterung durch die Westbalkan-Staaten: „Denn wir stehen bei unseren Beitrittskandidaten im Wort – bei den Ländern des Westlichen Balkans sogar schon seit fast 20 Jahren.“ Und er geht so weit, dass er auch den möglichst baldigen Beitritt der Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens erwähnt – wenn sie die Beitrittsvoraussetzungen erfüllen.

So weit zu den wesentlichen Aspekten des in Scholzmanier vorgelesenen Rundumschlags, der viel Bekanntes aufgriff und wenig Konkretes im Hinblick auf die Realisierung enthielt. Und Scholz hat sich einmal mehr als sehr „vergesslich“ gezeigt, denn das Programm sah eine Aussprache mit den in der Karls-Universität anwesenden Studenten vor. Dazu kam es nicht, weil Scholz nur kurz den Dank der Rektorin entgegennimmt, dann die Aula verlässt und zum tschechischen Premierminister fährt. Vielleicht war ihm ja auch der Applaus zu dürftig. Die Jugend Europas hat er so sicher nicht gewonnen und der Zukunft der EU eher geschadet als gedient!

Es bleibt abzuwarten, was aus der Fülle der Ankündigungen realisiert wird – wohl wenig bis nichts. Denn wann sind den vielen Ankündigungen der EU-Verantwortlichen wirkungsvolle Taten gefolgt?

Die Realität lässt auch die Realisierung von teilweise illusorischen „Visionen“ nicht zu. Denn die EU bleibt wahrscheinlich außen- und sicherheitspolitisch handlungsunfähig und es ist und bleibt eine Illusion, in Kategorien einer „sicherheitspolitischen Autarkie“ Europas zu träumen. Es wird mittelfristig keine wirksame „Europäische Verteidigungsunion“ geben, weil dafür die nukleare Zweitschlagskapazität fehlt! 21 EU-Mitglieder sind auch NATO-Staaten. Deswegen sollte es zu einer engen, möglichst vertraglich abgesicherten EU-NATO-Kooperation kommen, die in zukünftigen Krisen eine gute Zusammenarbeit wie in der Russland-Krise garantiert. Eine enge EU-NATO-Kooperation erhöht die Wahrscheinlichkeit unseres zukünftigen Lebens in Freiheit. Kurz, derzeit gibt es keine bessere Organisation für die Bündnisverteidigung der westlichen Welt als die NATO! Und was wir deswegen auch nicht brauchen, ist eine „Führungsrolle“ Deutschlands in Europa, denn dafür ist Deutschland bisher zu wenig engagiert und vertrauenswürdig!

Was wir in diesen schwierigen Zeiten nicht brauchen, sind kostspielige Doppelstrukturen, denn alle für die Wehrhaftigkeit der demokratischen Welt verfügbaren finanziellen Mittel werden für die Modernisierung und die Wiederherstellung der Kalt-Start-Einsatzfähigkeit der Streitkräfte der NATO-Mitgliedstaaten für die Bündnisverteidigung gebraucht. Die NATO hat eine bewährte und einsatztaugliche Führungsstruktur und wir haben leistungsfähige „Schnelle Eingreiftruppen“ der NATO. Und in diese Struktur muss auch eine erweiterte und gestärkte Luftverteidigung in Europa voll integriert werden.

Statt Illusionen nachzuhängen, sollte die EU zusammen mit der NATO in der „Zeitenwende“ die Ukraine so unterstützen, dass ein Sieg Putins verhindert wird und die militärische Lage sich so entwickelt, dass es zu einem baldigen Waffenstillstand kommt und Friedensverhandlungen beginnen können, die für beide Seiten zu annehmbaren Kompromissen führen. Mehr wird nicht gehen!

Und im Hinblick auf die Erweiterung der EU muss man feststellen, dass die Union schon heute einige untaugliche Mitglieder zu viel hat. Die EU muss handlungsfähig werden und das erfordert eine grundlegende Strukturreform. Eine Erweiterung ohne Strukturreform auf bis zu 36 Mitgliedstaaten zerstört die EU. An die Stelle des Beitrittsprozesses für die Türkei zum Beispiel, sollte die Erarbeitung eines Vertrages treten, der die zukünftige politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem für Europa durchaus wichtigen Pufferstaat zu Asien und der arabischen Welt grundlegend regelt. Und ein solches Verfahren muss auch bei anderen Beitrittskandidaten - wie den Westbalkan-Staaten - angewandt werden, die aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen absehbar keine realistische Chance haben, mittelfristig Vollmitglieder der EU zu werden. Ein solches Verfahren ist ehrlicher, erspart der jeweiligen Bevölkerung Enttäuschungen und ermöglicht sehr viel früher eine für beide Seiten fruchtbringende Zusammenarbeit.

Ja, wir stehen bei den Ländern des Westlichen Balkans schon seit fast 20 Jahren im Wort – aber diese Staaten haben es auch in dieser Zeit nicht geschafft, die Beitrittsvoraussetzungen zu erfüllen. Diese Staaten dürfen nicht von der EU, sondern müssen von sich selbst enttäuscht sein und entsprechend handeln. Es darf auch in Zukunft keine „Expressbeitritte“ geben!

Die EU ist für unser selbstbestimmtes Leben in Frieden und Freiheit zu wichtig, um kaputterweitert zu werden!

(30.08.2022)

 

Bei Interesse an der Thematik lesen Sie auch:

https://www.hansheinrichdieter.de/html/ampel-kanzlerscholz.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/europbeitragzurnato.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/euvorderzerreissprobe.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-zunkunftskonferenz.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/deutschefuehrungsrolle.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/ohnestrategie.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/macronundeuropa.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/hochstaplerischerillusionist.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte