Hans-Heinrich Dieter

Aus Fehlern lernen!   (27.08.2021)

 

Nach dem demütigenden Triumph der Taliban, der feigen Kapitulation der vom Westen ausgebildeten und ausgerüsteten 300 000 Sicherheitskräften und dem folgenden rapiden Zusammenbruch des afghanischen Staates, wird mit großer Berechtigung gefordert, dass der Afghanistaneinsatz der USA, der NATO und damit auch Deutschlands eingehend untersucht wird, um zukünftig solche personell und materiell sehr kostspieligen aber erfolglosen und demütigenden Einsätze zu vermeiden oder besser geplant und organisiert sowie mit strategischer Zielsetzung zum Erfolg zu führen.

Das Entsetzen des Westens über die Niederlage ist erstaunlich, denn immerhin ging es um Krisen- und Konfliktbewältigung in der muslimischen Welt. Und bisher hat die westliche Welt mit der muslimischen Welt fundamental schlechte Erfahrungen gemacht! Und die Katastrophe war für wirkliche Fachleute, die sich mit den gesellschaftlichen und religiösen Rahmenbedingungen in Afghanistan befasst haben, durchaus vorhersehbar.

In Afghanistan wollte der Westen unter Führung der USA nach 9/11 verhindern, dass von Afghanistan je wieder eine Terrorgefahr ausgeht und hat auch mit dem naiven Ziel militärisch interveniert, aus einer von der Staatsreligion Islam dominierten, sehr stark unterentwickelten, mittelalterlichen Clan- und Stammesgesellschaft eine rechtstaatliche „Westminster-Demokratie“ mit guter Staatsführung zu machen – und ist gescheitert. Und man darf einfach nicht außer Acht lassen, dass der Islam auch weiterhin eine wichtige Rolle in der afghanischen Politik spielen wird. Religiöser Fundamentalismus ist Teil des afghanischen Lebens – und auch innerhalb der bisherigen Regierung teilweise bestimmend. Und die Taliban werden auch deshalb von großen Teilen der Bevölkerung als legitime Bewegung wahrgenommen, weil ihre Anführer islamische Geistliche sind. Was die Taliban also als Gesellschaftsmodell vorschlagen, verstehen wir nicht, aber es entspricht durchaus den Forderungen eines wichtigen Teils der afghanischen Gesellschaft. Afghanistan will also nicht nach westlicher Façon selig werden und gegen Al-Kaida und die Taliban wurde vom Westen nicht konsequent und mit dem Ziel der Zerschlagung der Terrorgruppen, sondern ohne klares Konzept und ohne Einsatz der erforderlichen militärischen Kräfte Krieg geführt. So konnten die Taliban aus nördlichen Rückzugsgebieten und aus dem Volk – das die westlichen Truppen mehrheitlich als „Besatzer“ empfand - heraus ihren Guerrillakrieg gegen die Sicherheitskräfte aufnehmen und erfolgreich führen. Sogar der IS konnte sich in Afghanistan festsetzen!

Und so konnten die Taliban nach fast 20 Jahren massiven und kostenintensiven militärischen Einsatzes des Westens sowie humanitärer Unterstützung und wirtschaftlicher Investitionen über eine von der Mehrheit des Volkes nicht anerkannte Zentralregierung, die die Korruption nicht in den Griff bekam und die Ausweitung der Drogenproduktion zugelassen hat, triumphieren. Positive Perspektiven gibt es für die mittelfristige Zukunft nicht. Und der schlechte Trump-Deal mit den Taliban-Terroristen - ohne Einbeziehung der gewählten Zentralregierung und ohne hinreichende Absprachen mit den Verbündeten - war der „Sargnagel“ für das geschundene Land Afghanistan. Eine falsch konzipierte westliche Intervention in dem fundamentalislamischen Afghanistan und eine unzureichend konzipierte westliche Strategie der Terror- und Aufstandsbekämpfung sowie ein illusionsgetriebenes „Nationbuilding“ sind dramatisch – aber absehbar – gescheitert. Nun muss sich Afghanistan auch mit Unterstützung muslimischer Nachbarstaaten selbst aus dem Mittelalter befreien! Die islamistischen Terrorgruppierungen triumphieren weltweit mit den Taliban und spüren in ihrem Kampf gegen den „ungläubigen“ Westen Aufwind!

Im Irak haben die USA mit Unterstützung von Teilen der NATO völkerrechtswidrig interveniert und das Land in einen solch instabilen Zustand hineinmanövriert, dass man schon von einem failed state sprechen muss, der den Religionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten nicht bewältigen kann und deswegen immer mehr in die Abhängigkeit vom Iran gerät. Der Irak ist höchst instabil und will Wirtschafts-, Aufbau, und Ausbildungshilfe – vulgo unser Geld -, sieht die westlichen Truppen als „Besatzer“ und ist weit davon entfernt, eine Demokratie installieren zu wollen und zu können. Die USA und der Westen sind im Irak am Islam und an Iran gescheitert. Auch Deutschland leistet derzeit noch militärische Ausbildungsunterstützung, aber mit stark eingeschränktem Erfolg. Auch der muslimisch zerstrittene Irak muss sich absehbar mit Unterstützung der muslimischen Welt, allen voran die Arabische Liga, selbst helfen!

Im muslimischen Libyen haben Teile der westlichen Welt, hauptsächlich der NATO, mit dem unverantwortlich oberflächlichen Ziel „Gaddafi muss weg!“ militärisch interveniert und das Land in einen zerfallenden und kaum zu kontrollierenden Staat gebombt. In Libyen können, auch dank der westlichen Intervention, hochkriminelle muslimische Schleuser- und Schlepperbanden ihr lukratives Geschäft zum Nachteil der westlichen Welt ungehindert betreiben. Tragfähige staatliche Strukturen lassen auf sich warten, vielmehr wird das Land durch einen Bürger- und Stellvertreterkrieg auf nicht absehbare Zeit stark belastet sein. Den Berliner Libyen-Gipfeln sind bisher vor Ort keine positiven friedensstiftenden Maßnahmen gefolgt! Im muslimischen Libyen muss nicht die „ungläubige“ westliche Welt ständig unterstützen, sondern die UN und die Arabische Liga müssen Verantwortung übernehmen!

In Syrien hat die westliche Welt zunächst nicht interveniert, weil die untereinander zerstrittene Anti-Assad-Gemengelage aus Terrorgruppen unterschiedlicher muslimischer Ausprägung, Banden unterschiedlicher Ethnien, kurdischen Nationalisten, einflusslosen Rebellenorganisationen und dem „Islamischen Staat“ keine verlässliche Grundlage für Unterstützungsmaßnahmen geboten hat. Darüber hinaus kamen UN-Resolutionen im Weltsicherheitsrat nicht zeitgerecht zustande, weil Putin Assad unterstützte und durchaus ein Interesse daran hat, dass der Syrienkonflikt weitergeht und die muslimischen Flüchtlingsströme im westlichen Europa Instabilität erzeugen. Die westliche Koalition zur Bekämpfung des Islamischen Staates war durchaus wirksam, hat aber nicht zum Sieg über den IS geführt und sich mit dem nicht abgestimmten Rückzug der USA zum relativ zahnlosen Tiger entwickelt. Zum Versagen der westlichen Welt und zur Steigerung der Flüchtlingskatastrophe hat auch die völkerrechtswidrige Militärintervention der Türkei gegen syrische Kurden beigetragen. Eine falsch konzipierte westliche Intervention und eine unzureichend konzipierte westliche Strategie der Terrorbekämpfung sind auch in Syrien gescheitert. Das muslimische Syrien muss den Bürgerkrieg beenden und mit Unterstützung der Arabischen Liga eine tragfähige Zukunft gestalten!

Diese Beispiele machen sehr deutlich, dass westliche Interventionen in der muslimischen Welt nicht erfolgreich oder schlicht nicht möglich sind, trotz hoher Investitionen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen und am Ende die Unterstützer als ungläubige Besatzer und Feinde verachtet und bekämpft werden. Dazu kommt, dass der Islam und Demokratie nur schwer zu vereinbaren sind, wie das Beispiel Türkei zeigt. Der türkische Staatsgründer Atatürk hatte ein säkulares Gesellschaftssystem installiert mit strikter Trennung von Staat und Religion, um die Türkei an die westliche Welt heranführen zu können. Der islamistische Möchtegernsultan Erdogan hat diesen Ansatz zerstört und die Türkei mehr und mehr zur EU-untauglichen Autokratie umgebaut. Der jüngste Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention spricht Bände!

Wer vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen zum Beispiel die strukturell entscheidungs- und handlungsschwache sowie militärisch machtlose EU zu deutlich mehr globalem Interventionismus aufruft und so tut, als ob Europa in souveränen muslimischen Staaten das Kommando übernehmen und seine Hilfe aufzwingen könnte, um demokratische Strukturen nach unseren Wertvorstellungen zu realisieren, beurteilt die Lage zu schlicht und einfach falsch. Der Islam mit seinem Alleinvertretungsanspruch ist mit unseren demokratischen Vorstellungen nicht kompatibel und Muslime in Nahost und Afrika wollen ganz offenbar auch nicht nach westlichen Vorstellungen leben, das hat auch die Entwicklung des Arabischen Frühlings zur „Arabischen Eiszeit“ sehr deutlich gemacht. Muslime wollen unsere finanzielle Unterstützung oder als Migranten in unsere Sozialsysteme einwandern!

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland weiß das, und hat schon im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise 2015 festgestellt: „Die Europäische Union zahlt nun die Zeche für ihre fehlerhafte und zögerliche Politik während des Arabischen Frühlings in Nordafrika und Nahost.“ Denn während der Umbrüche in der arabischen Welt hätte es einen „Marschallplan für den Nahen Osten“ zur politischen und wirtschaftlichen Unterstützung der betroffenen Länder gebraucht. Stattdessen seien die Staaten sich selbst überlassen worden. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist wenigstens ehrlich, es geht nicht um Demokratie, sondern ausschließlich um unser Geld und um Wirtschaftshilfe!

Souveräne muslimische Staaten, die ernst genommen werden wollen, sind aber doch zunächst einmal für ihre Bevölkerung und deren Wohlergehen sowie positive Entwicklung selbst verantwortlich. Wenn sie Unterstützung brauchen, dann sollen sie gezielt darum bitten und Bedingungen, die mit der Unterstützung verbunden sind, akzeptieren. Die westliche Welt hat hier keine Bringschuld. Die muslimische Welt in Nahost und in Afrika hat sich zu großen Teilen in der Arabischen Liga und in der Afrikanischen Union organisiert. Diese Organisationen sind zuständig für Konfliktregelungen in den jeweiligen Regionen, sollten ihrer Verantwortung gerecht werden und alle Anstrengungen unternehmen, dass die Kriege und das Leid der Menschen beendet werden. Muslimische Flüchtlinge vor islamistischem Terror sollten in der islamischen Welt mit ähnlicher Kultur aufgefangen und versorgt werden. Flüchtlinge aufgrund von Religionskriegen unterschiedlicher muslimischer Glaubensrichtungen sollten in Ländern mit der von den Flüchtlingen gewünschten Glaubensrichtung aufgenommen werden. Die muslimische Welt muss ihre Probleme eigenverantwortlich und aus eigener Kraft lösen. Der Islam muss aus dem Mittelalter selbst herausfinden – wenn er will. Und der Zentralrat der Muslime in Deutschland sollte seine muslimischen Brüder in Nahost und Afrika dazu aufrufen, in ihrem Kulturkreis zu bleiben und dort an Aufbau und Entwicklung mitzuarbeiten.

Was müssen wir aus diesen Erfahrungen lernen?

Die Vereinten Nationen werden erst Lehren aus dem fehlgeschlagenen Afghanistan-Einsatz ziehen können, wenn sie sich reformiert sowie die Dauer-Blockade des Weltsicherheitsrates überwunden haben und so geopolitisch wieder handlungsfähig geworden sind!

Ohne die USA sind globale Interventionen nicht denkbar und zum Erfolg zu führen. Die USA sind aber ganz offensichtlich nicht mehr gewillt, die Rolle des „Weltpolizisten“ zu übernehmen, und die USA haben aufgrund ihrer gravierenden innenpolitischen Probleme und ihrer politisch tief gespaltenen Gesellschaft sowie der jüngsten Niederlagen als internationale Führungsmacht deutlich an Vertrauen verloren. Die unzureichende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Verbündeten bei geopolitischen Interventionen hat außerdem deutlich gemacht, dass man sich auf die USA als westliche Führungsmacht nicht bedingungslos verlassen und lediglich „mitmachen“ kann – Verbündete müssen sich zielgerichtet mit eigenen strategischen Vorstellungen außen- und sicherheitspolitisch mit einsatzfähigen militärischen Kräften stärker einbringen!

Die NATO ist weiterhin aufgrund der nuklearen Fähigkeiten und der Interventionskapazitäten in der Bündnisverteidigung gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages auf die USA angewiesen. Die NATO muss sich aber in engem Zusammenwirken mit der EU von den zunehmend auf China fokussierten USA emanzipieren und für die Gewährleistung der Sicherheit Europas mehr Verantwortung übernehmen können. Dazu gehört, dass die NATO zusammen mit der EU außen- und sicherheitspolitische Konzepte als Grundlage für gemeinsame Strategien entwickeln. Es darf in Zukunft kein reines „Mitmachen“ der NATO und ihrer Mitglieder bei Interventionen der USA geben, ohne dass die NATO für eine Beteiligung an globalen Interventionen ihre Ziele, Konzepte und strategischen Vorstellungen eingebracht hat. Die NATO sollte in muslimischen Regionen und Staaten nicht ohne zwingenden Grund intervenieren und Problemregelungen der Arabischen Liga überlassen.

Die Europäische Union muss sich dringend reformieren und zu einem handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur an der Seite der NATO werden. In ihrem derzeitigen Zustand kann und sollte die EU den souveränen muslimischen Ländern die Verantwortung für ihre Entwicklung nicht abnehmen. Die EU muss vielmehr politisch aktiv werden, um die Fluchtursachen in den Krisenregionen zu lindern und die Nachbarstaaten von Bürgerkriegsländern und zerfallenden Staaten besser zu befähigen, die Flüchtlinge menschenwürdig heimat- und kulturnah unterzubringen. Die EU muss ihre Außengrenzen besser sichern und den politischen und strategischen Rahmen für die Bewältigung der noch zu erwartenden Flüchtlingskrisen schaffen.

Deutschland spielt in der globalen Welt als wirtschaftsstarke Mittelmacht der EU eine deutlich nachgeordnete Rolle, weil wir kein außen- und sicherheitspolitisches Konzept haben, das wir in die EU oder die NATO einbringen könnten, um so zur Stabilisierung beizutragen. Deutschland hat auch nicht die militärischen Möglichkeiten, um seinen Bündnisverpflichtungen angemessen nachkommen zu können. Wir sind so etwas wie ein großmäuliger außen- und sicherheitspolitischer Zwerg. Das müssen wir tatkräftig dadurch ändern, dass wir eigene außen- und sicherheitspolitische Ziele definieren und entsprechende Konzepte und strategische Handlungsoptionen entwickeln und diese im Parlament und mit der Öffentlichkeit intensiv diskutieren, um so mehr außen- und sicherheitspolitisches Interesse bei den deutschen Bürgern wecken zu können. Deutsche außen- und sicherheitspolitische Ziele sowie daraus abgeleitete Konzepte und strategische Handlungsoptionen müssen der Zukunft der EU dienen und die Handlungsfähigkeit der NATO – einschließlich des unverzichtbaren Sicherheitsgaranten USA – steigern. Wir müssen so wieder ein geachteter, glaubwürdiger und zuverlässiger Partner bei der Gewährleistung unserer gemeinsamen Interessen und Sicherheit werden. Das wird nur gelingen, wenn wir uns engagiert und mutig in die EU und in die NATO einbringen und die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr so schnell wie möglich wiederherstellen! Vor diesem Hintergrund müssen die aktuellen Auslandseinsätze der Bundeswehr überprüft und gegebenenfalls beendet werden. Die Herstellung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien bis 2031 muss Priorität haben und finanziell gewährleistet werden!

Es darf zukünftig keine Auslandseinsätze der Bundeswehr mehr ohne außen- und sicherheitspolitisches Konzept und strategische Zielsetzung sowie ohne hinreichende Ausrüstung für die erfolgreiche Erfüllung des vom Bundestag gegebenen militärischen Auftrages geben!

(27.08.2021)

 

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