Hans-Heinrich Dieter

Realismus für Afghanistan   (05.11.2015)

 

In einem Interview mit dem Bundeswehrverband sagte General Hans-Lothar Domröse, NATO-Oberbefehlshaber Allied Joint Forces Command, im September 2015 noch: „Die Sicherheitslage in Afghanistan ist und bleibt eine Herausforderung! Nach wie vor steht die afghanische Regierung im Ãœbergang - sie kann es schaffen mit unserer Hilfe.“ Dabei dachte er an die Fortführung der NATO-Beratungsmission „Resolute Support“, an die Ãœberführung dieser Militär-Mission in eine zivil geführte Beratungsmission „Enhanced Enduring Partnership“ und an die Weiterführung einer umfassenden Unterstützung Afghanistans im Zeitraum 2015-2025 mit zunehmend zivilem Schwerpunkt im Sinne von „Winning the Peace“. Das könnte ein sehr langer und kostspieliger Prozess mit sehr ungewissen Erfolgsaussichten werden.

Inzwischen ist der Terror nach Afghanistan verstärkt zurückgekehrt und die Sicherheitslage  verschlechtert sich ständig. Die NATO zieht offenbar auch Schlüsse aus der erkennbaren Ãœberforderung der afghanischen Sicherheitskräfte und deswegen fordert General Domröse jetzt in einem Interview im Rahmen der NATO-Ãœbung „Trident Junkture“ zukünftig einen robusteren militärischen NATO-Einsatz in Afghanistan. Aus seiner Sicht müssten die Afghanen schon in den nächsten Monaten auch wieder stärker militärisch unterstützt werden, zum Beispiel aus der Luft. „Wenn wir sehen, dass es einen Taliban-Angriff gibt, müssen wir den auch niederschlagen können“, sagt der General. Ein solch gravierender Wechsel des NATO-Kurses deutet darauf hin, dass die negative Entwicklung der Sicherheitslage am Hindukusch als schwerwiegend beurteilt wird. Eine einfache Verlängerung der Beratungsmission „Resolute Support“, wie von den USA und auch von Deutschland angedacht, wäre da wohl zu einfach gedacht und wäre nicht geeignet, die Lage zu stabilisieren und die Taliban an der Ausweitung ihrer Macht über weite Teile des Landes zu hindern - geschweige denn die Taliban nachhaltig zu bekämpfen und nur im Ansatz zu zerschlagen.

Präsident Obama wird sich schwertun, seine US-Truppen in Afghanistan wieder für umfangreiche Kampfeinsätze zu befähigen und Verteidigungsministerin von der Leyen befürwortet zwar eine Verlängerung der Beratungsmission, schließt aber für die Zukunft deutsche Kampfmaßnahmen kategorisch aus. Die NATO wird aber im Dezember über eine mögliche neue „robuste“ Strategie für Afghanistan entscheiden müssen.

Denn hier geht es um eine gemeinsame Bedrohung der afghanischen Bevölkerung sowie der noch im Land verbliebenen NATO-Truppen, Berater, NGO´s und Entwicklungshelfer. Wenn man die Hilfe für Afghanistan weiterführen und dafür einen hinreichenden Schutz gewährleisten will, muss die NATO angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage selbst diesen Schutz bieten, denn die afghanischen Sicherheitskräfte haben sich dafür als deutlich unzureichend erwiesen. Deswegen müsste es der realen Lage entsprechend zu einer größeren regionalen Zusammenarbeit im Kampf gegen die erstarkten Taliban-Terroristen und auch gegen das sich ausbreitende Krebsgeschwür IS kommen.

Wenn die USA zusammen mit der westlichen Welt also nun zu dem Schluss kommen sollten, dass mit dem von Pakistan unterstützten Erstarken der Taliban und den zunehmenden Terroraktivitäten des IS in Afghanistan eine auch für die westliche Welt gefährliche neue Lage entstanden ist, der militärisch effektiv begegnet werden sollte, dann muss die westliche Welt - möglichst auf der Grundlage eines neuen UN-Beschlusses - ganz neu planen und den Terror am Hindukusch mit aller Macht bekämpfen. Die ab 2017 ins Auge gefasste zivil geführte NATO-Mission mit "leichter" militärischer Komponente und Schwerpunkt Polizeischulung, Streitkräfteplanung und Korruptionsbekämpfung "Enhanced Enduring Partnership", wird zur erforderlichen Terrorbekämpfung nicht maßgeblich beitragen können.

Bei der gegenwärtigen Lageentwicklung läuft die NATO Gefahr, dass sie spätestens ab 2017 in Afghanistan weder Halbes noch Ganzes macht. Die reale Lage scheint zu fordern, dass die westliche Welt für einen nicht zu definierenden Zeitraum erneut durchsetzungsfähige Kampftruppen und vor allen Dingen Spezialkräfte einsetzt. Wenn wir uns zu einer solchen Entscheidung nicht durchringen können, sollten wir die bisher offensichtlich wenig erfolgreiche militärische Beratungsmission wie geplant beenden.

(05.11.2015)

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte