Hans-Heinrich Dieter

Sanierungsfall Deutschland   (15.04.2021)

 

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Continental AG, Wolfgang Reitzle, ist einer der bekanntesten deutschen Wirtschafts-Manager. Das Krisenmanagement in Deutschland während der Pandemie macht ihn fassungslos. Er befürchtet den Abstieg ganzer Wirtschaftszweige. Sehr besorgt hat er in der letzten Woche in mehreren deutschen Medien Stellung genommen. Im Interview mit der WELT am Sonntag sagte er unter anderem: „Seinem Anspruch, zur Weltklasse zu gehören, wird Deutschland jedenfalls schon seit Langem nicht mehr überall gerecht. Die Corona-Krise hat dies schonungslos offengelegt. Nach fast 16 Jahren Merkel ist Deutschland in vielen Bereichen ein Sanierungsfall: Bürokratie im Faxzeitalter stecken geblieben, Digitalisierungsrückstand, kein schnelles Internet, massive Mängel in der Infrastruktur und marode Schulen sind nur einige Beispiele für Defizite, die für ein führendes Industrieland beschämend sind.“ Die Lektüre des gesamten Interviews ( https://www.welt.de/wirtschaft/plus229697007/Top-Manager-Wolfgang-Reitzle-Deutschland-ist-ein-Sanierungsfall.html ) lohnt sich, denn hier übt ein erfahrener „Macher“ sehr deutlich zutreffende Kritik.

Und im Gespräch mit Gabor Steingart, dem Herausgeber von „The Pioneer“, sagt Peter Thiel, der Mitbegründer von Paypal und „Vordenker der Technologie-Elite“ in den USA über die Lage in Deutschland: „Die CDU ist eine Kern-Institution der Bundesrepublik und die befindet sich in ernsthaften Schwierigkeiten. Die CDU ist eine Zombie-Partei geworden, die mit Ideen aus dem 20. Jahrhundert auf Autopilot fährt. Das macht keinen Sinn mehr.“ Und weiter zu der dafür verantwortlichen Kanzlerin: „Merkel präsentiert seit 16 Jahren den ewigen Murmeltiertag. Jeder Tag sieht aus wie der vorherige. Nichts ändert sich. Das hat für schockierend lange Zeit funktioniert. Aber nun hat sich dieses System erschöpft.“

Thiel´s Bild von Merkels Wirken ist ganz anschaulich, wird allerdings dem langjährigen Versagen der Kanzlerin nicht ganz gerecht. Denn Merkel hatte keinen programmierten Autopiloten zur Verfügung – so weit sind wir digital und bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz in Deutschland noch nicht – und sie hat die Entwicklungen auch nur teilweise murmeltierartig verschlafen, sie hat zur Lösung politischer Probleme und zur Bewältigung von Krisen nie einen Plan oder ein Konzept entwickelt – wenn es auf gute Politik ankam, blieb da nur kopfloses und hilfloses Reagieren. Da darf man mit Fug und Recht von einer ganzen Reihe politischer Fehlleistungen sprechen.

Und die derzeitige Lage der „Zombie-Partei“ CDU offenbart noch eine ganze Reihe anderer Fehler der langjährigen Parteichefin Merkel. Die ehemalige Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften der DDR war meines Erachtens nie eine wirkliche „Christdemokratin“. Dazu war sie als Pastorentochter zusammen mit ihrem kommunistischen Vater viel zu stark in den real existierenden Sozialismus des Unrechtsstaates DDR und seine Parteiinstitutionen verstrickt - auch aus dem opportunistischen Grund, überhaupt Abitur machen und studieren zu können – aber bis zur Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Akademie der Wissenschaften der DDR bringt man es nur, wenn man sich glaubhaft und erfolgreich in das autoritäre System einbringt. Und Merkel war auch keine engagierte Freiheitskämpferin in der Bewegung „Wir sind das Volk!“ – deswegen war sie auch bei den wirklichen Freiheitsaktivisten nicht geachtet. Sie hat die CDU mit der Zeit sozialdemokratisiert und immer mehr grünlich gefärbt. Sie hat konservative Parteimitglieder missachtet und den einen oder anderen bürgerlichen Wähler vergrault. Ich als liberaldemokratischer, verfassungspatriotisch eingestellter Staatsbürger wähle die CDU seit Merkels Energiewende - zu Lasten der deutschen Wirtschaft und zum Nachteil für die Bevölkerung - nicht mehr. Ich bin inzwischen engagierter FDP-Wähler, andere konservative Bürger hat Merkel zur AFD vergrault. Die Werteverbundenheit, die die CDU als Volkspartei der bürgerlichen Mitte empfehlen sollte, hat Merkel verkommen lassen und das hat zum augenblicklichen desaströsen Bild der CDU beigetragen.

Wenn man die Werte unserer freien westlichen Welt verteidigen will, dann braucht man einen politischen Plan, ein Konzept und eine entsprechende Strategie. Während ihrer Kanzlerschaft hat Merkel keinen einzigen langfristigen Plan entwickelt. Die visionslose Kanzlerin Merkel entwickelt sich jeweils schrittweise mit den Ereignissen und anstatt in Alternativen zu denken und zu planen, erklärt sie die beabsichtigte Vorgehensweise für „alternativlos“ - basta - und hat natürlich keinen Plan B. In der Flüchtlingskrise im September 2015 hat sie sich entsprechend konzeptionslos, planlos, kopflos und hilflos gezeigt. Erfolg sieht anders aus!

Diese Grundhaltung Merkels hat auch zur Beschädigung unserer parlamentarischen Demokratie beigetragen. Merkel strebt immer Große Koalitionen an, um möglichst „durchregieren“ zu können. So hat sich die Praxis unserer parlamentarischen und repräsentativen Demokratie vom Grundgesetz entfernt - mit negativer Auswirkung. Denn zu den Zeiten der Großen Koalition hat das Parlament unter den Bundestagspräsidenten Lammert und Schäuble die Regierung Merkel nur sehr unzureichend kontrolliert und korrigiert. Den Höhepunkt dieser negativen Auswirkungen markiert das Staatsversagen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise 2015, als der Bundestag das selbstherrliche Handeln Merkels mehrheitlich abgenickt und sich so im Hinblick auf den unverantwortlichen Kontrollverlust des Staates zum Schaden seiner Bürger mitschuldig gemacht hat.

Und in der Bewältigung der Corona-Krise war das vom Parlament unzureichend kontrollierte politische Verhalten der Kanzlerin ähnlich. Am 25. März 2020 hat der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ausgerufen, um der Exekutive auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes umfangreiche Kompetenzen zu verleihen, die seither für immer neue Verordnungen und Bund-Länder-Absprachen – ohne Parlamentsbeteiligung - genutzt werden. Das ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich!

Merkel hat in dieser schwierigen Phase immer wieder versucht – weitgehend unter der „loyalen Selbstentmachtung des Parlaments“ – das Heft in der Hand zu behalten und in Deutschland die Bekämpfung der Pandemie gemeinsam mit den Ländern per Dekret und Verordnung zu bewältigen. Das ist ihr in vielen Bund-Länder-Konferenzen nicht gelungen. Die Kanzlerin hatte - wie immer – keinen Plan, kein Konzept und keine Strategie anzubieten – und somit keine Autorität. Die Kanzlerin verbreitete ihre „Sorgen“ durch Appelle und Auflagen – ohne diese aber der Bevölkerung sowie der gebeutelten Wirtschaft plausibel zu begründen. Das Ergebnis war ein unglaubwürdiges, oft nicht zu verstehendes Konglomerat von tief in die bürgerlichen Freiheiten eingreifenden Maßnahmen, die sich mit einem Zick-Zack-Kurs ständig änderten, und das unter den Bedingungen eines föderalen Flickenteppichs. Merkel fuhr nicht wie üblich ohne Plan auf Sicht, sondern zögerlich im Nebel, weil sie oft darin herumzustochern schien - und irgendwie ein wenig in Richtung DDR-light! Eine treffende Kritik lautet diesbezüglich: „Nicht plausibel und konsequent!“ Erfolg sieht ganz anders aus!

Es wird hohe Zeit, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ihre Pflichten zur Kontrolle des Regierungshandelns zum Wohle der Bürger wieder verantwortungsbewusst wahrnehmen und das - auch durch die vermurkste Wahlrechtsreform - verlorene Vertrauen zurückgewinnen! Dabei könnte auch die CDU/CSU die Gunst liberal-konservativer Wähler wiedererwerben.

Die CDU braucht einen Neuanfang – aus der politischen Mitte heraus und mit der politischen Mitte - mit einem zukunftsorientierten, EU-kompatiblen und transatlantisch ausgerichteten Programm. Die dazu erforderliche inhaltliche und zukunftsorientierte parteiinterne Auseinandersetzung darf die CDU weder scheuen noch vertagen – es ist ohnehin von Merkel/AKK schon zu viel Zeit vertrödelt worden. Denn die CDU muss nicht weniger als ein außenpolitisches Konzept auf der Grundlage definierter deutscher Interessen für die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der EU und mit der NATO entwickeln. Und Deutschland muss das Vertrauen der EU-Mitgliedstaaten und der NATO-Partner zurückgewinnen, denn ohne Vertrauen in Deutschland und in „made in Germany“ wird sich unsere Wirtschaft nicht schnell genug erholen.

Der Streit um die Kanzlerkandidatur muss umgehend beendet werden. Söder muss sein Versprechen umsetzen, dass er das Votum der CDU-Parteigremien respektieren wird – und dieses Votum für Laschet war einstimmig. Und die CDU darf sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht für einen Kanzlerkandidaten Söder der kleinen CSU entscheiden, denn Söder hat sich mehr als egozentrisch wortbrüchiger und narzistischer politischer Influencer eingebracht – viel mehr Schein als Sein! Und dass er kein erfolgreicher „Macher“ ist, zeigen die teilweise gravierenden bayerischen Misserfolge bei der Pandemiebekämpfung. Mit Söder als Kanzlerkandidat würde die CDU verzwergen.

Der Schaden, den Merkel in 16 Jahren angerichtet hat, muss behoben werden. Dazu muss die CDU gemeinsam mit Laschet wieder eine an der Zukunft und an der Sozialen Marktwirtschaft orientierte Volkspartei der Mitte werden. Der dafür erforderliche zukunftsorientierte Ruck gelingt allerdings mit „Weiter so!“ nicht!

(15.04.2021)

 

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