Hans-Heinrich Dieter

Alternativlos?   (30.10.2020)

 

Deutschland ist ein Rechtsstaat und auf der Grundlage des Grundgesetzes als parlamentarische Demokratie konstituiert. Es gilt die Gewaltenteilung und das vom Volk gewählte Parlament hat die Pflicht, im Auftrag der Bürger das Regierungshandeln zu kontrollieren. Seit Beginn der Pandemie gestaltet die Exekutive – Bund und Länder – am Parlament vorbei das politische Handeln zur Kontrolle der Pandemie mittels Verordnungen. Das Parlament hat das allerdings bereits im März ermöglicht und sich quasi selbst entmachtet.

Denn am 25. März 2020 hat der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ausgerufen, um der Exekutive auf der Basis des Infektionsschutzgesetzes umfangreiche Kompetenzen zu verleihen, die seither für immer neue Verordnungen und Bund-Länder-Absprachen – ohne Parlamentsbeteiligung - genutzt werden. Das ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich! Dabei hat Deutschland mit „Ermächtigungsgesetzen“ sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Und das Parlament darf nicht über längere Zeit quasi entmachtet sein. Deswegen hätte spätestens im Frühsommer, als sich die Pandemie einigermaßen im Griff zeigte, die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ für beherrschbar erklärt werden und das Parlament die Kontrolle über das Regierungshandeln wieder vollständig übernehmen müssen.

Bundestagspräsident Schäuble hat zwar vor gut einer Woche in einem sehr deutlichen internen Brief an alle Fraktionsvorsitzenden gemahnt, der Bundestag müsse seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen, „um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“. Diese zutreffenden Worte haben die verschlafenen GroKo-Politiker und die an dieser Problematik offenbar uninteressierten Medien ein wenig aufgeschreckt, die „Sondersituation“ und die Ermächtigung zum alternativlosen Durchregieren Merkels aber nicht beendet.

Die Bevölkerung versteht die teilweise unsinnigen und von Merkel unzureichend oder schlecht erklärten tiefen Einschnitte in die Freiheitsrechte immer weniger, und Gerichte haben unsinnige Verordnungen wie das Beherbergungsverbot teilweise kassiert. Und die Parlamentarier fühlten sich zuletzt durch immer weitere Corona-Rechtsverordnungen, die Merkel mit den Bundesländern beschließt, an den Rand gedrängt. Zum Beispiel in der vergangenen Woche, als es um weitreichende Entscheidungen zu einem „Lockdown light“ ging.

Denn das Bundeskanzleramt macht kurzfristig einen Termin für ein virtuelles Bund-Länder-Spitzentreffen, legt die zu diskutierenden Themen fest und erarbeitet dafür eine Gesprächsvorlage für Merkel. Es gab kein Konzept der Regierung, das zuvor dem Parlament zur Kenntnis gegeben und dann mit der Kanzlerin diskutiert und gegebenenfalls verändert werden konnte mit dem Ergebnis einer vom Parlament gebilligten Gesprächsgrundlage. Nach Merkels demokratischer Vorstellung ist das gut so, denn das was sie für augenblicklich richtig hält, ist für sie auch alternativlos: Warum dann „Diskussionsorgien“ im Bundestag – das hält nur auf! Und wenn man dann das Ergebnis betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, dass es nicht um die jeweils sinnvollste und beste Problemlösung ging, sondern um ein möglichst einstimmiges Kompromiss-Ergebnis auf der Grundlage kleiner gemeinsamer Nenner und um die Vermeidung eines weiteren „Flickenteppichs“.

Dementsprechend schwierig und kontrovers war die Diskussion dann am Donnerstag im Bundestag nach der Regierungserklärung Merkels zu dem mit den Ministerpräsidenten beschlossenen großen Maßnahmenkatalog, der einem zweiten Lockdown sehr nahe kommt – mit den entsprechenden weitreichenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Merkel erläutert dabei weniger die Maßnahmen inhaltlich und plausibel – das konnte sie noch nie – sondern wiederholt mehrfach ihr Mantra: die Maßnahmen seien „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“.

Genau das hat dann der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christian Lindner, in einer beeindruckenden, inhaltlich sehr fundierten sowie aussagekräftigen und sehr sachlich vorgetragenen Rede widerlegt: die beschlossenen Maßnahmen seien teilweise ungeeignet, nicht erforderlich, nicht nachvollziehbar und auch nicht verhältnismäßig. Nach Lindners Einschätzungen werden einige der sehr tiefen und weitreichenden Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger vor den Gerichten keinen Bestand haben – genauso wie das unsinnige Beherbergungsverbot! Die Bevölkerung wird weiter an Vertrauen in die Politiker verlieren, der Frust wird sich teilweise leider auch zur Wut entwickeln. Denn warum werden Restaurants und Kultureinrichtungen geschlossen, die sich im Sommer sehr viel Mühe um sinn- und wirkungsvolle Hygienekonzepte gegeben haben. Warum werden nachgewiesene Hauptspredderveranstaltungen wie Gottesdienste und Orgelkonzerte nicht verboten? Erfreulicherweise bleiben die Schulen und Kitas nun offen.

Auch die anderen Oppositionsfraktionen äußern sich negativ zu dem beschlossenen Maßnahmenkatalog, aber hauptsächlich zur unzureichenden Parlamentsbeteiligung. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, meint das Abwägen von drastischen Maßnahmen sowie zwischen Sicherheit und Einschränkungen der Freiheit brauchten den öffentlichen Diskurs und die parlamentarische Verankerung. Auch die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali, forderte eine Beteiligung der Abgeordneten. „Uns ist bei der Debatte und auch den Entscheidungen, welche Maßnahmen eingeleitet werden, wichtig, dass die Entscheidungen transparent gefällt werden, dass sie nachvollziehbar sind und eine Debatte in den Parlamenten dazu stattfindet - in Länderparlamenten, aber auch im Deutschen Bundestag.“ Richtige Worte, Worte, Worte… bisher ohne Wirkung.

Und wie erfüllt das Parlament nun seine gesetzlich festgelegte Pflicht zur Kontrolle des Regierungshandelns im Auftrag der Bürger? Weiterhin leider nicht. Denn die „Sondersituation“ als Grundlage für die „Ermächtigung“ der Regierung ist noch nicht für beendet erklärt. Das Parlament kann den Bund-Länder- Beschlüssen letzten Endes nur zähneknirschend zustimmen und muss mit anschauen wie die Exekutive einen Schulden-Wumms nach dem anderen unter Missachtung des finanzpolitischen Hoheitsrechtes des Parlamentes verordnet – zu Lasten unserer Kinder und Enkelkinder!

So wird Merkel weiter anmaßend durchregieren sowie autoritär als alternativlos erklärte Politik ohne hinreichende Parlamentsbeteiligung durchsetzen - und der pflichtvergessene Bundestagspräsident Schäuble wird sie zusammen mit den Merkel-Vasallen im Bundestag gewähren lassen. Da spricht der Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion berechtigt von einem Angriff auf die Demokratie. Aber wenn AfD-Politiker sachlich begründete und berechtigte Aussagen machen, dann hat das den negativen Effekt, dass Politiker anderer Parteien zu feige sind, es zuzugeben, wenn sie diese berechtigte und begründete Meinung teilen. Wir leiden in Deutschland inzwischen unter Meinungsdiktat und einer verkommenen Debattenkultur. Das muss sich ändern!

(30.10.2020)

 

 

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