Hans-Heinrich Dieter

Zukunftsfähige EU?   (03.09.2021)

 

Schon das Treffen der Verteidigungsminister der EU am 02.09.2021 in Slowenien hat gezeigt, dass die EU aus den Fehlern in Afghanistan wohl nur unzureichend lernen wird, weil den verantwortlichen Politikern der desolaten EU das Problembewusstsein und der geopolitische Blick auf die Erfordernisse der Zukunft fehlt. Denn bevor panikartig illusionsgetriebene Ãœberlegungen zu einer 5000 Mann starken Eingreiftruppe angestellt werden, muss sich die  Europäische Union dringend reformieren und zu einem handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur an der Seite der NATO werden.

Um ein anerkannter außen- und sicherheitspolitischen Akteur – möglicherweise irgendwann später einmal „auf Augenhöhe mit den USA“ – werden zu können, muss die EU zunächst definieren, was sie zukünftig in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik erreichen will, muss dann analysieren, welche Fähigkeiten und Mittel sie für Erfolge in der dafür erforderlichen vernetzten Sicherheitspolitik braucht, welche dieser Fähigkeiten derzeit noch fehlen und möglichst bald erworben werden müssen und welche sicherheitspolitischen Koalitionen deswegen derzeit unabdingbar sind. Auf dieser Grundlage müssen Konzepte und Strategien mit den dazugehörigen Plänen B erarbeitet werden, um peinliche und in vielerlei Hinsicht sehr kostspielige Niederlagen wie in Afghanistan in Zukunft vermeiden zu können – oder planlose Engagements ohne realistische Erfolgsaussichten zukünftig zu vermeiden.

Bevor also Kramp-Karrenbauer fordert, europäisch stärker zu werden, „um auf Augenhöhe mit den USA das westliche Bündnis insgesamt stärker zu machen“, müssen durch eine grundlegende Reform der EU die strukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Und da dürfen selbst optimistische EU-Befürworter skeptisch sein. Denn seit 1993 redet die EU von einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), aber es wurde bisher keine real definierte und angewandte gemeinsame diesbezügliche Politik gemacht. Die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ist zudem durch die erforderliche Einstimmigkeit bei außenpolitischen Entscheidungen und die sich verstärkenden nationalistischen und unsolidarischen Tendenzen einiger Mitgliedstaaten sehr stark eingeschränkt. Eine handlungsfähige außenpolitische „Großmacht“ wird die EU also nicht durch vollmundige Reden und „Ankündigungen“. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfähigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfähigen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmähliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Dazu muss die EU in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO langfristig auch über hinreichende Handlungsfähigkeit bei militärischer Machtausübung verfügen. Die EU muss sich von einem sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer zu einem engagierten, vertrauenswürdigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickeln!

Warum treffen sich die EU-Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungs-minister*innen nicht gemeinsam, um Lehren aus dem Afghanistandebakel zu ziehen? Denn die EU kann doch nur durch eine gemeinsame vernetzte Außen- und Sicherheitspolitik geopolitisch handlungsfähig werden. Und einer solchen gemeinsamen vernetzten Außen- und Sicherheitspolitik müssen alle zukünftigen Mitglieder der EU zustimmen – wer nicht zustimmt, muss assoziiertes Mitglied werden. Dazu muss auch der Artikel 44 der Europäischen Verträge geändert werden, denn wenn zum Beispiel eine „Koalition der Willigen“ bereit ist, ein wichtiges geopolitisches Engagement zu wagen, dann darf ein solches Vorhaben nicht an der nach dem derzeitigen Artikel 44 erforderlichen Zustimmung aller Mitglieder – die in der heutigen vielfach gespaltenen EU mit einigen autokratisch regierten nationalistischen oder egozentrischen EU- Ländern nicht mehr zu erreichen ist – scheitern.

Die Europäische Union ist als werteorientierte politische Gemeinschaft zu wichtig, um sich von untauglichen und unsolidarischen Mitgliedern von einer positiven, zukunftsorientierten Entwicklung zu einem vertrauenswürdigen und vernetzt- sicherheitspolitischen geopolitischen Akteur abhalten zu lassen!

(03.09.2021)

 

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http://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-nato-kooperation.html

 

 

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