Hans-Heinrich Dieter

Afghanistan bleibt ein “Fass ohne Boden”   (05.09.2021)

 

Deutschland hat sich an dem Afghanistan-Einsatz seit Ende 2001 beteiligt. Seitdem ist das muslimische Land am Hindukusch ein Fass ohne Boden, in das die westliche Welt und die NATO personell, materiell und finanziell sehr viel investiert und viele Soldaten verloren hat – ohne wirkliche Erfolge zu erzielen. Der Westen hat in Afghanistan kläglich versagt, da bemüht man sich um Schadensbegrenzung – hauptsächlich wegen des Imageschadens der Regierungschefs und Außenminister!

Die Außenminister der EU haben nun am 03./04.09. in Slowenien beraten, wie zukünftig mit den Taliban umzugehen ist – und es ist nahezu nichts mit Bezug zur Realität herausgekommen.

SPD-Außenminister Maas hat den islamistischen Taliban in Aussicht gestellt, dass Deutschland die derzeit gestoppten Entwicklungshilfe-Zahlungen für Afghanistan wieder aufnimmt. Voraussetzung sei allerdings eine Regierung, die nicht nur aus Taliban besteht. Zudem müssten grundlegende Menschen- und Frauenrechte gewahrt werden und Afghanistan dürfe zu keinem „neuen Hort für Terrorismus“ werden. Da stellt sich die Frage, wer den Außenminister ermächtigt hat, solche finanziellen Zusagen zu machen, auch der Bundestag war nicht einbezogen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man den Taliban in der derzeitigen Lage „Vorschriften“ machen kann, denn es herrscht Bürgerkrieg, die Taliban wollen auf der Grundlage der Scharia regieren und außerdem sind diese fundamental-muslimischen Terroristen wohl nicht stark genug, sich gegen die Clanführer, gegen die erstarkende Al-Kaida und vor allen Dingen gegen die extrem-islamistischen IS-Terroristen erfolgreich durchzusetzen.

Auch der EU-Außenbeauftragte Borrell will Gespräche mit den Taliban führen, um Rahmenbedingungen zu schaffen für die weitere Evakuierung von „Schutzbedürftigen“. Und wenn die politischen Rahmenbedingungen es zulassen, will er eine diplomatische EU-Vertretung in Kabul einrichten. Voraussetzung sei allerdings, dass die Taliban die „europäischen Werte“ respektieren und akzeptieren. „Aber das bedeutet keine Anerkennung der Regierung, es geht nur um technische Kontakte“ fügte er hinzu. Gespräche mit den Taliban-Terroristen sind nur erfolgreich, wenn man den Bedingungen der Taliban entspricht, das wissen wir spätestens genau nach dem missratenen Trump-Deal. Und wie kann man erwarten, dass die Taliban den europäischen Werten entsprechen, wenn noch nicht einmal die islamistische Türkei unseren Wertvorstellungen entsprechen will? Darüber hinaus darf bezweifelt werden, dass die Taliban an einer eingeschränkt handlungsfähigen EU-Vertretung interessiert sind, die nur „technische Kontakte“ halten will, ohne die Regierung anzuerkennen.

Inzwischen haben auch die Taliban Stellung dazu bezogen, wie sie sich nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan die künftigen Beziehungen mit Deutschland – nicht mit der EU - vorstellen: „Wir wollen starke und offizielle diplomatische Beziehungen zu Deutschland“. Demnach wünschen sich die Taliban von der Bundesregierung finanzielle Unterstützung, humanitäre Hilfe und Kooperation bei Gesundheit, Landwirtschaft, Bildung und offizielle Anerkennung. Außerdem seien die Deutschen in Afghanistan immer willkommen gewesen, sagte der Sprecher der Taliban, Mudschahid, der WamS. Die Taliban wollen von den ehemaligen „Besatzern“ ausschließlich viel Geld und umfangreiche Hilfe, weil sie im mittelalterlichen, korruptionsverseuchten und wirtschaftlich unterentwickelten Afghanistan unfähig sein werden, hinreichend für das Wohl der unmündigen und geschundenen Bevölkerung zu sorgen – da raspeln selbst Taliban unglaubwürdiges Süßholz! Hier werden europäische und deutsche Illusionen sehr deutlich und erneut werden wir mit panik- und moralgetriebener Symbolpolitik abgespeist werden.

Es ist allerdings unzweifelhaft, dass man mit den Terroristen in Kontakt bleiben muss, wenn man noch eigene Interessen erfolgreich durchsetzen will. Nach allen westlichen Bekundungen wollen wir weiterhin „Schutzbedürftige“ und „Ortskräfte“ evakuieren. Wer definiert eigentlich, wer wirklich „schutzbedürftig“ ist oder als „Ortskraft“ für uns tätig war? Und da wir erneut keinen Plan haben, deutet sich schon wieder ein Kontrollverlust - in Anlehnung an die Erfahrungen von 2015 – zum Nachteil der deutschen Bürger an. Denn insgesamt kamen mit der Luftbrücke nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom Mittwoch vergangener Woche 4587 Menschen nach Deutschland, davon 3849 Afghanen und 403 deutsche Staatsangehörige. Von den 3849 Afghanen sind einige ohne Papiere oder mit gefälschten Unterlagen eingereist und bisher sind den Sicherheitsbehörden 20 Afghanen als verurteilte und abgeschobene Straftäter bekannt- und befinden sich im Gewahrsam. Die Ermittlungen sind aber erst angelaufen und das Bild ist noch unklar. Aber es ist jetzt schon offensichtlich, dass Kriminelle, Gefährder und als Vergewaltiger verurteilte Afghanen das Chaos in Kabul genutzt haben, um wieder nach Deutschland zu kommen. Und die Medien sprechen mit moralischem Impetus und manchmal geradezu weinerlich von zigtausenden „Schutzbedürftigen“, die ausgeflogen werden müssen, darunter auch afghanische Journalisten, Aktivisten und Frauenrechtlerinnen – ohne es jemals an Kriterien festmachen zu können, was zum Status des „Schutzbedürftigen“ führt!

Darüber hinaus muss man feststellen, dass es in Afghanistan in absehbarer Zeit eine Regierung der Taliban geben wird. Wenn die Taliban überhaupt eine Chance haben wollen, die mittelalterlich anmutende Unmündigkeit zu überwinden, dann brauchen sie auch intelligente Menschen, die sich als engagierte afghanische Bürger in die neuen politischen Verhältnisse zukunftsorientiert einbringen. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben sich feige ergeben und sich schäbig mit den neuen Machthabern arrangiert. Für die afghanische Zukunft werden patriotische und mutige Afghanen gebraucht – die darf man deswegen nicht alle evakuieren. In diesem Afghanistan haben wir als westliche Welt keine zukunftsträchtigen politischen Interessen zu verfolgen. Eine deutsche Botschaft darf es deswegen auf absehbare Zeit in Kabul nicht geben und auch keine deutsche Entwicklungshilfe. Wenn Hilfe, dann in Unterstützung von UN-Vorhaben oder Initiativen der EU!

Henryk M. Broder sagt in der WELT zu dieser Problematik: „Ich finde, eine Regierung, egal wie sie an die Macht gekommen ist, ist verantwortlich für das Wohlergehen und die Sicherheit des Volkes, das sie führen will – und jetzt sind es die Taliban. Warum übernehmen wir zwanghaft die Verantwortung für einen souveränen Staat?“ Und er fügt die bemerkenswerte Aussage an: „Für mich ist das reinster Postkolonialismus.“ Aus meiner Sicht hat er Recht!

Das muslimische Afghanistan wird Hilfe brauchen, da sind aber regionale Mächte wie Iran, Türkei und Saudi-Arabien weitaus besser geeignet als die EU. Und wenn Russland und China ihre Chancen auf mehr Einflussnahme nutzen wollen, dann werden sie für längere Zeit finanziell und politisch belastet sein.

(05.09.2021)

 

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