Hans-Heinrich Dieter

Wirtschaftsfaktor Bundeswehr (26.10.2011)

 

Große Teile der deutschen Bevölkerung lehnen die Bundeswehr ab, sind höchstens freundlich desinteressiert oder nehmen eine indifferente Haltung gegenüber den deutschen Soldaten ein. Diese Gemütslage tritt  in diesen Tagen in den Hintergrund, denn die Bevölkerung wird einmal mehr auf den Wirtschaftsfaktor Bundeswehr aufmerksam gemacht, da im Rahmen der Neuausrichtung der deutschen Streitkräfte die Bekanntgabe der Standortentscheidungen ansteht. Die Bundeswehr muss erheblich kleiner, effizienter und einsatztauglicher werden. Eine Reduzierung der Kopfstärke um knapp 30% kann nicht ohne erhebliche Auswirkungen auf die Stationierung bleiben. Den ersten Zahlen zur Folge sollen weniger als 10% der heutigen 400 Bundeswehrstandorte geschlossen und 33 weitere deutlich verkleinert werden. Der politische Aufschrei ist entsprechend gellend. Die Angst ist groß.

Wovor haben Bevölkerung und Politiker Angst?  Die Bundeswehr ist in vielen strukturschwachen Regionen der zentrale Arbeitgeber und mit ihren Zivilbediensteten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die häufig sehr großen Flächen, die jetzt ggf. frei werden, können von den Gemeinden selten aus eigener Kraft für neue Nutzung erschlossen und konvertiert werden. Deswegen möchten die Kommunen die Flächen stark vergünstigt oder unentgeltlich haben, nach Sanierung versteht sich. Der Einzelhandel hat plötzlich deutlich weniger Kunden. Immobilien werden frei und schwer vermietbar. Wegen der bevorstehenden Schließung von Bundeswehrstandorten haben viele Kommunen deswegen schon im Vorfeld der Entscheidungen Hilfen eingefordert. Dem Bund und den Ländern wird nun die Verantwortung dafür zugeschoben, dass in den betroffenen Regionen "nicht das Licht ausgeht". Dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Beck und seinem Kollegen Seehofer geht es jetzt vor allem darum, eine finanzielle Kompensation für die aufgegebenen Standorte zu sichern. Man kann seine wirtschaftlichen Interessen nicht früh genug geltend machen.

Parteipolitische Hektik ist allenthalben stark erkennbar. Parteifreunde werden bemüht, die Parteifreundin Merkel wird vielseitig bedrängt, hauptsächlich aus der Region Bonn, Partei-"Freunde" beschimpfen sich. Der an der Provinz orientierte Politiker Röttgen wirft Minister de Maizière gar vor, er nutze "völlig ohne Not und ohne jegliche sachliche Begründung" die Bundeswehrreform dazu, einen erheblichen Teil seines Ministeriums nach Berlin zu verlagern. Aufgrund seiner eigenen Denkstruktur kann Röttgen sich offenbar vorstellen, dass der Verteidigungsminister mit seinen Überlegungen zur neuen Struktur des Ministeriums allein das Ziel verfolgt, der Region Bonn zu schaden. Andere werfen "unfaire" Politik und Unvernunft vor, ohne dass sie sich offenbar mit den Argumenten für Personalverlagerungen hinreichend auseinandersetzen konnten oder wollten. Dabei ist der Minister der betriebswirtschaftlich richtigen Vorstellung, die Bundeswehr auf wenige wirtschaftliche Großstandorte zu konzentrieren, nicht gefolgt sondern hat den regionalen Forderungen unter dem Motto "Präsenz in der Fläche" teilweise nachgegeben. Nicht alle überlebenden Standorte werden deswegen in Zukunft für die Bundeswehr wirtschaftlich zu betreiben sein.

Bevölkerung und Politiker haben allerdings mehrheitlich offenbar keine Angst um die Soldaten und ihre Familien. Um die Menschen in Uniform und ihre Angehörigen machen sich Politiker und auch  Medien wohl keine Sorgen, denn sie kommen in der öffentlichen Diskussion - ausgenommen in Statements des Bundeswehrverbandes - nicht vor. Es geht wie immer in Deutschland im Zusammenhang mit der Bundeswehr um nackte Zahlen. Anzahl der Soldaten, Anzahl der Standorte, was kostet das in Euro, wie hoch ist meine mögliche finanzielle Abfindung oder Kompensation. Die Bundeswehr wird reduziert auf einen "Wirtschaftsfaktor", die stationierte Truppe dient aus Sicht der Regionalpolitiker der Wirtschaftsförderung und der Bürger in Uniform ist in den Kommunen vorwiegend Mieter und Brötchenkäufer. Das ist eine ziemlich erbärmliche Sicht auf die Menschen, die sich verpflichtet haben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und die in Teilen im Auftrag des Bundestages im Auslandseinsatz den Kopf für Deutschland hinhalten.

Die heutige Bundeswehr hat einen Auftrag und ist entsprechend strukturiert und stationiert. Die Bundeswehr der Zukunft hat vielfältige sicherheitspolitische Aufgaben, die allerdings noch nicht in ein sicherheitspolitisches Konzept gefasst sind, und wird nach funktionalen Gesichtspunkten strukturiert und nach funktionalen, wirtschaftlichen und die Attraktivität des Dienstes betreffenden Erwägungen stationiert.

Die Bundeswehr ist nicht dazu da, als Wirtschaftsfaktor stationiert zu werden!

Wenn es später einmal ein demokratisch entschiedenes sicherheitspolitisches Konzept der Bundesrepublik Deutschland geben wird, in dem die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr für Deutschland definiert sind, wird vielleicht der Mensch in Uniform etwas mehr in den Mittelpunkt einer wirklichen sicherheitspolitischen Diskussion rücken und die Debatten über Zahlen, Sparen, Schrumpfen und Wirtschaftsfaktoren etwas in den Hintergrund drängen.

(26.10.2011)

 

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