Hans-Heinrich Dieter

Europäischer Beitrag zur NATO   (04.07.2022)

 

Der völkerrechtswidrige und kriegsverbrecherische Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat den Frieden in Europa beendet und die westlichen Demokratien zu einer realpolitischen Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik veranlasst. Dieser Kehrtwende entspricht das beim jüngsten Gipfeltreffen der NATO in Madrid beschlossene neue strategische Konzept für das transatlantische Verteidigungsbündnis.

Der Neo-Stalinist Putin hat mit seinen Aggressionen gegen die Ukraine, mit seinen ultimativen Forderungen an die westlichen Demokratien, sich aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zurückzuziehen, und mit seinen Drohungen in Bezug auf eine mögliche Norderweiterung der NATO das Verteidigungsbündnis geeint und zum Handeln gebracht. Die Ostflanke des Bündnisses wird deutlich verstärkt, die schnell verfügbaren Truppenteile mit hoher Einsatzbereitschaft werden deutlich aufgestockt, die Norderweiterung mit Schweden und Finnland wird Realität werden und vor allem wurde die amerikanische Truppenpräsenz in Europa mit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine deutlich erhöht. Die NATO demonstriert glaubwürdige Verteidigungsbereitschaft - mit dieser NATO können wir auch zukünftig in Freiheit leben!

Wir Europäer dürfen uns allerdings nicht entspannt zurücklehnen. Denn seit dem sehr energischen Engagement der USA im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg geht man davon aus, dass die USA etwa 70 Prozent der militärischen Fähigkeiten für eine glaubhafte Abschreckung in Europa zur Verfügung stellen, während die übrigen 29 NATO-Mitgliedstaaten derzeit gerade einmal ca. 30 Prozent beitragen können, denn nicht nur die Bundeswehr hat für die NATO-Bündnisverteidigung augenblicklich nur eine eingeschränkte Einsatzfähigkeit, große Defizite gibt es auch bei den anderen europäischen Partnern.

Die deutschen Möglichkeiten machen das Problem deutlich. Die mechanisierte Division der Bundeswehr mit bis zu zwei Kampfbrigaden für die NATO-Eingreiftruppe und die zugesagten 65 Kampflugzeuge sowie 20 Marineeinheiten können wohl erst 2025/26 verfügbar gemacht werden. Und der Aufwuchs der deutschen Streitkräfte für die Einsatzbereitschaft in der Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien wird sich bis 2031 hinziehen - wenn alles nach Plan läuft, das Sondervermögen voll umfänglich verfügbar bleibt und die mittelfristige Finanzplanung sich konsequent am NATO-Zwei-Prozent-Ziel orientiert.

Und Deutschland ist nicht der einzige außenpolitische Zwerg und sicherheitspolitische Trittbrettfahrer unter den europäischen NATO-Mitgliedern, denn bei anderen NATO-Partnern ist es sowohl um die Einhaltung des NATO-Zwei-Prozent-Ziels für die Verteidigungsinvestitionen als auch um die Verfügbarkeit von schnell verfügbaren Großverbänden mit der Befähigung zur Führung von Gefechten der verbundenen Waffen nicht allzu gut bestellt.

Alle europäischen NATO-Mitglieder müssen also unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die geplante Verteidigungsfähigkeit schnellstmöglich herstellen und zur glaubhaften Abschreckung des aggressiven Russlands beitragen zu können. Diese gemeinsame Anstrengung der europäischen NATO-Mitglieder ist unabdingbar, weil der sicherheitspolitische Schwerpunkt der USA sich nach dem Ukraine-Krieg in den Indo-Pazifik verlagern und der Schwerpunkt des amerikanischen NATO-Beitrages auf der nuklearen Abschreckung liegen wird.

Die EU hingegen bleibt wahrscheinlich außen- und sicherheitspolitisch handlungsunfähig und es ist und bleibt eine Illusion, in Kategorien einer „sicherheitspolitischen Autarkie“ Europas zu träumen. Es wird mittelfristig keine „Europäische Verteidigungsunion“ geben! Deswegen gibt es seit dem russischen Angriff auf die Ukraine in Brüssel eine klare Arbeitsteilung. Die NATO kümmert sich zusammen mit den USA um die Abschreckung und um die Freiheit sowie Sicherheit ihrer Bündnismitglieder – Bündnisverteidigung ist also derzeit ausschließliche Aufgabe der NATO - während die EU Russland mit Sanktionen unter Druck setzt sowie humanitäre Hilfe für Vertriebene organisiert – mehr geht auch nicht, weil die militärische Kompetenz der EU auf kleinere Kriseneinsätze im UN-Auftrag beschränkt ist. Kurz, derzeit gibt es keine bessere Organisation für die Bündnisverteidigung der westlichen Welt als die NATO!

Das sollten wir alle einfach dankbar zur Kenntnis nehmen, alle unsere NATO-Verpflichtungen baldmöglichst erfüllen, die NATO-Streitkräfte modernisieren sowie kompatibler und zukunftsfähig machen und darüber hinaus neue Herausforderungen wie Cyber-Abwehr und Kontrolle des Weltraums annehmen. Das erfordert zukünftig hohe Kraftanstrengungen der westlichen Welt. Wir brauchen keine Doppelstrukturen und wir müssen uns mit Vernunft den politischen Realitäten stellen.

Strategische Sicherheit können auf lange Zeit nur die USA mit ihrem Nuklearen Schutzschirm für Europa gewährleisten. Die Bündnisverteidigung der westlichen Demokratien wird auf lange Zeit nur durch eine Einsatzfähigkeit der Streitkräfte aller 30 Mitgliedstaaten geleistet werden können, dazu müssen alle Kraftanstrengungen gebündelt werden.

Deswegen sollte die EU versuchen, Garantien für den nuklearen Schutzschirm der USA festzuschreiben, solange Biden US-Präsident ist – die Zusagen der weiteren nuklearen Teilhabe Deutschlands kann da eine kleine Hilfe sein.

21 EU-Mitglieder sind auch NATO-Staaten. Deswegen sollte es zu einer engen, möglichst vertraglich abgesicherten EU-NATO-Kooperation kommen, die in zukünftigen Krisen eine gute Zusammenarbeit am Beispiel der Russland-Krise garantiert. Eine enge EU-NATO-Kooperation erhöht die Wahrscheinlichkeit unseres zukünftigen Lebens in Freiheit!

(04.07.2022)

 

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