Hans-Heinrich Dieter

Zerschlagen des Islamischen Staates   (22.09.2014)

 

Der „Islamische Staat“ (IS) ist auf dem Vormarsch und es droht neuer Völkermord, diesmal an den Kurden in Syrien. Die Gründe für diesen schlimmen Erfolg sind einerseits die straffe Organisation der leistungsfähig bewaffneten und ausgerüsteten Terroristen, die professionelle militärische Führung durch sunnitische ehemalige irakische Offiziere, die gute finanzielle Ausstattung, die außergewöhnliche, verbrecherische Brutalität, mit der die islamistischen Barbaren bereit sind zu morden, aber vor allem auch die Schwäche ihrer Gegner.

Für Assad ist der IS eine von mehreren Terroristen-Gruppierungen, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen, die aber vor allem auch gegen die syrische Opposition vorgehen. Assad hat den IS lange gewähren lassen, jetzt wird er auch ihm selbst gefährlich. Syrien allein ist aber zu schwach, die Terroristen auf seinem Territorium zu zerschlagen. Assad wird so zu einem möglichen Koalitionspartner für Regionalstaaten.

Der Irak ist noch kein funktionierender Staat, befindet sich in einem Bürgerkrieg und hat erschreckend unzureichend geführte, ausgerüstete und ausgebildete Streitkräfte, die aus eigener Kraft dem IS-Terror wenig entgegenzusetzen haben. Außerdem wird der IS durch sunnitisch bevölkerte Regionen mit sunnitischen Milizen geduldet, wenn nicht mit Teilen unterstützt. Der Irak ist schwach für einen eigenständigen Kampf gegen IS.

Die Türkei leistet sich ein mehrschichtiges und relativ undurchsichtiges politisches Spiel. Über lange Zeit hat die Türkei den IS gewähren lassen, Grenzverkehr und auch die Einreise von Dschihadisten nach Syrien zugelassen, weil sie Assad schwächen wollte. Die Türkei war auch nicht frei in ihrem politischen Handeln, denn der IS hatte 49 türkische Geiseln in seiner Gewalt. Deswegen hat das NATO-Mitglied Türkei den USA auch die Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte für Luftschläge gegen den IS verweigert und zum Ausdruck gebracht, dass es die Koalition der westlichen Welt nur bedingt unterstützen wird. Inzwischen ist die von der Terrormiliz Islamischer Staat im Irak verschleppte Gruppe türkischer Geiseln frei. Präsident Erdogan sprach im Fernsehen von einer erfolgreichen Operation des türkischen Geheimdienstes. Es soll kein Lösegeld geflossen sein. Vermutlich konnte der IS aber davon überzeugt werden, dass die Türkei der internationalen Koalition auf Dauer ihre Unterstützung nur eingeschränkt geben wird. Hier sind sicherlich Garantien abgegeben worden. Diese Garantien werden der Türkei in naher Zukunft sicher politische Kopfschmerzen bereiten. Derzeit flüchten immer mehr syrische Kurden in die Türkei, denn unweit der Grenze sollen die IS-Terroristen nahe der Kurdenstadt Ain al-Arab binnen zwei Tagen 60 Dörfer eingenommen haben. Warum sollte der IS seine Ziele nicht auch in Teilen der Türkei verfolgen? Mit der bisherigen Politik hat sich die Türkei selbst geschwächt, gegenüber der internationalen Gemeinschaft und gegenüber dem IS.

Die Arabische Liga hat sich verbal gegen den IS gewandt. Diese Institution ist aber nicht wirklich handlungsfähig, denn die arabischen Staaten sind teilweise verfeindet, unterschiedlich muslimisch ausgerichtet oder verfolgen ganz eigene Interessen. Viele Staaten im Nahen Osten sind daher eher skeptisch gegenüber Obamas Plan, den IS auch in Syrien anzugreifen. Zwei wichtige Regionalmächte, der schiitische Iran und das sunnitische Saudi-Arabien führen seit Jahren Stellvertreterkriege in Syrien. Zudem stehen sich Saudi-Arabien und der Irak feindlich gegenüber. Möglicherweise werden einzelne Staaten bereit sein, die internationale Koalition zu unterstützen, eine wirkliche Allianz gegen den IS wird mit den Regionalstaaten aber nicht möglich sein. Wegen der inneren politischen, ethnischen und konfessionellen Zerstrittenheit ist die Arabische Liga nicht handlungsfähig.

Der UN-Sicherheitsrat hat jetzt in einer einstimmig verabschiedeten Erklärung die Gräueltaten der IS-Terroristen verurteilt, rechtlich eine Stufe unter Resolutionsniveau, aber bindend für alle. Die Weltgemeinschaft rückt enger zusammen und das hilft den USA, ein globales Bündnis gegen den Islamischen Staat zu schmieden, dem bereits über 50 Staaten angehören sollen. Jeder hilft auf seine Art. Die USA führen Luftschläge gegen den IS, Frankreich unterstützt die Luftoperationen, Deutschland liefert Waffen an Kurden im Nordirak und bildet kurdische Kämpfer daran aus, Saudi Arabien spendet 500 Millionen Dollar für Flüchtlinge im Irak und so weiter…jeder hilft halt aus eigenem Entschluss auf seine Art, oder wird zunächst einmal nicht aktiv. Die Organisation der internationalen Koalition, die Ziele möglicher gemeinsamer Anstrengungen, die Art und Koordination der Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung sind noch nicht festgelegt. Eine Strategie für den gemeinsamen Kampf gegen den Terror der IS ist noch nicht formuliert. Und eine völkerrechtliche Legitimierung eines umfassenden Kampfes gegen IS - zum Beispiel auch in Syrien - durch die Vereinten Nationen ist noch nicht in die Wege geleitet. Einen Plan und ein Konzept zur Bekämpfung der IS gibt es noch nicht. So wichtig schon das Zustandekommen dieser Koalition ist, dem Schutz von wehrlosen Menschen gegen die islamistischen Bestien dient sie allerdings erst, wenn sie möglichst gemeinsam, koordiniert und zeitgerecht handelt. Wenn der IS mit seinen Terror- und Verbrecherbanden sich erst einmal festgesetzt hat und in der Lage ist, die Bevölkerung in großem Stil durch Terror in Geiselhaft zu nehmen, ist er nur sehr schwer und mit immensem Aufwand zu bekämpfen, wenn überhaupt noch. Und je größer die internationale Koalition ist, desto schwerer ist zeitgerechtes gemeinsames Handeln zu koordinieren. Bisher ist die internationale Staatengemeinschaft schwach, weil sie noch nicht zu gemeinsamem, koordiniertem Handeln gegen IS fähig ist.

Deswegen kommt es auf Staaten an, die wirklich Verantwortung beim Zerschlagen des IS übernehmen wollen. Deutschland hat sich Anfang des Jahres bereit erklärt, außen- und sicherheitspolitisch mehr internationale Verantwortung übernehmen zu wollen. Davon sieht die internationale Staatengemeinschaft bisher sehr wenig. Im Sicherheitsrat warb Außenminister Steinmeier unlängst für eine umfassende Strategie gegen den Islamischen Staat, eine sehr berechtigte Forderung. Steinmeier will aber mit stereotypen Floskeln nur Zeit gewinnen in der Diskussion über einen möglichen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Irak. Deswegen betont er, dass die Allianz gegen die terroristischen Gruppierungen arbeitsteilig vorgehen werde und dass Deutschland dabei ein großes Maß an Verantwortung im Nordirak übernehme. Die Bundesregierung erhalte großen Respekt für die Entscheidung, die kurdischen Sicherheitskräfte mit Waffen auszurüsten. Dies sei eine verantwortungsvolle und richtige Entscheidung gewesen. Eine Beteiligung an der Luftunterstützung oder gar ein Einsatz von Soldaten im Irak „kommt für uns nicht in Frage", betonte Steinmeier.

Ob Deutschland mit seinen Waffenlieferungen in stark eingeschränktem Umfang tatsächlich „ein großes Maß an Verantwortung im Nordirak“ übernommen hat, wird die internationale Staatengemeinschaft beurteilen. Unklar ist, auf welcher politischen Grundlage Steinmeier solche Aussagen macht und die zukünftige Teilhabe Deutschlands am Kampf gegen den IS apodiktisch festlegt. Zwar hat Kanzlerin Merkel Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen am letzten Donnerstag zu einer Beratung über Deutschlands weitere internationale Positionierung im Kampf gegen den IS ins Kanzleramt gebeten. Es wurden aber keine Ergebnisse der Beratung öffentlich gemacht. Der Bundestag wurde mit dieser weitreichenden Thematik auch noch nicht befasst. Es gab bisher keine fundierte öffentliche Diskussion zu dem schwierigen Thema. Und wenn der Kampf gegen den IS-Terror irgendwann durch die Staatengemeinschaft mit Aussicht auf Erfolg aufgenommen werden soll, dann reichen sicherheitspolitische und militärische Maßnahmen nicht aus. Betroffenen muss humanitäre Hilfe geleistet werden. Flüchtlinge müssen auch in Deutschland versorgt werden. Islamischem Fundamentalismus, Dschihadismus und Salafismus jeglicher Spielart muss mit Hilfe der muslimischen Bürger und Gemeinden in den westlichen Staaten der Boden entzogen werden. Islamisten muss unter Nutzung des rechtlichen Spielraums das Handwerk gelegt und Terroristen müssen unschädlich gemacht werden. Wir haben es also mit einem vielschichtigen politischen und gesellschaftlichen Problem zu tun, das nur durch vernetzte Sicherheitspolitik gelöst werden kann. Deswegen reichen Beratungen in kleinstem Kreise nicht aus und deswegen muss auch in unserer parlamentarischen Demokratie der Bundestag in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Es wird höchste Zeit, dass Kanzlerin Merkel ihre Richtlinienkompetenz erkennbar nutzt und ihrer Verantwortung für die Koordinierung der Politik gegen den IS-Terror gerecht wird. Staaten, die keinen Plan für gemeinsames Handeln haben, sind im Kampf gegen den IS schwache Staaten. Solche Schwäche begünstigt den Erfolg der Terroristen.

(22.09.2014)

 

 

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