Hans-Heinrich Dieter

EU-Illusionen   (01.10.2017)

 

Es ist gut, dass der PrĂ€sident der EU-Kommission Juncker Mitte September, kurz nach der teilweisen Überwindung der Griechenlandkrise und des Brexit-Schocks, eine euphorische und positiv gedachte Rede zur Lage der EuropĂ€ischen Union vor dem EU-Parlament gehalten hat. Die EU hat ja auch Erfolge aufzuweisen: die Wirtschaft erholt sich langsam und die Arbeitslosenzahlen gehen zurĂŒck. Außerdem ist die Idee der EuropĂ€ischen Union zu gut, um sie von Europa-Skeptikern permanent miesmachen zu lassen. Die Zukunft der EU darf man aber auch nicht schönreden wollen, denn die Zukunft einer ĂŒberlebensfĂ€higen und handlungsstarken EU kann nicht durch die Wiederholung grundsĂ€tzlicher Ideen gesichert, sondern muss durch grundlegende Reformen gewĂ€hrleistet werden. DiesbezĂŒgliche Visionen sind zu begrĂŒĂŸen, Illusionen sind als untauglich abzulehnen. In die Segel der EU weht derzeit kein frischer Wind, sondern höchstens ein laues unstetes LĂŒftchen!

Jetzt hat PrĂ€sident Macron in einer ebenfalls euphorischen Rede in der Sorbonne in Paris Visionen von grundlegenden Weiterentwicklungen der EuropĂ€ischen Union dargelegt und sich begeistert zu Europa bekannt. Nun gilt es zu prĂŒfen, wie realitĂ€tsbezogen seine Vorstellungen sind und welche Realisierungschancen die wichtigsten seiner VorschlĂ€ge haben.

PrĂ€sident Macron ist der Meinung, dass Europa bereits zu Beginn des nĂ€chsten Jahrzehnts eine handlungsfĂ€hige Eingreiftruppe, einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt sowie eine gemeinsame Einsatzdoktrin braucht und will dazu eine Europaarmee in ErgĂ€nzung zur NATO aufbauen. Im Vorfeld haben Deutschland und Frankreich bereits ĂŒber verstĂ€rkte Zusammenarbeit in der RĂŒstungsforschung sowie ĂŒber gemeinsame Kommandostrukturen nachgedacht und von einer „Armee der EuropĂ€er“ gesprochen. ZusĂ€tzlich schlĂ€gt Macron die Schaffung einer Ausbildungsakademie und eines zivilen Hilfskorps vor, das bei Katastrophen auch in Übersee eingesetzt werden soll. In der NATO gibt es bereits multinationale Strukturen, Austausch von Personal an Ausbildungsakademien und handlungsfĂ€hige Eingreiftruppen mit aktueller Einsatzerfahrung auf der Grundlage von NATO-EinsatzgrundsĂ€tzen. Dieser sicher gut gemeinte Reformvorschlag ĂŒbersieht, dass es wohl seit 1993 den Begriff einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) gibt, aber keine real definierte und angewandte gemeinsame diesbezĂŒgliche Politik der EU, und deswegen gibt es auch noch keine Grundlage fĂŒr eine gemeinsame Einsatzdoktrin. Es ist nicht bekannt, welche Mitglieder der vielfĂ€ltig zerstrittenen EU sich an einer Europaarmee beteiligen wĂŒrden, und außerdem sind Aufgabenabgrenzungen einer „europĂ€ischen Verteidigungs-union“ zur NATO, oder besser noch eine vertiefte Zusammenarbeit und Aufgabenteilung mit der NATO nicht geklĂ€rt. „Zu Beginn des nĂ€chsten Jahrzehnts“ wird die EU weder eine „handlungsfĂ€hige Eingreiftruppe“, noch einen „gemeinsamen Verteidigungshaushalt“ und auch keine „gemeinsame Einsatzdoktrin“ haben. Macrons Vorstellungen sind diesbezĂŒglich höchst illusionĂ€r. Da ist es fĂŒr unsere Sicherheit in Europa daher noch in langer Perspektive sehr gut, dass es die NATO gibt, die durch reale und tatkrĂ€ftige Sicherheitspolitik ĂŒberzeugt.

Macron will im Anti-Terrorkampf die Zusammenarbeit der Geheimdienste in Europa verbessern und zu diesem Zweck eine Nachrichtendienstakademie und eine Anti-Terror-Staatsanwaltschaft einrichten. Aufgrund der realen Gefahr durch Terroristen in Europa hat sich die Zusammenarbeit diesbezĂŒglich schon verbessert. Die Polizeibehörde EUROPOL wĂ€chst, tauscht vermehrt Daten aus und ermittelt zunehmend gemeinsam. Auch in der Counter Terrorism Group werden Informationen ausgetauscht. Was im Polizeibereich gut angelaufen ist, klappt in der Zusammenarbeit der Geheimdienste noch nicht gut, denn alle Geheimdienste verfolgen nationale Interessen und tauschen sich nicht vorbehaltlos und automatisch, sondern interessenorientiert aus. Ob eine Nachrichtendienstakademie und eine Anti-Terror-Staatsanwaltschaft da Abhilfe schaffen und Fortschritte bringen können, muss im Hinblick auf den zu erwartenden zusĂ€tzlichen bĂŒrokratischen Aufwand geprĂŒft werden. Außerdem wird bei Überlegungen zur Schaffung immer neuer Behörden und EU-Institutionen immer vergessen, dass in der EU nicht selten der Eindruck herrscht, dass die Institutionen in BrĂŒssel in ihrem bisherigen Anspruch auf MachtausĂŒbung und Einfluss schon zu weit gegangen sind.

Macron will die Euro-Zone zu einem „Zentrum der wirtschaftlichen Kraft Europas in der Welt“ machen. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht dabei ein „Haushalt, der die Finanzierung von gemeinsamen Investitionen ermöglicht und StabilitĂ€t angesichts wirtschaftlicher Schocks gewĂ€hrleistet“. Es gibt bereits einen Haushalt der EU, aber keinen gesonderten Haushalt der Euro-Zone. Da muss man zunĂ€chst die Frage beantworten, ob ein solcher gesonderter Haushalt der Eurozone nicht auch zur Spaltung der EU beitragen wird, und es muss genau definiert sein, was unter „Haushalt der Eurozone“ im Detail zu verstehen ist. Wenn dieser gemeinsame Haushalt den Weg zu gemeinsamen Anleihen wie Euro-Bonds und damit zur Vergemeinschaftung von Schulden ebnen soll, dann ist dieser Vorschlag eine Illusion, denn Deutschland und die NordeuropĂ€ischen Mitglieder werden dafĂŒr nicht zu gewinnen sein.

Macron will die Zuwanderung nach Europa steuern und dafĂŒr eine europĂ€ische Grenzpolizei aufbauen, die ein strenges „Grenzmanagement“ errichtet und unerwĂŒnschte Zuwanderer zurĂŒckfĂŒhrt. FĂŒr die FlĂŒchtlinge unter den Zuwanderern möchte er ein großes, europĂ€isch finanziertes Programm zur Integration und Ausbildung aufbauen. Zudem will er eine EU-weite Asylbehörde schaffen, die Verfahren beschleunigt und angleicht, etwa durch gemeinsame Datenbanken und sichere biometrische Ausweise. Und im Hinblick auf die zu erwartenden, anhaltenden Zuwandererströme strebt er eine EU-gemeinsame „Stabilisierung und Entwicklung der HerkunftslĂ€nder“ an. Daran ist wenig Neues. Die europĂ€ische Grenzschutzagentur FRONTEX wird derzeit ausgebaut und beteiligt sich schon an Abschiebungen, allerdings ist es rein rechtlich derzeit noch sehr schwierig, Migranten zurĂŒckzuweisen. FĂŒr eine „EU-weite Asylbehörde“ mĂŒssten die rechtlichen Grundlagen der Mitgliedstaaten angeglichen werden und bevor man ĂŒber ein „europĂ€isch finanziertes Programm zur Integration und Ausbildung“ von FlĂŒchtlingen ernsthaft nachdenken kann, muss eine gemeinsame und solidarische FlĂŒchtlingspolitik beschlossen und umgesetzt werden. Danach sieht es derzeit wirklich nicht aus. An einer BekĂ€mpfung der Fluchtursachen arbeitet die EU mit einigen Mitgliedstaaten allerdings bereits  - vorwiegend in Afrika.

Macron strebt eine Harmonisierung der nationalen Sozialsysteme an. Alle Mitgliedstaaten sollten verpflichtet werden, einen angemessenen gesetzlichen Mindestlohn festzusetzen. Außerdem sollen die Entsenderichtlinien fĂŒr EU-Arbeitnehmer in EU-Mitgliedstaaten dadurch verschĂ€rft werden, dass sie zukĂŒnftig fĂŒr die gleiche Arbeit nicht nur den gleichen Lohn wie die einheimischen Arbeitnehmer erhalten, sondern auch die gleichen Sozialabgaben entrichten mĂŒssen. Die Einhaltung der Regelung soll von einer neuen EU-Arbeitsbehörde kontrolliert werden. Dieser Vorschlag könnte zur allgemeinen Verbesserung der Arbeitssituation in der EU fĂŒhren und Arbeitsdumping unterbinden, allerdings erneut mit zusĂ€tzlich erforderlicher BĂŒrokratie.

Die positiv eingestellten EU-BĂŒrger wollen eine handlungsfĂ€hige Union, hauptsĂ€chlich auf den Problemfeldern Migration und FlĂŒchtlinge, TerrorbekĂ€mpfung, gemeinsame Verteidigungsanstrengungen mit der NATO sowie Klimawandel. Von daher spricht Macron durchaus die richtigen Themen an. Eine ĂŒberlebensfĂ€hige und handlungsstarke EU erfordert aber weniger Weiterentwicklungen auf der Basis der derzeitigen Struktur, sondern echte Struktur-Reformen und deswegen wollen die BĂŒrger ĂŒberzeugt werden, dass die EU ĂŒber die dringend notwendigen Reformen wirklich bereit und in der Lage ist, die Probleme anzupacken, nachhaltig zu lösen und das Leben der EU-BĂŒrger zu verbessern.

Dabei muss es derzeit doch wohl in der heillos zerstrittenen Union darum gehen, zunehmend nationalistisch und unsolidarisch agierende Mitglieder in die Wertegemeinschaft der EU zurĂŒckzuholen. Wenn das nicht gelingt, dann muss sich die EU neu erfinden und mit einem Kerneuropa der leistungsstarken und solidarischen Mitglieder eine tiefer integrierte EU weiterentwickeln und den unsolidarischen Staaten eine Vollmitgliedschaft zu den neuen Bedingungen oder eine privilegierte Partnerschaft anbieten. Auf einer solchen Grundlage kann man dann auch die EU zu einem „Zentrum der wirtschaftlichen Kraft Europas in der Welt“ – und darĂŒber hinaus – weiterentwickeln.

Insgesamt hat PrÀsident Macron konkretere VorschlÀge zur Weiterentwicklung der EU gemacht als KommissionsprÀsident Juncker und so zur Diskussion angeregt, die hoffentlich möglichst bald auch von einer neuen Bundesregierung engagiert mitgestaltet wird.

(01.10.2017)

 

Bei Interesse am Thema lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/erwartungenandieeu.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-verteidigungsunion1.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-strategiepapier.html

 

 

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