Hans-Heinrich Dieter

EuropĂ€ische Politische Gemeinschaft   (09.10.2022)

 

Am 6. Oktober 2022 sind in Prag die Regierungschefs von 44 Staaten - 27 EU-LĂ€ndern und 17 weiteren Staaten Europas - zum ersten Gipfel der neugegrĂŒndeten EuropĂ€ischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zusammengekommen. Mit der EPG gibt es erstmals ein Forum, das den 27 EU-LĂ€ndern und 17 weiteren europĂ€ischen Staaten einen direkten, eher informellen Austausch zu Themen wie Frieden und Sicherheit sowie Klima, Energie und Wirtschaft ermöglicht. Das Treffen war als Workshop konzipiert, gemeinsame politische BeschlĂŒsse waren nicht geplant.

Den Vorschlag, die EuropÀische Politische Gemeinschaft ins Leben zu rufen, hatte PrÀsident Macron im Mai 2022 im Europaparlament vorgestellt. Laut EU-RatsprÀsident Charles Michel sind Sicherheit und StabilitÀt in Europa Ziel und Zweck der Gemeinschaft. Neben der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik spielen auch Energie- und Klimafragen eine zentrale Rolle.

An dem ersten EPG-Workshop nahmen die EU-Mitglieder Belgien, Bulgarien, DĂ€nemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, RumĂ€nien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern teil. Als Nicht-EU-Mitglieder waren Armenien, Aserbaidschan, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Großbritannien, Island, Kosovo, Liechtenstein, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Norwegen, Schweiz, Serbien, TĂŒrkei und die Ukraine vertreten. Russland und Belarus bleiben außen vor, waren aber natĂŒrlich Thema, Europa zeigte sich sehr geschlossen, denn alle 44 Staaten verurteilten den russischen völkerrechtswidrigen Invasionskrieg klar und eindeutig und haben ihre UnterstĂŒtzung fĂŒr die Ukraine zum Ausdruck gebracht! Das ist ein deutliches und nicht gerade selbstverstĂ€ndliches gemeinsames Signal an Russland und Belarus, da Staaten wie die TĂŒrkei und Serbien die EU-Sanktionspolitik gegen Russland bislang nicht mittragen. Man kann also von einem ersten Erfolg der EPG sprechen und deswegen soll wohl das Folgetreffen schon in einem halben Jahr in Moldau stattfinden.

Allerdings gab es natĂŒrlich auch eine Reihe kritischer Anmerkungen, denn seit dem Vorschlag Macrons zur GrĂŒndung der EPG im Mai 2022 wurde diskutiert, ob Macron denn mit dieser neuen Gemeinschaft nicht eine Art „Warteraum“ fĂŒr jene LĂ€nder hatte schaffen wollen, die schon lange in die EU eintreten möchten, aber bisher die Kriterien noch nicht erfĂŒllen – und teilweise noch auf Jahre hinaus nicht erfĂŒllen werden. Dieser „Verdacht“ ist nicht ganz unbegrĂŒndet, denn Macron ist kein BefĂŒrworter einer schnellen Erweiterung der EU - die schon jetzt untaugliche Mitglieder wie Ungarn und Polen hat.

Bundeskanzler Scholz hingegen betonte am 29.08.2022 in seiner Europarede in Prag, dass die EPG keine EU zweiter Klasse sei, sondern ein wichtiges Forum fĂŒr den Austausch der EuropĂ€er auf politischer Ebene. Und der Vorsitzende der EuropĂ€ischen Volkspartei, Manfred Weber, meint, man solle dem neuen Format eine Chance geben. Zugleich warnte er davor, die EU-Beitrittskandidaten zu enttĂ€uschen. Die Veranstaltung lege nahe, dass sich die BewerberlĂ€nder mit einer zweiten Struktur neben der EU zufriedengeben sollten. Dies dĂŒrfe nicht sein. Dazu kann man feststellen, dass die EPG ĂŒberhaupt keine „EU zweiter Klasse“ sein kann, weil EU und EPG grundsĂ€tzlich einen unterschiedlichen „Charakter“ haben und die EU ja Teil der EPG ist. Und Weber hat recht, dass man dem neuen Format eine Chance geben solle – als europĂ€isches Diskussionsforum. Und es geht ja nicht um „EnttĂ€uschung von EU-Beitrittskandidaten“, sondern es muss darum gehen, dass nur solche Staaten EU-Mitglieder werden, die die Kriterien der EU vollstĂ€ndig erfĂŒllen. Teile der Westbalkan-Staaten und die Ukraine sind davon noch sehr weit entfernt!

Und wenn zum Beispiel Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zukĂŒnftig eine zentrale Rolle spielen sollen, dann muss die EU zunĂ€chst außen- und sicherheitspolitisch handlungsfĂ€hig werden. Denn die EU ist derzeit einfach noch nicht in der Lage mehr Verantwortung zu ĂŒbernehmen. Die EU muss sich reformieren und weiterentwickeln von einer friedensstiftenden Nachkriegs-Wirtschaftsunion zu einem international handlungsfĂ€higen außen- und sicherheitspolitischen Akteur mit leistungsfĂ€higen politischen Instrumenten, die sie auf der Grundlage einer Gesamtstrategie machtvoll zur Wirkung bringen kann. Dazu muss das Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Angelegenheiten durch ein Mehrheitsrecht ersetzt werden. Das alles wird nur durch die allmĂ€hliche, schrittweise Gestaltung einer glaubhaften und wirkungsvollen globalen außenpolitischen Rolle gelingen. Weil es mittelfristig keine strategische EU-Autonomie geben wird, muss die EU in sehr engem Zusammenwirken mit der NATO – ohne sicherheitspolitische Doppelstrukturen - mittelfristig auch in Kooperation mit der NATO ĂŒber hinreichende HandlungsfĂ€higkeit bei militĂ€rischer MachtausĂŒbung verfĂŒgen. Die EU muss sich von einem sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer zu einem engagierten, vertrauenswĂŒrdigen außen- und sicherheitspolitischen Akteur entwickeln! EU und NATO können gemeinsam erfolgreich Einfluss auf China und Russland ausĂŒben, die USA unterstĂŒtzend oder auch ergĂ€nzend.

Die EU muss handlungsfĂ€hig werden und darf nicht im Dauerkrisenmodus verharren. Dazu muss die EU ihre Struktur grundlegend Ă€ndern und darf sich nicht ĂŒberdehnen. Gleichzeitig darf die EU sich nicht abschotten, sondern muss eine enge politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit einer tiefer integrierten Kern-EU mit europĂ€ischen Partnern auf der Grundlage von VertrĂ€gen gewĂ€hrleisten. Die neue EPG kann fĂŒr diesen Prozess hilfreich sein!

(09.10.2022)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

https://www.hansheinrichdieter.de/html/europbeitragzurnato.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/euvorderzerreissprobe.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/euinderkrise-2.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-zunkunftskonferenz.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/macronundeuropa.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/hochstaplerischerillusionist.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/desolateeu.html

 

 

nach oben

 

zurĂŒck zu Seite Klare Worte