Hans-Heinrich Dieter

Die chinesische Herausforderung   (07.07.2022)

 

Im neuen strategischen Konzept der NATO, dem Grundlagendokument für politische und militärische Planungen, wird Russland als „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ bezeichnet, während die Welt- und Militärgroßmacht China weit weniger scharf lediglich als „Herausforderung“ charakterisiert wird.

China hat eine rasante wirtschaftliche sowie militärische Entwicklung geleistet und ist ein wesentlicher, zunehmend aggressiver Machtfaktor im aktuellen Kräftedreieck USA-China-Russland. China rüstet ständig weiter auf und nutzt dazu den zweitgrößten Verteidigungsetat hinter den USA. Und der inzwischen totalitäre kommunistische Ãœberwachungsstaat beabsichtigt nach Aussagen Xi Jinpings, bis 2049 zur größten Militärmacht der Welt zu werden. Darüber hinaus verfolgt China eine expansive und aggressive Außen- und Wirtschaftspolitik, erwirkt mit der Neuen Seidenstraße weitreichende wirtschaftliche sowie finanzielle Abhängigkeiten auch von EU- und NATO-Mitgliedstaaten und wird zurecht in mehrfacher Hinsicht als herausfordernder „systemischer Rivale“ der westlichen Welt und damit auch der NATO und der EU eingeschätzt. Wie begegnet die westliche Welt nun dieser Herausforderung?

Die USA haben ihren außen- und sicherheitspolitischen Schwerpunkt schon unter Präsident Obama in den indo-pazifischen Raum verlegt, aber am Bekenntnis zur NATO festgehalten. Unter Trump hat sich das Verhältnis der USA zur transatlantischen Verteidigungsgemeinschaft und zur EU deutlich verschlechtert, unter Beibehaltung der Interessen im Indo-Pazifik. Präsident Biden hat das Verhältnis zur NATO wiederbelebt und die USA im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine - im Zusammenwirken mit der NATO und der EU - als Haupt-Abschreckungsmacht gegen mögliche russische Aggressionen und als wichtigste Unterstützungsmacht für die Ukraine massiv und konsequent eingebracht. Und Präsident Biden hat sehr deutlich gemacht, dass der Artikel 5 des NATO-Vertrages, wonach ein Angriff auf einen NATO-Mitgliedstaat ein Angriff auf alle NATO-Mitglieder ist, und die Beistandszusage den USA „eine heilige Pflicht“ sei - so hat er zur Glaubwürdigkeit der NATO-Abschreckung gegenüber Russland erheblich beigetragen.

Die USA sind ihrer Verantwortung gegenüber der NATO und unserer Werteordnung gerecht geworden und werden sich auch weiterhin für die Dauer des Ukraine-Krieges für eine Zukunft Europas unter möglichst friedlichen Bedingungen einsetzen. Die USA haben aber ihre Politik im Hinblick auf China, auf Taiwan und auf die Erhaltung von Recht und Ordnung im Indo-Pazifik nicht geändert. Die USA stehen mit China in einem harten wirtschaftlichen Konkurrenzkampf und angesichts der Weltmachtambitionen Chinas wird dieser totalitäre kommunistische Ãœberwachungsstaat auf lange Zeit die größte sicherheitspolitische Herausforderung bleiben. Und da die USA gemäß ihrer „National Defense Strategy“ nur in der Lage sind, bei Bedarf eine Großmacht zu besiegen, wird China auch Schwerpunkt des sicherheitspolitischen Interesses sein müssen. Und deswegen bauen die USA ihr Engagement im indopazifischen Bereich bereits mit Indien, Australien und Japan aus.

Das bedeutet, dass die USA sich nach einem Ende des Ukraine-Krieges wieder stärker dem Indo-Pazifik und der Einhegung der Machtinteressen Chinas zuwenden werden und sich die NATO in Kooperation mit der EU sehr viel intensiver für die operative militärische Abschreckung gegen eine mögliche russische Aggression in Europa verantwortlich zeigen muss. Die EU hat in die außenpolitische Verantwortung dieser sicherheitswahrenden Aufgabe hineinzuwachsen und die NATO muss mit hinreichend starken und einsatzfähigen konventionellen Streitkräften der sicherheitspolitischen Verantwortung - unter dem nuklearen Schirm der USA - gerecht werden. Das wird für die EU und die NATO eine mittelfristig sehr anspruchsvolle politische Herausforderung darstellen, die umfangreiche Kräfte und Mittel bindet!

Die übrige westliche Welt, die EU und auch die NATO befassen sich noch nicht „ernsthaft“ mit der „Herausforderung“ China, denn man hat keinen Plan und keine Strategie entwickelt, weil das Ausmaß der Abhängigkeit der EU und insbesondere auch der Exportnation Deutschlands von China durch den Ukraine-Krieg und die daraus folgende Energiekrise erst so richtig deutlich geworden ist. Insbesondere im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien ist die Abhängigkeit besonders hoch. Nach einer Analyse der EU werden 65 Prozent der Rohstoffe für Elektromotoren aus China importiert. Für Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen liefert China 50 Prozent der erforderlichen Rohstoffe. Und China ist bei Seltenen Erden mit einem Marktanteil von 34 Prozent Weltmarktführer bei diesen für erneuerbare Energien so wichtigen Komponenten. Und China agiert mit dem Neuen Seidenstraßenprojekt inzwischen als Infrastrukturinvestor in Europa, mit konkreten Folgen für die EU und die NATO, denn 12 EU-Mitgliedsländer haben sich schon in eine unterschiedlich starke Abhängigkeit von China begeben. Ungarn und Griechenland sind zum Beispiel Empfänger umfangreicher chinesischer Direktinvestitionen und haben aufgrund solcher Abhängigkeiten gemeinsame Positionen der EU blockiert, die zum Ziel hatten, Kritik an der Menschenrechtslage in China zu äußern. Und es ist von sicherheitspolitischer Relevanz für die „military mobility“ der NATO, wenn chinesische Staatskonzerne an Containerhäfen, Flughäfen, sowie Autobahn- und Eisenbahnprojekten teilweise mehrheitsbeteiligt sind. Wir kommen in Europa also nicht umhin, China außen- wirtschafts- und sicherheitspolitisch stärker ins Visier zu nehmen – auch weil durch eine erkennbar verstärkte militärische Kooperation eine chinesisch-russische Militärallianz in Zukunft nicht unwahrscheinlich ist. EU und NATO brauchen eine gemeinsame Strategie gegenüber China, auch als Grundlage für die wichtige zukünftige weitere Zusammenarbeit mit den USA.

Der NATO bereitet die wachsende Zusammenarbeit zwischen Moskau und Peking sowie ihre „sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die auf Regeln basierende internationale Ordnung zu untergraben,“ bereits „große Sorge“. Doch wie die China-Strategie der NATO genau aussehen soll, bleibt beim letzten NATO-Gipfel umstritten. Umso wichtiger ist es, die „gemeinsame Strategie gegenüber China“ zusammen mit den USA umgehend zu erarbeiten und festzuschreiben, wo und wie die EU außenpolitisch und die NATO sicherheitspolitisch aktiv werden können und wollen, wenn der Ukraine-Krieg beendet ist. Die USA und vor allem auch die amerikanische Bevölkerung müssen erkennen, dass die EU zusammen mit der NATO ihre Anstrengungen für die Gewährleistung von gesichertem Leben in Freiheit in Europa unter dem Nuklearschirm der USA deutlich verstärken und später aber auch bereit sein werden, die USA bei Bedarf im Indo-Pazifik gegen China militärisch zu unterstützen!

Die EU und die NATO müssen sich gemeinsam für unsere Sicherheit stärker engagieren und für die USA vertrauenswürdigere Partner auch für die Lösung globaler Probleme werden!

(07.07.2022)

 

https://www.hansheinrichdieter.de/html/nato-zukunftsfaehig.html

https://www.hansheinrichdieter.de/html/europbeitragzurnato.html

 

 

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