Hans-Heinrich Dieter

Uneindeutige NATO   (02.08.2015)

 

Die NATO hat der Türkei ihre Solidarität zugesichert. Diese Solidarität gilt für die Bekämpfung des terroristischen Islamischen Staates durch die Türkei, nicht aber für die türkische Auseinandersetzung mit der kurdischen PKK. Die NATO ist Erdogans Wunsch nicht gefolgt, diese Gruppe, mit der sich die Türkei bis vor kurzem um eine Friedenslösung bemüht hat, als ähnlich gefährlich wie den IS zu bezeichnen. Aber leider gibt es in der NATO auch keine Einigkeit darüber, dass der Friedenprozess mit der PKK, den der türkische Präsident Erdogan nun aufgekündigt hat, fortgesetzt werden soll. Eine solche Erklärung ist durch die USA und natürlich die Türkei verhindert worden. Und damit hat die NATO sich leider nicht eindeutig genug von den innen- und parteipolitischen Zielen Erdogans distanziert.

Hier wirkt sich eine zwiespältige und widersprüchliche Politik der USA aus. Die USA wollen für ihren Luftkrieg gegen den IS in Syrien und im Irak türkische Flughäfen nutzen. Ein solches, an sich selbstverständliches Zugeständnis lässt sich Erdogan natürlich hoch vergüten. Der Preis ist die zunächst sehr unvorsichtig und blauäugig erklärte allgemeine US-Unterstützung beim Kampf gegen den Terrorismus - PKK nicht ausgeschlossen. Da haben die USA noch nicht bedacht, dass die kurdischen Kämpfer bisher die einzig wirkungsvolle Bodentruppe gegen den IS war. Im Norden des Iraks sind es die Peschmerga, die Miliz der autonomen Kurdenzone, die sich erfolgreich gegen den IS stemmen. Sie haben mit der PKK nur wenig gemein und Präsident Barzani hat die PKK gerade aufgefordert, die Kurdenzone im Norden des Irak zu verlassen. Die PKK ist außerdem im Nordwesten des Iraks und in den Kurdengebieten der Türkei aktiv. Im Norden Syriens kämpft die kurdische YPG, unterstützt von amerikanischen Luftangriffen, gegen den IS. Gleichzeitig steht die YPG aber der PKK nahe und wird von dieser unterstützt.

Die Umsetzung der Vereinbarung mit der Türkei über eine Pufferzone im Norden Syriens wird damit schwierig bis unmöglich. Denn dadurch, dass die USA der Türkei in diesem Zusammenhang weitgehend freie Hand bei der Bekämpfung der PKK im Irak gegeben haben, wird sich das sehr negativ auf das Verhältnis der syrischen Kurden und ihrer Miliz YPG zu den USA auswirken. Auf die Unterstützung der YPG beim Kampf gegen den IS in Syrien werden die USA nicht mehr bauen können. Wenn es aber keine Truppen auf dem Boden gibt, die die Luftangriffe lenken oder ausnutzen, dann verliert der Luftkrieg der internationalen Allianz gegen den IS in Syrien seine Bedeutung.Und wenn dann eine Pufferzone im Norden Syriens durch die Türkei eingerichtet werden sollte, dann werden die syrischen Kurden das als gegen sie gerichtet verstehen und die Pufferzone bekämpfen. Die syrischen Kurden kennen Erdogan sehr gut, sie wissen, dass er lange den IS als Gegengewicht zu Assad unterstützt hat und sie durchschauen die türkische Politik, die unter dem Vorwand, nun auch den IS zu bekämpfen, eine zusammenhängende Kurdenregion um jeden Preis verhindern und die Kurdenpartei HDP aus der Parteienlandschaft drängen will. Die Kurden sind Opfer der neuen, immer noch strategiefreien amerikanischen Politik, die mit Scheuklappen nur die Bekämpfung des IS sieht. Und die Kurden werden alles versuchen, um nicht auch noch Opfer von Erdogans chauvinistischer Innenpolitik zu werden. Aus Partnern im Kampf gegen den IS werden die kurdischen Milizen der YPG sehr wahrscheinlich zu Gegnern der Türkei und ihrer Verbündeten. Hier zeichnet sich eine gefährliche Krise ab. Die USA haben der Türkei dafür grünes Licht gegeben und die EU und die NATO haben nicht eindeutig genug gefordert, dass die Türkei den Friedensprozess mit der PKK fortsetzen muss und sich so mitschuldig gemacht.

Jetzt wo das NATO-Mitglied mit den zweitgrößten Landstreitkräften der Allianz einen Angriffskrieg hauptsächlich gegen die PKK unter Verletzung der territorialen Integrität seiner Nachbarn Syrien und Irak führt, und eine Bedrohung der Türkei durch die stark geschwächten syrischen Streitkräfte ausgeschlossen werden kann, sollte die NATO den ausschließlich symbolischen Einsatz "Active Fence" im Südosten der Türkei überdenken.

Denn wir haben es heute in der NATO mit einem eher nationalistisch bis chauvinistisch eingestellten unangenehmen Partner Türkei zu tun, der Solidarität fordert aber unsolidarisch handelt. Die NATO muss sehr deutlich machen, dass Solidarität keine Einbahnstraße sein kann. Die NATO braucht die Türkei zwar auch in Zukunft, allerdings nicht als vorwiegend muslimische Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten mit tendenziell nationalistischem Verhalten, sondern als den westlichen Werten aufgeschlossenes muslimisches Land, das sich als solidarischer Partner der Gemeinschaft versteht. Davon ist die heutige Türkei leider weit entfernt.

(02.08.2015)

 

 

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