Hans-Heinrich Dieter

Türkei gegen IS   (05.10.2014)

 

Das Parlament in Ankara hat nun einen Militäreinsatz gegen die Dschihadisten im Irak und in Syrien genehmigt. Bisher hatte sich die Türkei ein mehrschichtiges und relativ undurchsichtiges politisches Spiel geleistet. Über lange Zeit hatte die Türkei den IS gewähren lassen, Grenzverkehr, Handel mit Öl und auch die Einreise von Dschihadisten nach Syrien zugelassen, weil sie Assad schwächen wollte. Nicht wenige türkische Bürger sympathisieren mit dem IS, es gibt aktive IS-Zellen in der Türkei und über tausend türkische IS-Terroristen im Einsatz in Syrien und im Irak. Das NATO-Mitglied Türkei hatte den USA sowie den NATO-Partnern auch die Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte für Luftschläge gegen den IS verweigert und zunächst zum Ausdruck gebracht, dass es die Koalition der westlichen Welt nur bedingt unterstützen wird. Derzeit flüchten immer mehr syrische Kurden in die Türkei, denn unweit der Grenze haben die IS-Terroristen die Kurdenstadt Ain al-Arab/Kobane eingekreist, IS und Kurden liefern sich dort heftige Gefechte. Nun wird der IS auch der Türkei zu gefährlich. Und das hat die Türkei dazu bewogen, ihre unsolidarische Außen- und Sicherheitspolitik zu überdenken.

Sollte der IS Ain al-Arab/Kobane einnehmen, werden die überlebenden Einwohner dem ganzen Spektrum an Verbrechen ausgesetzt sein, zu dem diese Bestien fähig sind. Diejenigen, denen die Flucht gelingt, werden sich in die Türkei absetzen, und das dortige, schon jetzt gewaltige, Flüchtlingsproblem noch verstärken. Außerdem würde der IS mit der Einnahme von Ain al-Arab/Kobane ein langes Stück Grenze zur Türkei kontrollieren. Die Einreise von islamistischen Freiwilligen und die Lieferung militärischer Ausrüstung wäre damit noch weniger zu kontrollieren oder zu verhindern. Außerdem würde sich das Risiko potenzieller Angriffe auf zivile Ziele in der Türkei erhöhen. Und warum sollte der IS seine Absichten nicht auch in Teilen der Türkei verfolgen? Mehrere Anschläge des IS in Antalya oder anderen Urlaubszentren würde den Tourismus sofort zum Erliegen bringen und der Türkei heftige finanzielle Einbußen bescheren. Mit der bisherigen Politik hat sich die Türkei selbst geschwächt, gegenüber der internationalen Gemeinschaft und gegenüber dem IS. Und die Türkei hat erheblich an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verloren.

Ob Ankara nun tatsächlich eine Kehrtwende vollzogen und seine undurchsichtige Haltung gegenüber dem Islamischen Staat aufgegeben hat, ist schwer zu beurteilen. Ebenso unklar ist, welche Rolle die Türkei zukünftig in der von den USA geführten Koalition gegen die Terroristen spielen wird. Denn die Ziele der Türkei sind andere als die der internationalen Koalition gegen den Terror. Die Türkei, und allen voran der Chauvinist Erdogan, verfolgt nationalistische Ziele. Die türkische Regierung will verhindern, dass die syrischen Kurden, und damit auch die PKK, gestärkt werden und sich aus den drei von den Kurden bewohnten Gebieten in Nordsyrien ein Teilstaat nach dem Vorbild des Iraks herausbildet. Die politische Stoßrichtung der Türkei dient daher nicht der Unterstützung der Kurden, sondern ist gegen sie gerichtet. Präsident Erdoğan erwägt deswegen, eine Schutzzone in Verbindung mit einer Flugverbotszone im Norden Syriens einzurichten. Die Entsendung von Bodentruppen in diese Schutzzone soll dann verboten werden. Die Kurden aus Syrien und der Türkei lehnen eine solche Pufferzone ab. Denn dieses Vorhaben richtet sich in erster Linie gegen Assad und die Kurden, nicht aber gegen die IS-Terroristen. Die USA und die NATO-Partner unterstützen ein solches Vorhaben ebenfalls nicht.

Ministerpräsident Davutoglu sagte nach dem Parlamentsentscheid: "Wir würden nicht wollen, dass Kobane fällt....Wir werden tun, was immer nötig ist, um zu verhindern, dass das passiert." Das ist zunächst einmal ein statement, das Entschlossenheit beim Kampf gegen den IS demonstrieren soll, außerdem würde der Fall von Kobane viele türkische Kurden gegen die Regierung aufbringen und dadurch den brüchigen Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen PKK ernsthaft gefährden. Die türkische Führung und auch der Großteil der Opposition scheinen aber tatsächlich gar keinen Anlass zu sehen, den Kurden militärisch zu helfen, und sei es auch nur indirekt. Ankara wartet wohl eher die Niederlage der Kurden in Syrien ab. Denn wenn deren Miliz zerschlagen ist, gibt es Platz für eine Schutzzone im syrischen Grenzgebiet, nach den Vorstellungen der türkischen Regierung. Die Türkei will durch eine direkte Beteiligung am Kampf gegen den IS in Syrien die Position der Kurden, und somit automatisch der PKK, nicht stärken. Die PKK bleibt türkischer Staatsfeind Nr. 1!

Deswegen ist Vieles, was aus Ankara derzeit zu hören ist Theaterdonner. So behauptet die Türkei, jeden Angriff der IS auf eine kleine türkische Exklave in Syrien um das Grab eines früheren Sultans, das durch 50 türkische Soldaten bewacht wird, militärisch beantworten zu wollen. Es klingt fast so als wolle die Türkei dann doch eine führende Rolle im Krieg gegen die Terrormiliz IS übernehmen, notfalls auch alleine.

Für eine unilaterale Intervention der Türkei gibt es in der Realität aber nur wenig Spielraum. Im syrischen Kurdengebiet würde die syrische Kurdenpartei PYD, die mit der PKK verbündet ist, die türkischen Truppen als "Besatzungsmacht" bekämpfen, falls sie die Grenze überschreiten. Die PKK würde eine Schutzzone im Kurdengebiet als Ende des Friedensprozesses mit der Türkei betrachten.Wenn allerdings die Kurdenstadt Kobane direkt jenseits der türkischen Grenze in die Hände des IS fällt, kann die Türkei Massaker der Terroristen an der kurdischen Bevölkerung dort ohne immensen moralischen Image-Verlust nicht zulassen, wenn aus kurzer Entfernung ganze türkische Battaillone und Panzerkompanien geradezu zuschauen können. Bisher arbeiten diese Truppen gegen die kurdischen Verteidiger, indem sie keine Verstärkungen, Waffen oder Munition durchlassen. Wenn die Türkei allerdings ein Massaker zulassen würde, dann wäre der Friedensprozess mit der PKK ebenfalls am Ende und ein Gewaltausbruch in der Türkei selbst wahrscheinlich. Dieses türkische Dilemma ist sicher mit ein Grund für die ambivalente türkische Politik.

Die Türkei und die USA haben erkennbar entgegengesetzte Interessen in Syrien. Staatspräsident Erdogan macht deswegen deutlich, dass eine Nutzung türkischer Stützpunkte durch ausländische Truppen und ein Transit solcher Truppen nur genehmigt wird, wenn die Stoßrichtung eines solchen Einsatzes sich "auch" gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad richtet. Es gibt keine türkische Kehrtwende in der Politik gegen den IS und es gibt weiterhin keine weitreichende türkische Solidarität mit der internationalen Koalition gegen den IS-Terror. Es bleibt bei einer nationalistisch orientierten, undurchsichtigen türkischen Haltung, die grundsätzlich nicht gegen den IS sondern gegen die PKK gerichtet ist.

(05.10.2014)

 

 

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