Hans-Heinrich Dieter

Pistorius im Abwärtstrend   (03.10.2023)

 

Boris Pistorius ist seit dem 19.01.2023 Bundesminister der Verteidigung. Er hat von der unfähigsten der nicht wenigen eingeschränkt fähigen Verteidigungsminister ein schwieriges Erbe übernommen.

„Die Bundeswehr hat von allem zu wenig,“ aber seit dem 24.02.2022 hat die Bundeswehr durch die Material- und Munitionsabgaben an die Ukraine und die Ausbildung der ukrainischen Soldaten noch weniger von allem, ohne dass die Nachbeschaffung bedarfsgerecht geleistet werden kann. Die Lastenbücher der Truppe sind also voller geworden, die Materiallager, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht, auch weil die Bürokratie noch wuchert und das Beschaffungswesen nach wie vor zu behäbig ist. Dabei wird allein ein zweistelliger Milliardenbetrag aus dem Verteidigungsetat dringend gebraucht, um die Munitionsbestände für Ausbildung und Einsatz wieder aufzufüllen und Munitionslager zu bauen.

Die Bundeswehr leidet außerdem unter Personalnot. Die Personalstärke lag zum Ende des Jahres 2022 bei knapp über 183.000 - und damit unter dem Niveau von 2021 und deswegen ist es noch ein langer Weg bis zur Erreichung der Zielmarke 203.000 im Jahr 2031. Die Soldatinnen und Soldaten haben außerdem täglich mit dem Mangel zu kämpfen. Das macht die Truppe weniger attraktiv und das ist mit ein Grund für die sehr hohe „Absprungrate“ im ersten halben Jahr der Ausbildung und das verhindert den dringend erforderlichen Aufwuchs von gut qualifiziertem Personal. Welcher intelligente und belastbare junge Staatsbürger verpflichtet sich bei Streitkräften, die die Rahmenbedingungen für erfolgreichen Einsatz für Recht und Freiheit auf längere Sicht nur unzureichend gewährleisten können?

Dazu kommt, dass viele Kasernen in Deutschland in einem erbärmlichen Zustand sind und keinen leistungsfähigen Internetzugang bieten. Für die Sanierung der Infrastruktur müssten ca. 50 Milliarden Euro aufgebracht werden. Berechnungen zufolge können aufgrund der Materiallage und des Fachkräftemangels jedoch pro Jahr nur eine Milliarde Euro investiert werden, sodass die jetzige Infrastruktur der Bundeswehr erst in einem halben Jahrhundert komplett modernisiert sein wird.

Aufgrund der „Zeitenwende“ wurde deswegen für die Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro gesetzlich verankert, um die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte für die Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien bis 2031 wiederherzustellen. Die diesbezüglichen Vertragsabschlüsse werden bisher nur sehr zögerlich geleistet, es geht alles viel zu langsam, vom „Deutschland-Tempo“, das Scholz gerne propagiert, ist bisher nichts zu sehen. Außerdem hat der Kanzler versprochen, dass Deutschland in Zukunft mindestens die mit der NATO vereinbarten 2 Prozent vom BIP in die Verteidigungsfähigkeit investieren wird – und hat schon mit der Entscheidung zum Verteidigungshaushalt 2023 versagt. Vor Verteidigungsminister Pistorius liegt also eine Sisyphus-Arbeit!

Pistorius hat die Ärmel hochgekrempelt und das Image eines Machers erzeugt, sich intensiv mit der schwierigen Lage der Streitkräfte und der Verwaltung vertraut gemacht, sich bei der Truppe empathisch eingebracht und dabei die richtigen und passenden Worte gefunden. Schon nach kurzer Zeit ist Boris Pistorius nicht nur der beliebteste Verteidigungsminister, sondern auch der beliebteste Bundespolitiker. Es wäre schön für Soldatinnen und Soldaten, wenn diese Stellung zum Wohl der Truppe noch lange halten könnte. Aber auch dafür sind die Rahmenbedingungen schwierig!

Der Minister hat im Ministerium wichtige Personalveränderungen vorgenommen und wieder einen Planungstab eingerichtet, um Schwung in die schwerfällige Behörde zu bringen. Bisher wirkt sich das noch nicht sichtbar genug aus. Die Umstrukturierung des eingeschränkt leistungsfähigen Beschaffungsamtes wird noch lange dauern und da wundert es nicht, dass es zu der „Hunderte Millionen Euro Funkgeräte-Panne“ gekommen ist. Die desaströse Bestellung ist zwar sechs Wochen vor seiner Amtsübernahme herausgegangen – Pistorius muss trotzdem mit der damit verbundenen starken Verzögerung der für 2024 der NATO versprochenen ersten einsatzbereiten Division fertig werden.

Der Verteidigungsminister hat vor den Eckwerteverhandlungen zum Haushalt 2024 wohlbegründet einen Aufwuchs von mindestens 10 Milliarden Euro für Verteidigungsinvestitionen gefordert, um der kaputtgesparten Bundeswehr allmählich auf die Füße zu helfen. Er hat sich, wie wir seit den Entscheidungen zum Bundeshaushalt 2024 wissen, nicht durchgesetzt! Und darüber hinaus hat er auch nicht erreicht, dass der Verteidigungshaushalt 2% vom BIP für Verteidigungsinvestitionen ermöglicht, ohne auf das Sondervermögen zurückzugreifen. Und die mittelfristige Finanzplanung bis 2027 bringt zum Ausdruck, dass Deutschland die NATO-Vereinbarungen nicht einhalten wird. Das führt zu Vertrauensverlust unserer Partner in Deutschland – und unserer Soldaten in Pistorius.

In dieser nicht einfachen Lage hat Pistorius beim letzten NATO-Gipfel Ende Juni in Vilnius vollmundig angekündigt, Deutschland werde schon bald eine Kampfbrigade des Heeres mit etwa 4000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren. Weder das eigene Ministerium noch die Bundeswehr oder das Nato-Hauptquartier wussten von den Plänen. Und auch drei Monate später gibt es nicht viel mehr als diese Ankündigung. Es müssen sich 4000 Soldaten finden, die dauerhaft im Baltikum - teilweise mit Familien – stationiert sein wollen. Auch diese Brigade muss digitalisiert und volleinsatzfähig sein. Dazu müssen auch die kompatiblen Funkgeräte eingebaut werden können. Doch ein konkreter Plan für die „Litauen-Brigade“ existiert in der Bundeswehr nicht. Pistorius muss aufpassen, dass er nicht auch zum „Ankündigungsminister“ wird!

Die Lage in der Sahelzone verschlechtert sich ständig. Im April 2023 hat der Bundestag beschlossen, dass der Mali-Einsatz bis April 2024 dauern soll und dann nach 13 Jahren erfolglos und sehr teuer – Kosten mehr als 4 Milliarden Euro – ein Ende findet. Um in der Region präsent zu bleiben, hat das Parlament nun die Beteiligung an einer EU-Mission im benachbarten Niger bis zum 31. Mai 2024 gebilligt. Mir ist nicht bekannt, dass sich Minister Pistorius in die Entscheidungsfindung eingebracht hat. Diese Entscheidung dient allerdings nicht dem Wohl unserer Soldaten. Denn die Militärregierung in Mali hat sich seit dem ersten Quartal 2022 von Frankreich ab - und Russland zugewandt. Frankreich hatte daraufhin im August 2022 seine letzten Soldaten aus Mali abgezogen. Deutschland hätte sich dem anschließen sollen. Denn der Einsatz unserer Bundeswehr in Mali ist durch den Abzug Frankreichs nicht nur gefährlicher geworden, sondern er ist auch Zeit- und Geldverschwendung, weil er keinen Sinn mehr macht und die Militär-Junta die Auftragserfüllung des deutschen Kontingentes sogar behindert. Und es macht doch wohl wirklich keinen Sinn, wenn man sich nur selbst bewacht – und mit dem Schutz der Zivilbevölkerung hat das auch nichts zu tun! Die Soldaten aus Mali sollten von Niger aus zurückverlegt werden. Nun hat sich auch die Lage in Niger verschlechtert und die Rückverlegung der deutschen Soldaten gestaltet sich schwierig und gefährlich. Darüber hinaus hat Deutschland sowohl für den Einsatz in Mali wie auch in Niger keine strategische Zielsetzung und keinen konkreten Plan. Wir haben aus Afghanistan zu wenig gelernt. Das sollte Minister Pistorius zu Wohle der deutschen Soldaten im Einsatz ändern.

Minister Pistorius ist noch nicht lange im Amt. Er muss sich in Zukunft noch stärker, erfolgreicher und erkennbarer für die positive Entwicklung der Bundeswehr einbringen – insbesondere, weil sein niedersächsischer SPD-Parteifreund und Kanzler „Führung“ versprochen hat, dieses Versprechen aber nicht hält.

(03.10.2023)

 

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