Hans-Heinrich Dieter

Kleine vaterländische Kriege   (27.02.2015)

 

Der Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1941-45 wurde in der Sowjetunion als der Große Vaterländische Krieg historisch subjektiv aufbereitet. Die Archive sind auch heute nur teilweise verfügbar und es fehlt die kritische Aufarbeitung.

Zu Anfang des Krieges wurde die Wehrmacht von der Zivilbevölkerung, hauptsächlich von den deutschstämmigen Teilen im Baltikum und der Ukraine, als Befreier begrüßt. Im Laufe des Krieges hat sich das geändert. Mit 20 Millionen sowjetischen Todesopfern, darunter 7 Millionen Zivilisten, trug die Sowjetunion unter Stalin die Hauptlast des Zweiten Weltkrieges. In dieser Zeit ist es Stalin gelungen, die sowjetische Bevölkerung, trotz der vorherigen radikalen Säuberungspolitik, hinter sich zu vereinigen. Das wirkt auch heute noch nach.

Russland sucht heute nach alter Größe und Bedeutung. Die erste Entstalinisierungsphase unter Chruschtschow, die wirtschaftlich erfolgreiche aber politisch unergiebige Zeit Breschnews, die halbherzige Perestrojka unter Gorbatschow und die Gründung der Russischen Föderation durch Jelzin geben wenig Anlass zu russischem Stolz und hehrem Nationalgefühl.

Der Sieg über Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg scheint daher auch aktuell noch der Gründungsmythos des Putinschen Neuen Russland zu sein und die Stalinsche Formel von der "Befreiung der Völker Europas vom Faschismus" durch die Rote Armee mit Stalin als "Führer" ist geeignet, einen imperialen und globalen Machtanspruch Russlands zu begründen.

Stalin ist daher heute nicht mehr einer der großen Verbrecher des 20. Jahrhunderts, neben Hitler und Mao, sondern nach der Sprachregelung des Kreml "ein Mensch mit gewissen Schwächen und Defiziten, die indes durch seine politischen wie militärischen Leistungen im Kampf gegen den Faschismus mehr als aufgewogen werden." Da wundert es nicht, dass Putin 2013 zum 70jährigen Jubiläum des russischen Sieges bei Stalingrad die Stadt Wolgograd wieder Stalingrad heißen ließ, und sei es nur für wenige Tage. Wichtig ist das Symbol und die Erinnerung an den Mythos von der Größe, der Stärke und vom Heldentum Russlands - jetzt unter dem starken Führer Putin, der "Neu-Russland" zu alter Größe und Bedeutung verhelfen will. Dieses Ziel kann nicht im Einvernehmen mit Europa erreicht werden, sondern nur durch eine kontrollierte Konfrontation mit Europa.

Deswegen hat Putin sich außerhalb der Partnerschaft mit Europa gestellt und die ehemalige Ostpolitik Deutschlands einseitig aufgekündigt. Putin begreift sich als Gegner Europas und scheint zu Verhandlungen nur zu seinen Konditionen bereit zu sein. Denn mit Verhandlungen sind Landgewinne nicht zu erreichen. Machtzuwachs und Rückeroberung von "verlorenem" Terrain sind nicht im Einklang mit internationalem Recht und mit dem Völkerrecht zu erzielen, sondern nur durch Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität von Staaten im "alten" russischen Interessen- und Einflussgebiet. Deswegen hat Putin mit Mitteln des verdeckten Krieges die Krim annektiert und führt seit geraumer Zeit einen verdeckten Krieg gegen die Ukraine mit dem Ziel, die Ostukraine einschließlich eines Landweges zur Krim abzuspalten und die Ukraine dauerhaft zu destabilisieren.

Und nun wundern sich naive westliche Politiker und Medien, dass jetzt ein Kreml-Strategiepapier aus dem Februar 2014 aufgetaucht ist, das aufzeigt, mit welchen geeigneten Mitteln Putin die Ukraine destabilisieren und spalten kann, ohne das Land letztlich als Energieabsatzmarkt zu verlieren. Eine Atommacht wie Russland hat selbstverständlich klare Zielvorstellungen für seine verdeckte Kriegführung in der Ukraine, unterhalb der Schwelle zur offenen konventionellen und weit unterhalb der Gefahr einer nuklearen Konfrontation , und plant die erforderlichen Schritte zur Realisierung russischer Interessen abschnittsweise - abhängig vom Erfolg der russischen Propaganda- und Desinformationskampagne und von der Heftigkeit der jeweiligen Reaktionen Europas und der westlichen Welt. Dabei geht Putin davon aus, dass die westliche Welt auf die neue Form der hybriden und nicht-linearen Kriegführung nur dann militärisch antworten wird, wenn ein NATO-Partner angegriffen wird. Deswegen werde die "schwache und dekadente" westliche Welt die Annexion der Krim und die Abspaltung der Ost-Ukraine auf Dauer als unveränderbare Realität hinnehmen. Putin wird seine "kleinen vaterländischen Kriege" für Neu-Russland so lange und so weit führen, wie die westliche Welt ihn Land und Macht gewinnen lässt. Bisher kann das nationalistische Russland mit seinem "Führer" Putin ganz zufrieden sein.

Die USA sind weit weniger pazifistisch eingestellt und illusionsverhaftet als Europa. Bei einer Anhörung im US-Senat in Washington sagte der Nationale Geheimdienstdirektor Clapper, die prorussischen Separatisten würden sich derzeit für eine Frühjahrsoffensive auf die ostukrainische Hafenstadt Mariupol neu formieren. Die US-Geheimdienste gingen davon aus, dass Russlands Präsident Putin die Kontrolle über Teile der Ostukraine samt einem Landzugang zur Krim gewinnen wolle. Es gebe aber keine Erkenntnisse, dass er die Eroberung des ganzen Landes anstrebe - da atmet die westliche Welt erst einmal erleichtert auf! Aber der Ukraine geht es schlecht, Minsk II ist fragil und der russische "Gas-Krieg" gegen die Ukraine wird mit dem erpresserischen Hinweis auf die schweren Folgen für den Rest Europas weiter geführt. Polen und die baltischen Staaten kennen die Russen aus schlimmen Erfahrungen gut und sind mit Recht beunruhigt.

Welches Ausmaß an Leid und welche schlimmen Entwicklungen für die ukrainische Bevölkerung braucht der Westen noch, um eine konsequente Politik gegenüber Russland zu betreiben. Zu einer konsequenten und gemeinsamen Politik Europas und der USA gehören eine weitergehende Isolierung Russlands, verschärfte Wirtschaftssanktionen, die Verstärkung angemessener Abschreckungsmaßnahmen und die stetige Verringerung der Abhängigkeiten von russischen Energielieferungen.

(27.02.2015)

 

Lesen Sie zum Thema auch:

http://hansheinrichdieter.de/html/staatsmannputin.html

 

 

nach oben

 

zurück zur Seite Klare Worte