Hans-Heinrich Dieter

Failing Democracy   (01.03.2023)

 

Die neue israelische Regierung, die am 29.12.22 in Jerusalem vereidigt wurde, ist die am weitesten rechts orientierte Koalition die Israel je hatte. Erstmals sind auch rechtsextreme Politiker im Kabinett vertreten. Und in den Leitlinien der Regierung ist auch festgelegt, dass sie den Siedlungsausbau auch in Gebieten vorantreiben will, die die Palästinenser für einen künftigen Staat beanspruchen. Damit agiert Israel gegen die Zwei-Staaten-Lösung, die Frieden im Nahen Osten bringen könnte. Seit Dezember hat Israel seine völkerrechtswidrigen Aktionen verstärkt und dadurch eine regelrechte Protestwelle liberal und demokratisch orientierter israelischer Bürger hervorgerufen. Diese vernunftbegabten Israelis halten die neue Regierung für kriminell und korrupt. Da wundert es nicht, dass die Demonstranten z.B. ein Transparent präsentieren, das ein Bild von dem mutmaßlichen Straftäter Netanjahu mit dem Schriftzug „Crime Minister“ zeigt!

In den letzten Monaten hat sich die gegenseitige Gewalt deutlich verstärkt. Palästinensische Attentäter verübten eine Reihe von Anschlägen gegen Israelis, das israelische Militär griff wiederholt palästinensische Stellungen und Dörfer an. Bei einer israelischen Militäroperation gegen Mitglieder der radikalen palästinensischen Untergrundorganisation „Lions´ Den“ kam es zu einem schweren Feuergefecht, bei dem 11 Palästinenser erschossen und über 100 verletzt wurden. Da es bei den Israelis keine Verluste gab, kann man von einer starken Ãœberreaktion des israelischen Militärs ausgehen – das hat dann Vergeltungsangriffe zur Folge.

Nach der jüngsten Zunahme tödlicher Gewalt wollten Vertreter der Palästinenser und Israels die Lage durch vertrauensbildende Maßnahmen stabilisieren. Beide Konfliktparteien einigten sich bei einem Treffen in der jordanischen Hafenstadt Akaba am vergangenen Sonntag auf einen „direkten Dialog“. Israelis und Palästinenser wollten „einseitige Maßnahmen“ für drei bis sechs Monate aussetzen, hieß es ohne weitere Details. Israel verpflichtete sich, vier Monate lang keine Diskussionen über den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland zu führen und sechs Monate lang keine neuen Siedlungs-Außenposten zu genehmigen. Schon am Abend nach dem Treffen hat sich Netanjahu von den Vereinbarungen distanziert – ein unglaubliches Verhalten!

Nur zwei Stunden nach dem Treffen in Akaba kam es dann zu einem erneuten Anschlag im Westjordanland. In Hawara, einem Ort nahe der Stadt Nablus, erschossen bewaffnete Palästinenser zwei israelische Zivilisten. Nach dem Anschlag kam es in der Ortschaft zu schweren Ausschreitungen israelischer Siedler, die mehr als 30 Häuser von Palästinensern sowie Läden und Autos in Brand gesetzt haben. Diese Auseinandersetzung könnte aber noch weitreichendere Folgen haben. So kündigten Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und sein Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, an, ein Gesetz zur Einführung der Todesstrafe für Terroristen zu verabschieden – gemeint sind natürlich die palästinensischen Terroristen und nicht der israelische Siedler-Mob, dessen haarsträubende Aktion durchaus als Terrorakt eingestuft werden könnte, auch wenn radikale Knesset-Abgeordnete die Untat „gefeiert“ und weitere Aktivitäten dieser abscheulichen Art gefordert haben!

Und vor solchem Gewalt-Hintergrund plant die Israelische Regierung die Änderung des israelischen Justizsystems. Unter anderem soll die Regierung mehr Einfluss bei der Auswahl von Richtern erhalten und das Parlament soll Entscheidungen des Obersten Gerichts künftig mit einfacher Mehrheit aufheben können. Das sind eindeutige Angriffe auf die Gewaltenteilung der Demokratie und auf die Unabhängigkeit der Judikative! Gegen diese von der ultrarechten Regierung unter Netanjahu angestrebte Änderung des Justizsystems wird in Israel seit Wochen landesweit demonstriert. Erste Teile des Gesetzesvorhabens wurden von der Knesset bereits gebilligt.

Israel steht vor sehr schwierigen Zeiten! Und Deutschland sollte sich im Verhältnis zu Israel ehrlicher machen und die Zusicherung Merkels, dass „Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson“ sei, offiziell in Frage stellen. Dazu kam es natürlich bei dem gestrigen Treffen von Außenministerin Baerbock und ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen in Berlin nicht. Baerbock fand allerdings während des Antrittsbesuchs ihres israelischen Kollegen durchaus deutliche Worte. Die Sorge in Deutschland sei groß, seit Israel eine geplante Änderung des Justizsystems verkündet hatte: „Zu den Werten, die uns verbinden, gehört der Schutz rechtsstaatlicher Prinzipien wie die Unabhängigkeit der Justiz. Das war immer ein Aushängeschild Israels.“ Und: „Mit besonderer Sorge sehen wir den Plan, die Todesstrafe einzuführen. Die Bundesregierung ist aus tiefer Ãœberzeugung gegen die Todesstrafe!“

Den deutlichen Worten sollten Taten folgen, denn die Zusammenarbeit im Sinne eines „weiter so“ ist auf dieser undemokratischen Grundlage nicht erfolgversprechend möglich. Wir sollten tatsächlich die Zusicherung Merkels, dass „Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson“ sei, möglichst zurücknehmen. Denn wie können wir eine Sicherheit gewährleisten, die Israel selbst ständig gefährdet, und wie können wir uns für Frieden im Nahen Osten, zum Beispiel auf der Grundlage einer Zweistaaten-Lösung einsetzen, wenn Israel solche Friedensmöglichkeiten mit Wort und Tat torpediert? Wir sollten die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen aussetzen, bis Israel zu demokratischer Vernunft zurückgefunden hat. Und Deutschland sollte sein Sonderverhältnis zu Israel beenden, denn es sind die UN und die EU, die die zukünftige Politik Israels sehr kritisch begleiten müssen und dabei versuchen sollten, die Zweistaatenlösung weiter zu verfolgen, um endlich Frieden zu schaffen! Und Deutschland sollte sich der EU-Politik solidarisch anschließen.

(01.03.2023)

 

Bei Interesse lesen Sie auch:

https://www.hansheinrichdieter.de/html/israelsrechtsruck.html

http://www.md-office-compact.de/Israel.htm

 

 

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