Hans-Heinrich Dieter

Wir bleiben!   (23.12.2015)

 

Nach dem Kabinettsbeschluss zur Verlängerung des Afghanistaneinsatzes reiste Verteidigungsministerin von der Leyen Anfang Dezember nach Masar-i-Sharif und verkündete der Truppe die schlichte „strategische Botschaft“: Wir bleiben!

Kurz darauf beschloss der Bundestag, die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-Einsatz "Resolute Support" zunächst bis Ende 2016 fortzusetzen und die Zahl der Soldaten von derzeit 850 auf bis zu 980 zu erhöhen. Ein neues schlüssiges verantwortbares Gesamtkonzept der militärischen Unterstützung für Afghanistan durch die internationale Gemeinschaft gibt es bisher nicht. Und auch die NATO hat bei ihrer Tagung im Dezember nicht über eine mögliche neue „robuste“ Strategie für Afghanistan entschieden. Dementsprechend ging es bei der Diskussion der Volksvertreter hauptsächlich - wie immer - um Zahlen und Obergrenzen. Weil über die Aufgabe der deutschen Soldaten nicht grundlegend diskutiert wurde, gilt es weiterhin, die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden, sie zu beraten und zu unterstützen. Einen erneuten Kampfeinsatz schließt das Mandat aus.

Inzwischen ist der Terror nach Afghanistan aber verstärkt zurückgekehrt und die Sicherheitslage verschlechtert sich durch andauernden und verstärkten Terror der Taliban dramatisch. Nicht nur bei der schnellen Einnahme von Kunduz im September wurde deutlich, dass die Terroristen koordinierte, großräumige Operationen zunehmend beherrschen und ganze Regionen unter ihre Kontrolle bringen können. Die von der NATO ausgebildeten und beratenen afghanischen Sicherheitskräfte hingegen haben sehr große Verluste und erweisen sich immer wieder als unfähig, die Sicherheit der Bevölkerung eigenverantwortlich zu gewährleisten. Derzeit sei die Mehrzahl der Provinzhauptstädte in Afghanistan zwar noch "ausreichend kontrollierbar", viele ländliche Gebiete hingegen seien überwiegend oder gar nicht mehr zu kontrollieren, sagen Sicherheitsexperten. Und die Perspektiven stimmen nicht hoffnungsfroh. In Sicherheitsanalysen der Streitkräfte kommt zum Ausdruck, dass 2016 durch die Taliban „auch verstärkte, umfangreiche, ausgeplante und gut koordinierte Angriffe auf ganze Provinzzentren wahrscheinlich sind. Dabei ist auch ein zeitlich befristeter Kontrollverlust der afghanischen Sicherheitskräfte möglich.“

Diese deutlich verschlechterte Sicherheitslage in Afghanistan war Grund für die Entscheidung von US-Präsident Barack Obama, den US-Truppenabzug vorerst zu stoppen. Die US-Truppen beteiligen sich aber wenn zwingend erforderlich an Kampfhandlungen und leisten den afghanischen Sicherheitskräften massive Feuerunterstützung mit der US-Luftwaffe.

Die deutsche Sicherheitspolitik hingegen drückt sich um die Diskussion der Sicherheitslage und bleibt allgemein und vage, weil sie keine „belastenden“ Schlussfolgerungen ziehen will. Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold sagte in dem Zusammenhang sehr schlicht und entlarvend: „Die Sicherheitslage in Afghanistan wird sich in den nächsten Wochen nicht so verbessern, dass man ruhigen Gewissens Masar-i-Scharif verlassen kann.“ Es geht Deutschland um das Signal „wir bleiben dabei“, um eine symbolische Geste und um ein - vermeintlich - gutes Gewissen. Es geht offenbar nicht um die Ãœbernahme von Verantwortung, die zur realen Verbesserung der Sicherheitslage beitragen kann. So weiß die deutsche Öffentlichkeit auch nicht, was mit 130 zusätzlichen Soldaten erreicht werden soll. Dienen die Soldaten der eigenen Organisation in Masar-i-Sharif, um den verlängerten Aufenthalt am Hindukusch angenehmer zu gestalten, dienen Teile der Soldaten der Eigensicherung bei Versagen der afghanischen Truppen, wie viele zusätzliche Ausbilder werden gestellt? Und was genau soll in diesem zusätzlichen Jahr im Hinblick auf die Verbesserung der Einsatzfähigkeit der afghanischen Streitkräfte, mit welchem Schwerpunkt und in welcher Qualität erreicht werden? Auf solche Fragen gibt es bisher keine zufriedenstellenden Antworten.

Und die Lage in Afghanistan verschlechtert sich weiter, derzeit in Südafghanistan. Weite Teile der Provinz Helmand sind nicht mehr unter der Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte. Würde die Provinz, mit wirtschaftlichem Schwerpunkt Mohnanbau zur Heroin-Produktion, gänzlich in die Hand der Taliban fallen, wäre das ein weiterer unerträglicher Rückschlag für die zerstrittene, unfähige und korrupte afghanische Regierung, aber auch für den militärischen und politischen Einsatz des Westens in den vergangenen 14 Jahren. Deswegen wurden jetzt Spezialkräfte aus den USA und Großbritannien in einer der Lage angemessenen Stärke in die Nähe von Helmand verlegt, um die afghanischen Soldaten als Berater und Trainer für den Kampf gegen die Taliban zu unterstützen. Bei einer Lageverschlechterung wird auch ein kämpfender Einsatz der Anti-Terror-Spezialisten nicht ausgeschlossen. Damit könnte die Sicherheitslage zumindest regional hinreichend stabilisiert werden.

Die reale Sicherheits-Lage Afghanistans, die zunehmende Bedrohung der Bevölkerung durch Terror der Taliban, die dadurch größer werdende Fluchtbewegung nach Europa und das Erstarken des Islamischen Staates in Afghanistan erfordern eigentlich, dass die westliche Welt zur Stabilisierung dieser Lage für einen nicht zu definierenden Zeitraum erneut durchsetzungsfähige Kampftruppen und vor allen Dingen Spezialkräfte einsetzt. Wenn die internationale Staatengemeinschaft sich zu einer solchen Entscheidung nicht durchringen kann, sollten wir die bisher offensichtlich wenig erfolgreiche militärische Beratungsmission möglichst bald beenden.

Die schlichte strategische Botschaft: „Wir bleiben!“ ist keine hinreichende Grundlage für einen längeren Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan.

(23.12.2015)

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