Hans-Heinrich Dieter

Vabanquespiel!

 

Nach dem Ende des NATO-Kampfeinsatzes wollten die USA einige tausend US-Soldaten – auch als Teil der NATO-Folgemission "Resolut Support" zur Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte am Hindukusch lassen.

Aufgrund geplanter direkter Gespräche zwischen US-Vertretern und den Taliban hat der afghanische Präsident gekränkt und verärgert die Verhandlungen über eine Militärkooperation und ein US-Truppenstatut nach 2014 im Juni ausgesetzt. Selbst direkte Gespräche zwischen Obama und Karsai zur Beilegung der Verstimmung waren erfolglos. Karsai pokert hoch.

Nun berichtet die New York Times, dass innerhalb der US-Regierung ein vollständiger Abzug der US-Truppen 2014 erwogen wird. Es habe unter anderen auch immer eine „Null-Option“ gegeben. Die werde jetzt wahrscheinlicher, heißt es. Aber vielleicht will Obama mit den Informationen über einen erwogenen Komplett-Rückzug im Poker mit Karsai nur den Druck erhöhen.

Die Lage in Afghanistan ist aber viel zu ernst, um die Zukunft des geschundenen Landes und seiner Bevölkerung dem Ausgang eines Spiels zu überlassen. Und die Lage verträgt auch kein langatmiges Taktieren. Deutschland, die Verbündeten und die NATO-Partner warten dringend auf eine Entscheidung der USA über die Beteiligung an der NATO-Mission "Resolut Support" und die US-Truppenstärke ab 2015. Bisher hat nur Deutschland sich verbindlich geäußert, alle anderen warten in Deckung auf die „Super Power“. Solange die USA sich nicht entscheiden, liegen die NATO-Pläne auf Eis und wichtige Operationen werden verzögert.

Dass Karsai und seine korrupte Regierung die Folgen ihres teilweise emotionalen Handelns nicht immer durchdenken ist offensichtlich. Die US-Administration sollte die Konsequenzen ihrer Entscheidungen und die Auswirkungen auf Partner und Verbündete aber insbesondere auf die afghanische Bevölkerung allerdings sehr realistisch beurteilen können, insbesondere aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Irak.

Ohne eine erfolgreiche Verhandlung über eine afghanisch-amerikanische Militärkooperation und ein US-Truppenstatut nach 2014 wird es ab 2015 keine US-Truppen mehr in Afghanistan geben. Ohne eine US-Beteiligung ist eine NATO-Folgemission nur schwer vorstellbar. Ohne US-Truppen wird es "Resolut Support" nicht geben. Wenn es kein zufriedenstellendes US-Truppenstatut für Afghanistan gibt, dann wird es wohl auch kein hinreichendes Truppenstatut für Bundeswehrsoldaten in Afghanistan geben, denn wir wollen ja nicht, dass unsere Staatsbürger in Uniform der Scharia ausgesetzt werden. Ohne US-Beteiligung werden auch andere Verbündete und Partner von einer Folgemission abspringen. Wenn Afghanistan nach 2014 durch die westliche Welt geholfen werden soll, dann muss das eine gemeinsame Aktion unserer Wertegemeinschaft mit Beteiligung - besser unter „Führung“ - der USA sein. Einzelne westliche Staaten können sich wirtschaftlich engagieren - wenn sie mutig sind – als „Einzel-Unterstützer“ sind sie in dieser muslimischen und teilweise mittelalterlichen Welt, die nicht nach unseren Vorstellungen leben will, fehl am Platze. Organisierte, langfristige Unterstützung Afghanistans ist also von den USA grundlegend abhängig.

Allein die Diskussion um einen möglichen Komplett-Abzug der USA bis 2014 gibt den Taliban neuen Auftrieb und verringert ihre Verhandlungsbereitschaft. Warum mit den USA verhandeln, wenn sie ohnehin das Interesse an dem Land verloren haben und nur noch raus wollen? Die Taliban lehnen nicht umsonst Verhandlungen mit der Marionette Karsai ab. Und wenn ein abrupter vollständiger Abzug der US-Truppen akut werden sollte, dann werden die Taliban das mit einer Fülle von Aktionen begleiten, die ihre Machtbasis im Volk ab 2015 deutlich stärken soll, als Grundlage für die erneute Ãœbernahme der Macht in Afghanistan. Mit diesem „Poker“ schwächen sich die USA als möglicher Verhandlungspartner also selbst und machen sich noch angreifbarer. Und Karsai setzt die Zukunft seines Landes aufs Spiel.

Sollten sich die USA, die NATO und westliche Verbündete nach 2014 weitgehend aus Afghanistan zurückziehen, dann ist das kriegs- und besatzungsgeplagte Land ganz sicher nicht in Ruhe und sich selbst überlassen, denn das verbietet die geopolitische Lage in einem gefährlichen Kraft- und Interessenfeld von China, Indien, Pakistan, und Iran.

Indien bereitet seinen Einfluss in Konkurrenz zu Pakistan durch ein wirtschaftliches Kooperationsabkommen bereits vor. Diesem indischen Engagement wird Pakistan, das bereits heute erhebliche militärische Interessen in Afghanistan verfolgt, nicht untätig zuschauen und über Stärkung der sunnitischen Taliban Einfluss ausüben wollen. Das wiederum dürfte dem schiitischen Iran ein Dorn im Auge sein. Und für China ist Afghanistan eine Rohstoffquelle und ein Absatzmarkt mit einem Handelsvolumen von 26 Milliarden Dollar in 2009.

In diesem gefährlichen Kraft- und Interessenfeld kann sich Afghanistan nicht alleine behaupten, dazu ist es in jeglicher Hinsicht noch viel zu schwach. Wenn also das langjährige und in jeder Hinsicht kostspielige Engagement der westlichen Welt am Hindukusch nicht als komplette Fehlinvestition abgeschrieben werden soll, dann verbietet sich ein Komplett-Abzug der USA. Jegliches Hoch-Risiko-Spiel sollte daher sofort unterbunden und durch konkrete Verhandlungen ersetzt werden. Dafür muss Karsai auch durch die Verbündeten der USA gewonnen werden, indem sie unmissverständlich deutlich machen, dass es ohne die Beteiligung der USA ab 2015 keine längerfristige Unterstützung geben wird. Und den USA muss deutlich gemacht werden, dass auch eine „Super Power“ ihre Politik besser abstimmen muss, wenn sie nicht – wie im Irak – als Verlierer das Feld räumen wollen.

Die USA alleine werden möglicherweise den für sinnvolle Verhandlungen unabdingbaren innerafghanischen Versöhnungsprozess aufgrund der starken Ressentiments der Bevölkerung gegenüber der „Besatzungsmacht Amerika“ nicht voranbringen können. Deutschlands Ansehen in der Bevölkerung ist aufgrund des Petersberg-Engagements und wegen des eher zurückhaltenden militärischen Vorgehens der Bundeswehr im Norden Afghanistans stabiler und wohl auch besser. Deswegen sollten wir Ãœberlegungen anstellen, wie wir zusammen mit den USA und der NATO unter Einbeziehung der afghanischen Ethnien, der gesprächsbereiten Taliban und der benachbarten Staaten der Region sowie mit Hilfe der Vereinten Nationen den innerafghanischen Versöhnungsprozess so unterstützen, dass es nach 2014 nicht zu einem erneuten Bürgerkrieg kommt.

In Afghanistan ist „Partnership in Leadership“ zum Wohl der afghanischen Zivilbevölkerung gefragt.

(10.07.2013)

 

 

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