Hans-Heinrich Dieter

Gefährdetes Israel   (22.07.2023)

 

Der mutmaßliche Straftäter Netanjahu agiert schon lange gegen den Frieden in Nahost und die Parlamentswahlen 2022 haben Israel ein Parteienbündnis aus rechtskonservativen, ultra-religiösen und rechtsextremen Politikern unter Führung des rechtsradikalen ehemaligen Premiers Netanjahu beschert, der sich wegen Korruption verantworten muss. Israel ist dadurch gefährlich nach rechts gerückt und die daraus resultierende Politik wirkt sich gefährlich aus. Die Gewalt hat in Israel und in den besetzten Gebieten deutlich zugenommen und die am weitesten rechts orientierte Regierungskoalition, die Israel je hatte, kann durchaus für die Provokation von vielfältiger Gewalt verantwortlich gemacht werden. Die Zeit ist religiös und politisch stark aufgeladen!

Die erstmals im Kabinett vertretenen rechtsextremen und ultrareligiösen Politiker haben mit Billigung von Netanjahu die völkerrechtswidrige „Landnahme“ im Westjordanland verstärkt. Der Siedlungsausbau wird nun auch in Gebieten vorangetrieben, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. Damit agiert Israel gegen die Zwei-Staaten-Lösung, die Frieden im Nahen Osten bringen könnte. Das Apartheid-Verhalten der Israelis gegenüber den Palästinensern, aber auch gegenüber den arabischstämmigen Israelis, hat ebenfalls zugenommen. Schon am 1. Februar 2022 präsentierte Amnesty International einen umfassenden Bericht, in dem es Israel vorwirft, an den Palästinensern Apartheid zu verüben und damit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Und das hat nichts mit Antisemitismus zu tun, denn in einer repräsentativen Umfrage unter der jüdischen Wahlbevölkerung in den USA stimmten immerhin im Jahr 2021 25 Prozent der Befragten der Aussage zu, Israel sei ein Apartheid-Staat. Inzwischen hat sich das beklagte Verhalten noch verstärkt. Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner setzen geradezu auf Eskalation. Und die Gegner Israels mobilisieren ihre Kräfte!

Und das sind nicht die einzigen Probleme, die die rechtsextreme Regierung Netanjahus hervorgebracht hat. Seit Wochen tobt ein Streit um die geplante Justizreform in Israel. Israel hat keine Verfassung, sondern nur eine Reihe von grundlegenden Gesetzen, die das Parlament jederzeit ändern oder abschaffen kann. Eine zweite Kammer gibt es nicht – und an internationale Rechtsprechung fühlt sich Israel ohnehin nicht gebunden. Nur die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes haben der Regierung bisher die Grenzen der Macht aufgezeigt. Und diese für die Demokratie so wichtige Gewaltenteilung soll nun stark dadurch begrenzt werden, dass Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes durch einfache Mehrheitsentscheidungen der Knesset für ungültig erklärt werden können. Das Parlament soll sich also künftig über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzen können, und zwar auch dann, wenn es zum Beispiel um die Rechte von Minderheiten geht. Die Regierung und ihre gewählte Mehrheit im Parlament haben damit die Möglichkeit zur freien und ungebremsten Machtentfaltung. Da stelle man sich vor, dass beispielsweise ein Finanzminister, der neulich forderte, der Staat Israel solle als Reaktion auf einen Terroranschlag eine von rund 7000 Palästinensern bewohnte Stadt im besetzten Westjordanland „ausradieren“, seine „Macht“ ungebremst ausüben kann. Ob Israel nach einer solchen Justizreform noch das Prädikat „Demokratischer Rechtsstaat“ verdient, muss bezweifelt werden. Denn Demokratie lebt davon, dass der Macht Grenzen gesetzt sind.

Viele demokratisch gesinnte Israelis haben begriffen, dass viel auf dem Spiel steht. Seit Monaten gehen Woche für Woche 100-Tausende auf die Straße, und zwar nicht, weil ihnen das letzte Wahlergebnis nicht gefällt, wie Netanjahu und seine Anhänger behaupten, sondern weil es um die Grundfesten der Demokratie in Israel geht. Unter den Demonstranten sind neben vernunftbegabten Israelis, Intellektuelle, Juristen und Kunstschaffende und inzwischen auch hohe Militärs, sehr viele Reservisten und sogar Angehörige des Geheimdienstes Mossad – das gibt einen Eindruck von der Qualität des Widerstandes gegen Netanjahu und seine rechtsextremistischen Kumpane und von der Bedeutung des Kampfes für die Demokratie.

Das massive und durchhaltefähige Aufbegehren des demokratischen Israels gegen die rechtskonservativen, ultra-religiösen und rechtsextremen Regierungs-Politiker, die die rechtsstaatliche Gewaltenteilung zu ihren Gunsten reduzieren wollen – zum Schutz vor anhängiger Strafverfolgung oder für die freiere Hand für Ãœbergriffe in den besetzten Gebieten oder gegen arabische Israelis – hat bisher nur geringfügige Auswirkungen. Netanjahu hat die Abstimmung über das Gesetz in der Knesset einmal verschoben, dann aber die Vorbereitungen dafür mit geringfügigen Änderungen wieder aufgenommen. Netanjahu ist auf die Vermittlungsangebote des Präsidenten Herzog nicht eingegangen. Das Aufbegehren des demokratischen Souveräns interessiert ihn offensichtlich nicht und auch Mahnungen von herausragenden Vertretern der israelischen Sicherheits-Institutionen, der Nachrichtendienste und des Militärs haben ihn aus Angst vor Strafverfolgung und vor seinen rechtsextremen Kabinettskollegen nicht zum Einlenken bewegt. Israel ist tief gespalten Ein liberales, weltoffenes Milieu steht rechtsextremen, ultraorthodoxen und national-konservativen Gruppen gegenüber. Israel gefährdet seine innere Sicherheit in sehr starkem Maße und schwächt so seine äußere Sicherheit in gefährlichem Ausmaß!

Die USA sind der stärkste und wichtigste Garant für die Sicherheit Israels. Kürzlich hat Präsident Herzog die USA besucht. US-Präsident Biden hat ihn freundlich empfangen, aber nicht mit deutlichen und mahnenden Worten in Richtung Israel gespart. Einer Einladung an Netanjahu hat er sich bisher widersetzt. Das sollte dem rechtsradikalen mutmaßlichen Straftäter eigentlich zu denken geben. Deutschland kann das großspurige Versprechen, dass „die Sicherheit Israels, Teil der deutschen Staatsraison“ sei, als außenpolitischer Zwerg und sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer nicht einlösen. Aber das demokratische Israel ist ein wichtiger Verbündeter und auch ein politischer Freund. Deswegen sollte Deutschland zusammen mit der EU klar gegen die geplante Justizreform Stellung beziehen und von jeglichen unterstützenden Maßnahmen so lange Abstand nehmen, wie diese antidemokratische und antirechtsstaatliche „Reform“ vorangetrieben wird. Und so lange sollten auch deutsch-israelische Regierungskonsultationen ausgesetzt werden!

Zurzeit berät der Justizausschuss des Parlaments in Mammutsitzungen mehr als 27.000 Änderungen und Vorbehalte gegen das Gesetz. Am Montag werden Teile des Gesetzesvorhabens in der Knesset verhandelt, man kann derzeit nur hoffen, dass Netanjahu und Konsorten zur Vernunft kommen. Wenn Israel in Zukunft kein „Demokratischer Rechtsstaat“ mehr sein sollte, dann müssen unsere politischen Beziehungen ganz neu und den Realitäten entsprechend geregelt werden. Denn Deutschland dürfte mit einem teilweise rechtsextremen Apartheid-Staat, der wiederholt und bewusst das Völkerrecht bricht, nicht befreundet sein!

(22.07.2023)

 

 

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