Hans-Heinrich Dieter

Élysée-Vertrag   (21.01.2023)

 

Frankreich ist unser liebstes Reiseland und es ist sehr schön, dass Frankreich und Deutschland vor 60 Jahren Freundschaft geschlossen haben. Aus „Erbfeinden“ wurden europäische Zweck-Freunde! Allerdings verbanden sich da ungleiche Partner mit unterschiedlichen politischen Zielsetzungen.

Und doch gelang nur 18 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges den Staatsmännern De Gaulle und Adenauer die Aussöhnung. Der Élysée-Vertrag hat die Entwicklung einer Freundschaft zwischen Franzosen und Deutschen ermöglicht und bleibt die politische, rechtliche und symbolische Grundlage für eine beispielhafte Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten auch im Hinblick auf die Einigung Europas, trotz der teilweise unterschiedlichen politischen Zielsetzungen.

Frankreich verstand sich als Sieger im Zweiten Weltkrieg und wurde Atommacht und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und Frankreich wollte immer Grande Nation sowie militärische Führungsmacht sein und war der NATO gegenüber immer skeptisch. Deutschland entwickelte sich auch Dank des Marshall-Planes der USA sehr schnell zu einer in Europa führenden Wirtschaftsmacht sowie zu einem wichtigen NATO-Mitglied mit vergleichsweise starken und einsatzbereiten Streitkräften. Und anders als für Frankreich war die Transatlantische Gemeinschaft und die NATO-Mitgliedschaft für Deutschland immer von ganz besonderer Bedeutung. Die Zusammenarbeit war eine lange Zeit positiv, aber es gab immer wieder auch Unstimmigkeiten, zum Beispiel als sich Frankreich gegen die deutsche Wiedervereinigung gestellt hatte. Und trotzdem wurde die deutsch-französische Zusammenarbeit als „Motor“ für die Entwicklung der EU betrachtet.

Vor diesem Hintergrund haben Macron und Merkel die deutsch-französische Zusammenarbeit am 22. Januar 2019 erneuert. Dieser Vertrag von Aachen knüpft an den Élysée-Vertrag von 1963 an. Der neue Vertrag ist ein Bekenntnis zu einem starken, zukunftsfähigen und souveränen Europa.

Beide Staaten wollen ihre Zusammenarbeit in der Europapolitik vertiefen. Sie setzen sich für eine wirksame und starke gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein; sie stärken und vertiefen die Wirtschafts- und Währungsunion. Ein Deutsch-Französisches Zukunftswerk soll als Dialogforum und Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft für neue Herausforderungen oder Regelungsbedarfe gemeinsame Antworten entwickeln.

Das ging eine ganze Weile ziemlich gut, doch seit einiger Zeit bröckelt diese Freundschaft, denn vor allem in der Sicherheitspolitik gehen die Partner vermehrt eigene Wege. Die Verstimmung ging so weit, dass Paris die letzte gemeinsame Regierungskonsultation in Paris ohne Absprache nicht ausgerichtet hat. Ein Affront erster Ordnung!

Das hat auch mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun. Der selbstverliebte Macron spielt sich gerne in seiner Rolle als Präsident der Grande Nation als „Führer Europas“ auf. Dabei hält er visionäre Reden, die sich bei näherem Hinsehen als hochstaplerische Illusionen erweisen. Macron redete auch über eine europäische strategische Autonomie und vergisst dabei, dass man dafür eine handlungsfähige EU mit der Befähigung zur globalen Machtausübung braucht. Die Europäische Union, und damit auch Europa, ist aber in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand - und Frankreich ist mitschuldig an dieser Lage. Macron geht es auch immer wieder um eine gesteigerte Unabhängigkeit von den USA und er hat in diesem Zusammenhang die NATO schon für „hirntot“ erklärt. Als einziges EU-Mitglied verfügt Frankreich aber nur über vergleichsweise marginale Nuklearfähigkeiten, die den nuklearen US-Schutzschirm über Europa in keiner Weise ersetzen können und mit nur einem Flugzeugträger nur über stark eingeschränkte Interventionsfähigkeiten. Der Wille der Grande Nation zur Intervention - hauptsächlich in den ehemaligen französischen Kolonien - ist grundsätzlich vorhanden, die Fähigkeiten der Grande Armée sind aber auch hier sehr begrenzt, wie das französische Versagen bei der Terrorismusbekämpfung in Mali dokumentiert.

Der Ukrainekrieg und die „Zeitenwende“ hat diese Entwicklung verstärkt. Kanzler Scholz setzt im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine auf die intensive Abstimmung mit den USA, mit den NATO-Partnern und der EU. In diesem Rahmen hat Deutschland schon sehr umfangreiche humanitäre Hilfe geleistet und auch in großem Umfang Waffen geliefert – allerdings noch keine Kampfpanzer. Frankreich hat die Ukraine mit Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe vergleichsweise sehr geringfügig unterstützt. Auch in diesem Konflikt zeigt sich Macron eher als „Maulheld“! Denn noch im Dezember 2022 hatte Macron erklärt, es gäbe für ihn zwei „rote Linien“ bei Waffenlieferungen: Sie dürften Frankreichs Fähigkeit zur Selbstverteidigung nicht einschränken, und Paris dürfe nicht zum Teilnehmer am Krieg werden. Dann hat Macron Anfang Januar 2023 ohne Absprache mit den Partnern erklärt, dass Frankreich der Ukraine Radpanzer mit 105 mm Kanone an die Ukraine liefern will – allerdings nur in Kompaniestärke mit 14 Panzern – und hat so Präsident Biden und Scholz in Erklärungsnöte gebracht. Gute Zusammenarbeit sieht anders aus!

Aber auch Scholz handelt unabgestimmt. Sein Lieblingsprojekt, die European Sky Shield Initiative, hat er ohne Absprache mit Frankreich angekündigt. 15 Nationen wollen sich an der gemeinsamen Flugabwehr beteiligen, Frankreich bleibt außen vor. In Paris wiederum ist man auch verstimmt, weil Deutschland das amerikanisch-israelische Flugabwehrsystem „Arrow 3“ einkaufen will und nicht auf eine europäische Lösung setzt. Gleiches gilt für der Kauf von F35-Jets für die nukleare Teilhabe Deutschlands. Das vermittelt den Eindruck, dass das deutsch-französische Verhältnis so schlecht ist wie seit Jahren nicht mehr!

Das wird sich so schnell auch nicht ändern, denn bei grundlegenden strategischen Fragen und Zielsetzungen liegen beide Länder schon sehr lange weit auseinander. Vom französischen Präsidenten angestoßene Debatten zu einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie wurden nicht weitergeführt, weder von Merkel noch von Scholz. Und während Macron seit Jahren strategisch teilweise illusionär über nationale und europäische Autonomie nachdenkt, fordert Deutschland eine „wertebasierte Außenpolitik“ – neuerdings feministisch geprägt – und setzt dagegen weiterhin auf die NATO und vor allem auf die traditionellen amerikanischen Sicherheitsgarantien für Europa.

Der deutsche Ansatz ist sehr viel mehr an der sicherheitspolitischen Realität orientiert als Macrons Illusionen. Denn wie die von Merkel kaputtgesparte Bundeswehr sind auch die französischen Streitkräfte in einem schlechten Zustand und die nukleare force de frappe ist bei weitem nicht in der Lage, den nuklearen Schutzschirm für Europa zu gewährleisten.

Deswegen wird nur eine EU-NATO-Kooperation - zusammen mit den USA – mit werteorientierter, konsequenter, multilateral ausgerichteter und gemeinsamer Politik Erfolg haben und sich international gestaltend auswirken können. Und für eine erfolgreiche EU-NATO-Kooperation muss sich die EU endlich strukturell reformieren und außenpolitisch handlungsfähig machen. Eine reformierte EU wird neben sich keinen selbsternannten „Führer Europas“ – weder Macron noch Scholz – brauchen, sondern solidarische Mitgliedstaaten, die unsere Werte teilen und gemeinsam in Frieden und Freiheit leben wollen!

Die Feierlichkeiten zum 60 jährigen Jubiläum werden hoffentlich dazu beitragen, die Unstimmigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu überwinden. Deutschland und Frankreich sollten ihre vertraglich festgelegte Zweckfreundschaft wiederbeleben und gemeinsam die EU-NATO-Kooperation fördern und nationale Egoismen überwinden. Eine außenpolitisch handlungsfähige EU und eine einsatzfähige NATO werden in der „Zeitenwende“ mehr denn je gebraucht!

(21.01.2023)

 

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