Hans-Heinrich Dieter

Zukunft im Gaza-Streifen   (05.08.2014)

 

Über die Zukunft der Menschen im Gaza-Streifen lässt sich derzeit nur vage spekulieren, denn keiner hat verlässliche Informationen über die Zahl ausgeschalteter Hamas-Terroristen, die Zahl der getöteten palästinensischen Zivilisten und des daraus resultierenden Rekrutierungspotentials für die Hamas, den Stand der Entwaffnung der Hamas, den Grad der Zerstörung der Tunnelsysteme und über das Ausmaß der Zerstörung ziviler Infrastruktur. Und ob bzw. wie lange die derzeit vereinbarte Waffenruhe hält, ist schwer einzuschätzen. Das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung interessiert offenbar weder die politisch und militärisch Verantwortlichen Israels noch der Hamas derzeit nachhaltig.

Trotzdem muss schon jetzt über eine möglichst gute und tragfähige Zukunft für die Menschen im Gaza-Streifen nachgedacht werden. Aber auch das gestaltet sich schwierig, denn Israel lässt nicht erkennen, dass es sich den Regeln werteorientierter westlicher Politik wieder unterwerfen will und die von Katar gesponserten Terroristen der Hamas sind nur an ihrem Machterhalt interessiert, diesbezüglich entwickelt sich der Konflikt für sie nicht unbedingt unvorteilhaft – so zynisch das klingen mag. Deswegen darf die internationale Staatengemeinschaft weder Israel noch der Hamas das Denken und Handeln unkontrolliert überlassen. Auf beide Seiten muss sehr starker internationaler Druck ausgeübt werden, damit eine positive Zukunft im Gaza-Streifen so schnell wie möglich gestaltet werden kann. Frankreich hat bereits gefordert, dass eine politische Lösung durch die Staatengemeinschaft erzwungen werden muss.

Israel hat schon festgelegt, dass es den Gaza-Streifen nicht dauerhaft besetzen will. Das ist Israel angesichts der damit verbundenen Gefahren offenbar zu heikel und angesichts der durch die israelische Offensive angerichteten Zerstörungen zu teuer. Israels rechtsradikaler Außenminister und Scharfmacher Lieberman stellte daher eine Verwaltung des Gazastreifens durch die Vereinten Nationen zur Diskussion. Das schiebt Verantwortung und hohe Kosten auf die internationale Staatengemeinschaft ab. Die gemäßigte Justizministerin und durch Netanjahu kaltgestellte Chefunterhändlerin in den Friedensgesprächen mit den Palästinensern, Zipi Livni, spricht sich für einen politischen Wandel durch Entmachtung der geschwächten Hamas aus. Sie strebt eine internationale Vereinbarung über die Entmilitarisierung und danach Öffnung des Gaza-Streifens sowie die Ãœbertragung der politischen Macht an den gemäßigten Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas aus. Die Regierung der nationalen Einheit, auf die sich die Hamas und die Fatah vor zwei Monaten geeinigt haben, existiert noch. Die Sicherheitskräfte könnten dem Kommando der Fatah unterstellt werden, die Entwaffnung der Hamas vollziehen und so die öffentliche Ordnung im Gaza-Streifen wieder herstellen und gewährleisten, gegebenenfalls in einer Ãœbergangsphase durch UN-Truppen unterstützt. Dann wären auch die Voraussetzungen geschaffen für eine kontrollierte Öffnung des Gaza-Streifens nach Israel und Ägypten. Die israelische Regierungskoalition erkennt allerdings die palästinensische Regierung der nationalen Einheit nicht an und hat auch deswegen die Friedensverhandlungen platzen lassen. Darüber hinaus führt eine solche Regelung nahezu zwangsläufig zum Ende der Siedlungspolitik und zu der friedensstiftenden Zwei-Staaten-Lösung, die nahezu alle – außer Israel – anstreben. Die israelische Regierung zeigt derzeit noch nicht die Größe für einen solchen sinnvollen Kompromiss und die israelische Bevölkerung scheint darauf noch nicht vorbereitet zu sein.

Die Hamas müsste zu einer solchen Regelung gezwungen werden, denn sie bedeutet den weitgehenden Verlust der Macht im Gaza-Streifen und die Beendigung des Terrors gegen Israel und seiner Bevölkerung. Die Hamas müsste die Zerstörung Israels als Ziel aufgeben. Saudi Arabien und Katar müssten für eine solche Lösung gewonnen werden und das erscheint sehr schwierig. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas stünde vor der schwierigen Aufgabe, die Palästinenser zu einen und zu befrieden, indem der aufgestaute Hass gegen Israel abgebaut wird.

Die USA sind als Vermittler ziemlich verbraucht und trotzdem werden sie bei der Gestaltung der Zukunft des Gaza-Streifens und der Region eine wichtige Rolle spielen müssen. Die UN müssen sich – trotz des angeschlagenen Ansehens in Israel – intensiv und engagiert in einen solchen Prozess einbringen. Die EU wird in dieser Region keine Hauptrolle spielen können, sollte sich aber kraftvoll in die Unterstützung der UN-Aktivitäten einbringen. Ägypten hat jetzt zu indirekten Gesprächen über eine längerfristige Waffenruhe eingeladen und sowohl Israel als auch die Palästinenser wollen teilnehmen. Sollte diese Initiative erfolgreich sein, dann könnten auf einer solchen Grundlage später Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden.

Wie sich die nächsten Schritte zur Ãœberwindung des sehr blutigen Konfliktes auch immer gestalten, es muss erreicht werden, dass sich die Lebensbedingungen der Palästinenser zunächst im Gaza-Streifen und dann insgesamt verbessern. Eine auch länger dauernde Waffenruhe ist – wie die Erfahrung zeigt – keine Grundlage für wirklichen Fortschritt und ein gesichertes Leben in der Region. Deswegen führt kein Weg an Friedensverhandlungen vorbei. Der Gaza-Streifen muss wieder aufgebaut und wieder funktionsfähig gemacht werden. Dabei muss Israel massive Unterstützung leisten und das wird nicht ohne Reparationszahlungen in großem Umfang gehen. Der Gaza-Streifen muss nach Israel und Ägypten geöffnet werden, um eine wirtschaftliche Entwicklung möglich zu machen. Die Regierung der nationalen Einheit muss sich aktiv in die Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser im Gaza-Streifen einbringen und die Einigung vorantreiben. Israel muss diese Regierung der nationalen Einheit als Partner anerkennen und an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Ohne eine Zwei-Staaten-Lösung wird es kein eigenständiges Leben der Palästinenser in Würde geben. Wenn das zukünftige Leben der Palästinenser in Würde nicht gewährleistet wird, kann es auch kein friedliches Leben in Sicherheit in der Region geben. Frieden zwischen Israel und den Palästinensern ist insofern auch das beste Mittel im Kampf gegen den Terrorismus.

(05.08.2014)

 

 

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