Hans-Heinrich Dieter

Bis zum Abgrund - und zurück!    (20.02.2018)

 

Das Motto der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) lautet: Bis zum Abgrund und zurück! Wolfgang Ischinger, der Leiter der Konferenz, warnte denn auch: die Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, ist bedroht; alle Kontrolllampen blinken schon rot!

Die Konferenz in München bringt jährlich viele wichtige Politiker und sicherheitspolitische Fachleute zusammen und vor allem auch jene, deren politische und sicherheitsrelevante Interessen einander derzeit diametral entgegenlaufen. Und sie widmet sich frühzeitig neuen sicherheitsrelevanten Themen, die die Zukunft mitbestimmen, zum Beispiel grassierender internationaler Terrorismus, Hybride Kriegsführung und Cyber-War. Das Ziel ist: Den sicherheitspolitischen Diskurs zu führen, Risiken zu identifizieren und eingehend zu analysieren, Hintergrundgespräche zu führen und Vertrauen zu erhalten oder versuchen zu schaffen. Und es ist auch eine Gelegenheit, Klarheit über die politische Lage zu gewinnen und Illusionen abzuräumen.

Wer den Schlagabtausch zwischen dem russischen Außenminister Lawrow sowie dem amerikanischen Sicherheitsberater McMaster aufmerksam verfolgt hat und sich die jeweiligen, auch nuklearen Rüstungsaktivitäten vor Augen führt, wird feststellen müssen, dass wir uns in einer neuen Phase des „Kalten Krieges“ zwischen den USA - zusammen mit der NATO – und Russland befinden – am Abgrund stehen die nuklearen Führungsmächte aber nicht. Die NATO hat die transatlantische Partnerschaft beschworen und die europäischen NATO-Staaten aufgefordert, mehr in die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit zu investieren und das gemeinsam vereinbarte Investitionsziel 2 Prozent vom jeweiligen BIP bis 2024 anzunähern. Einer aggressiven russischen Politik müssen die USA und die Europäische Union, zusammen mit der NATO, gemeinsam und konsequent begegnen, bis Russland – nach McMaster derzeit eine „revisionistische Macht“ - zu erkennen gibt, dass es an einer Partnerschaft erneut interessiert ist. Die NATO hat derzeit Lücken in der Fähigkeit zur Bündnisverteidigung, ist aber mehrheitlich bereit, diese Lücken zu schließen. Ein Abgrund tut sich derzeit nicht auf.

Die MSC lieferte auch mehrfache Bekenntnisse zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik, wie sie 2017 mit PESCO verbal und in ersten Ansätzen planerisch ins Leben gerufen wurde. Darüber hinaus hat man erkannt, dass Europa in der derzeitigen welt- und sicherheitspolitischen Lage an Bedeutung und Gewicht verliert, wenn man nicht endlich zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, findet, von der seit 1999 geredet wird, ohne dass eine gemeinsame Zielsetzung und ein politisches Konzept für deren Umsetzung entwickelt worden wäre.  Eine eigene Verteidigungsfähigkeit wird die EU aber in den nächsten zwei Jahrzehnten nicht erreichen, denn die einzige Nuklearmacht in der EU ist zukünftig Frankreich mit marginalen Fähigkeiten im Vergleich zu Russland und den USA. Die gemeinsame Verteidigungspolitik ist bisher nur eine lose Idee, die kostenintensiv mit viel Leben gefüllt werden muss. Und an eine spätere gemeinsame EU-Außenpolitik mag man glauben – muss man aber als Realist nicht wirklich, denn die derzeitig zerstrittene und mehrfach gespaltene EU hat kaum Aussicht auf diesbezüglichen Erfolg. Die EU bleibt krisengeschüttelt, am Abgrund steht sie aber noch lange nicht.

Der Nahe Osten wurde durch die Auseinandersetzung mit dem syrischen Bürgerkrieg, mit dem türkischen Einmarsch in Syrien, mit der damit verbundenen möglichen militärischen Konfrontation zwischen den NATO-Partnern USA und Türkei sowie einer Konfrontation zwischen syrischen – von Russland unterstützten – Truppen mit den türkischen Invasoren und durch die israelisch - iranischen Auseinandersetzungen, die bis nach Syrien hineingetragen werden, als hochexplosives Pulverfass offenbar, an dem die unterschiedlichsten Autokraten, Nationalisten und Islamisten, teilweise mit osmanischen Machtvorstellungen zündeln. Der Nahe Osten steht am Abgrund, ohne dass die westliche Welt genauere Vorstellungen oder einen Plan hätte, wie man eine mögliche Katastrophe mit globalen Auswirkungen schnell und nachhaltig verhindern kann.

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger, sagte ernüchtert und wenig zufrieden zum Abschluss des Treffens, dass in den Reden durchaus klar geworden sei, was in der Welt falsch laufe und welche die Gefahren sind, aber man habe nicht genug konkrete Schritte gehört, um die Probleme zu lösen. Und so war die MSC eine Abfolge von Ankündigungen, Absichtserklärungen, Proklamationen, eitlen Selbstdarstellungen und auch Propaganda mit zu wenig Zeit zur Diskussion und Auseinandersetzung.

An diesem eingeschränkten Erfolg hat auch Deutschland Anteil. Denn insbesondere Verteidigungsministerin von der Leyen, die die Konferenz zusammen mit ihrer französischen Kollegin Parly eröffnete, machte äußerlich durchaus einen guten Eindruck, aber den Fachleuten im Publikum werden Zweifel an der Glaubwürdigkeit Deutschlands aufgekommen sein. Deutschland verspricht seit Jahren vollmundig, international und weltweit mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, aber insbesondere auch seine Verpflichtungen innerhalb der Nato zu erfüllen. Die Ministerin betont in München, Europa müsse „auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen“, und es brauche „eine gemeinsame strategische Kultur Europas. Ein gemeinsames europäisches Verständnis unserer Interessen, unserer Ziele und unserer Instrumente des äußeren Handelns“. Diese Proklamationen klingen gut, glaubhaft werden sie nur, wenn der Wille zur Realisierung auch deutlich erkennbar wird. Da fehlt es Deutschland – und alle wissen es.

Die NATO-Mitglieder haben gemeinsam vereinbart, sich bis zum Jahr 2024 bei Verteidigungsinvestitionen der Höhe 2 Prozent vom jeweiligen Brutto-Inlands-Produkt anzunähern. Frankreich liegt derzeit bei 1,8 Prozent, Deutschland dümpelt schon länger bei blamablen 1,2 Prozent herum und der 51. Finanzplan sieht eine richtungsweisende Steigerung nicht vor. Frankreich hat einen detaillierten Plan vorgelegt, wie es bis 2025 das NATO-Ziel erreichen will, Deutschland kann einen solchen Plan nicht vorweisen. Die Verteidigungsministerin hat 2016 ein Konzept vorgestellt, wie die Einsatzbereitschaftslücken der Bundeswehr bis 2030 geschlossen werden können und einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von 130 Milliarden Euro errechnet – das ergibt einen Bedarf von etwa 9 Milliarden zusätzlich pro Jahr. Im Entwurf des Koalitionsplans ist in keiner Weise abgebildet, dass man die NATO-Vereinbarung ernst nimmt und in der kommenden Legislatur-Periode sollen lediglich jährlich 250 Millionen – statt 9 Milliarden - zusätzlich bereitgestellt werden. Das ist unzureichend und angesichts der desolaten Einsatzbereitschaftslage des „Sanierungsfalls“ Bundeswehr geradezu lächerlich. Die von der Ministerin immer wieder hervorgehobenen „Trendwenden“ Personal, Material und Finanzen sind bisher ohne nennenswerten Erfolg geblieben. Der Wehrbeauftragte spricht in seinem heute vorgelegten Bericht davon, dass in den letzten zwei Jahren die Einsatzbereitschaftslücken der Streitkräfte nicht kleiner, sondern vielmehr größer geworden sind. Propagierter Anspruch und traurige Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Die Verteidigungsministerin ist glück- und erfolgslos. Die Wenigen in der Bundeswehr, die sich Kontinuität mit dieser Ministerin wünschen, müssen sich auf kontinuierliche Erfolglosigkeit einstellen.

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik kann nur gelingen auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und solidarischem Verhalten. Mit dem von der deutschen Verteidigungsministerin zelebrierten Maulheldinnentum verliert Deutschland Vertrauen und Glaubwürdigkeit, zum Nachteil der NATO und der Europäischen Union. Und solange es „nicht genug konkrete Schritte“ zu echten Problemlösungen gibt, bleibt die NATO mittelfristig der einzige glaubwürdige und handlungsfähige Garant der äußeren Sicherheit und Verteidigung Europas – und deswegen brauchen wir unverändert die USA als Partner!

Konferenzchef Ischinger ist mit Recht unzufrieden mit den Ergebnissen der MSC und die sicherheitspolitisch interessierten deutschen Staatsbürger – aber insbesondere auch die Staatsbürger in Uniform – werden mit von der Leyen sehr unzufrieden sein dürfen!

(20.02.2018)

Bei Interesse lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/zahnlosebundeswehr.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/pesco.html

http://www.hansheinrichdieter.de/html/eu-illusionen.html

 

 

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