Hans-Heinrich Dieter

Verteidigungspolitische Richtlinien   (10.11.2023)

 

Verteidigungsminister Pistorius hat am Donnerstag bei der Bundeswehrtagung in Berlin den konzeptionellen Rahmen für die Streitkräfte neu definiert. Die letzten verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 2011 befassten sich mit dem Übergang von der Wehrpflicht- zur Freiwilligenarmee und mit der Bewältigung der Auslandseinsätze, insbesondere in Afghanistan. Landes- und Bündnisverteidigung spielten nur eine Nebenrolle.

Da ist es richtig und wichtig, sich nach der „Zeitenwende“ mit der Landes- und Bündnisverteidigung im NATO-Rahmen zu befassen, denn es geht ja um nicht weniger als um eine „strategische Neuorientierung der Bundeswehr“. Es geht real um drei Divisionen des Heeres, große Teile der Kampf- und Transportflugzeugflotte, der Helikopter, Kriegsschiffe und Boote der deutschen Streitkräfte. Die sollen bis Ende 2031 vollumfänglich aufgestellt und ausgerüstet ohne große Vorwarnzeit gegen einen konventionell hochgerüsteten Gegner einsatzbereit sein. Und mit diesen Zielvorstellungen sieht sich Deutschland als geografisch zentrales und wirtschaftlich leistungsfähiges Land als Kern der Verteidigungsfähigkeit Europas. Da hat sich die bis vor kurzem noch naiv- pazifistisch eingestellte Bundesrepublik sehr viel vorgenommen. Und deswegen bleibt abzuwarten, welche konkreten politischen Konsequenzen gezogen werden, um diese Ankündigungen in die Tat umzusetzen!

Um wirksame politische Konsequenzen zu ziehen, müssen unsere Politiker – allen voran Kanzler Scholz - sich zunächst ehrlich machen und mit den Realitäten auseinandersetzen. Deutschland hat sich in den miesen Merkel-Jahren sicherheitspolitisch heruntergewirtschaftet, die Bundeswehr zum Sanierungsfall heruntergespart und die NATO-Vereinbarungen nicht erfüllt. Die deutschen Streitkräfte sind derzeit im Rahmen der NATO für die Landes- und Bündnisverteidigung nach NATO-Kriterien nicht einsatzfähig. Und Deutschland ist zwar ein geografisch zentrales aber inzwischen auch ein wirtschaftlich eingeschränkt leistungsfähiges Land und somit weit davon entfernt, als Kern der Verteidigungsfähigkeit Europas zu gelten.

„Die Bundeswehr hat von allem zu wenig,“ aber seit dem 24.02.2022 hat die Bundeswehr durch die Material- und Munitionsabgaben an die Ukraine und die Ausbildung der ukrainischen Soldaten noch weniger von allem, ohne dass die Nachbeschaffung bedarfsgerecht geleistet werden kann. Die Lastenbücher der Truppe sind also voller geworden, die Materiallager, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht, auch weil die Bürokratie noch wuchert und das Beschaffungswesen nach wie vor zu behäbig ist. Dabei wird allein ein zweistelliger Milliardenbetrag aus dem Verteidigungsetat dringend gebraucht, um die Munitionsbestände für Ausbildung und Einsatz wieder aufzufüllen und Munitionslager zu bauen.

Die Bundeswehr leidet außerdem unter Personalnot. Die Personalstärke lag zum Ende des Jahres 2022 bei knapp über 183.000 - und damit unter dem Niveau von 2021 und deswegen ist es noch ein langer Weg bis zur Erreichung der Zielmarke 203.000 im Jahr 2031. Und da der Sanierungsfall Bundeswehr für leistungsorientierte und leistungsbereite Staatsbürger offenbar wenig attraktiv ist, verstärkt sich die Personalnot derzeit noch. Gegebenenfalls muss man über ein Dienstpflichtjahr für alle Bürgerinnen und Bürger nachdenken, um die Personalnot nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Sozialdienste zu beheben.

Verteidigungsminister Pistorius hat eine sehr schwere Aufgabe in schwierigen Zeiten übernommen und zur Freude der Truppe die Ärmel hochgekrempelt, aber er konnte bisher außer einigen wichtigen strukturellen Änderungen noch nicht viel erreichen. Er hat vor den Eckwerteverhandlungen zum Haushalt 2024 wohlbegründet einen Aufwuchs von mindestens 10 Milliarden Euro für Verteidigungsinvestitionen gefordert, um der kaputtgesparten Bundeswehr allmählich auf die Füße zu helfen. Er hat sich, wie wir seit den Entscheidungen zum Bundeshaushalt 2024 wissen, nicht durchgesetzt! Und darüber hinaus hat er auch nicht erreicht, dass der Verteidigungshaushalt 2% vom BIP für Verteidigungsinvestitionen ermöglicht, ohne auf das Sondervermögen zurückzugreifen. Und die mittelfristige Finanzplanung bis 2027 bringt zum Ausdruck, dass Deutschland die NATO-Vereinbarungen nicht wirklich einhalten wird. Das führt zu Vertrauensverlust unserer Partner in Deutschland – und unserer Soldaten in Pistorius.

In den verteidigungspolitischen Richtlinien heißt es nun, dass zur Gestaltung der „Zeitenwende“ man dauerhaft mindestens zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung braucht, die in die Verteidigung und insbesondere in die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu investieren seien. Dazu diene neben dem regulären Wehretat in den kommenden Jahren das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Wenn dieses Geld aufgebraucht sei, müssten die zwei Prozent allein aus dem Verteidigungshaushalt finanziert werden. Das würde bedeuten, die jährlichen Ausgaben für die Bundeswehr in etwa drei bis vier Jahren schlagartig um mindestens 30 auf mehr als 80 Milliarden Euro zu erhöhen. Alternativ müsste der reguläre Wehretat schneller und stärker wachsen. Darauf lässt sich das Papier nicht ein. Anstelle einer klaren Forderung heißt es: „Der Anspruch an die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr duldet keinen Aufschub und macht Zeit zum kritischen Faktor.“ Wenn man diesem unkonkreten Satz Taten folgen lassen wollte, müsste der Minister in der jetzt anstehenden Bereinigungssitzung zum Haushalt 2024 Korrekturen fordern, die die Bundeswehr gegenüber anderen Ausgabenposten priorisieren!

Bundesverteidigungsminister Pistorius fordert einen „Mentalitätswechsel“ in der deutschen Gesellschaft hin zu einer wehrhafteren Nation: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte.“ Wenn wir der neuen sicherheitspolitischen Lage in Europa und der Welt gerecht werden wollen, brauchen wir eine verteidigungsfähige und kriegstüchtige Bundeswehr – und das wird uns noch einige finanzielle Anstrengungen abverlangen. Eine wehrhafte deutsche Nation muss diese realpolitischen Zielsetzungen unterstützen, damit wir weiter in Frieden und Freiheit leben können!

(10.11.2023)

 

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