Hans-Heinrich Dieter

 

Solidarität in der NATO   (24.05.2012)

 

Der NATO-Gipfel in Chicago hätte erfolgreicher sein können, wenn die NATO-Partner deutlicher erkennbar und glaubhafter den Willen zu zukünftiger Solidarität im Bündnis zum Ausdruck gebracht hätten.

Dabei waren die wesentlichen Tagesordnungspunkte alle von vertiefter Solidarität abhängig. Sowohl das Afghanistan-Engagement der NATO bis 2014 und danach als auch die erforderlichen Fähigkeiten der NATO zur Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und die Stärkung der weltweiten Zusammenarbeit mit politischen Partnern sind ohne Solidarität der NATO-Partner nicht wirklich erfolgreich zu bewältigen. Die Gipfel-Ergebnisse stimmen da allerdings nicht optimistisch.

Gut ist, dass die NATO nach 2014 mit neuem Mandat die Unterstützung Afghanistans bei der Fortsetzung des Aufbaus von staatlichen und Sicherheitsstrukturen unterstützen soll und die angedachten Aktivitäten aufgrund binationaler Partnerschaftsverträge nun gebündelt und koordiniert werden sollen. Schlecht ist aber, dass die NATO Frankreich den wahlkampforientierten, verfrühten und mit der NATO nicht koordinierten Abzug seiner Kampftruppen bis Ende 2012 „durchgehen“ lässt. Frankreich war über lange Jahre kein Mitglied der NATO, das war zwar unter Bündnisgesichtspunkten nachteilig, aber gut verkraftbar. Frankreich hat sich in NATO-Missionen, anders als Großbritannien und Deutschland, meist unverhältnismäßig schwach eingebracht. Frankreich hat sich zuletzt beim Libyen-Einsatz der NATO sehr wenig solidarisch gezeigt und vielmehr die NATO als Instrument für nationale Interessen genutzt. Man sollte Frankreich deutlich machen, dass es nicht die „Grande Nation“ in der NATO ist, sondern ein zur Bündnissolidarität verpflichtetes Mitglied mit Gewicht und Einfluss ist, der sich sehr negativ auf das Bündnis auswirken kann, wenn Frankreich es an der gebotenen Solidarität fehlen lässt. Wenn die NATO als Bündnis glaubhaft bleiben will, muss z.B. auf der Grundlage der Erfahrungen mit dem Libyen-Engagement die Solidarität im Bündnis und der Umgang der Mitglieder mit der NATO intensiv thematisiert werden. Auch in diesem Zusammenhang wären Frankreich sehr eindeutig Schranken aufzuzeigen.

Gut ist, dass die NATO ihre Handlungsfähigkeit dadurch stärken will, dass sie die Staaten auffordert, Parlamentsbeteiligungen und nationale Vorbehalte dahingehend zu überprüfen, dass eine vertiefte Kooperation bei kurzfristig erforderlichen gemeinsamen Einsätzen nicht gefährdet wird. Schlecht ist allerdings, dass diese Initiative diplomatisch so unzureichend vorbereitet wurde, dass z.B. Teile des deutschen Bundestages schon Sturm dagegen laufen, bevor dieser richtige Ansatz überhaupt diskutiert wurde. Eine wichtige Voraussetzung für tragfähige Solidarität und Kooperation ist gute Kommunikation. Daran fehlt es.

Gut ist, dass Projekte wie „Smart Defense” nicht nur thematisiert und diskutiert werden, sondern eine enge Kooperation bei mehr als 20 Rüstungsprojekten vereinbart wurde, weil angemessene „state of technology“-Rüstung auf Dauer nur durch vertiefte Kooperation und task-sharing der NATO-Mitglieder gewährleistet werden kann. Schlecht ist hingegen, dass alle diese Rüstungsprojekte noch in den Kinderschuhen stecken und dass auf dem Gipfel in Chicago mit der NATO nicht abgestimmte Alleingänge z.B. Frankreichs und Großbritanniens beim Bau eines unbemannten Jagdbombers bis zum Jahr 2030, bei gemeinsamen militärischen Projekten wie Drohnen, Raketen, militärischer Kommunikation und Satelliten, aber auch im Hinblick auf ein Combined Joint Force Headquarters F/UK, das bis 2016 aufgebaut werden soll, um einen multinationalen Kräfte-Aufwuchs für weltweite Missionen zu gewährleisten, nicht diskutiert wurden. Solche Initiativen laufen offensichtlich einer engeren und vertieften Kooperation aller NATO-Partner entgegen und gehören deswegen unbedingt auf die Tagesordnung.

Gut ist, dass sich die NATO über die Jahre im Hinblick auf kooperative Sicherheit weltweit mit internationalen Partnern intensiv und zukunftsorientiert eingebracht und vielfältige Partnerschaften geschlossen hat und aktiv betreibt. Weniger erfreulich ist allerdings, dass die NATO wegen unzureichender Solidarität ihrer Mitglieder untereinander für die weltweiten Partner weniger glaubhaft und schlagkräftig erscheint als wünschenswert.

Die Eigensucht einiger Mitgliedstaaten, die nationalen Egoismen in der Rüstungs- und Sicherheitspolitik und der verbreitete Missbrauch sicherheitspolitischer Probleme in den ständigen Wahlkämpfen in den Mitgliedstaaten der NATO behindern die zukunftsorientierte Entwicklung der NATO zu einem Sicherheitsbündnis der westlichen Welt im 21. Jahrhundert. Die NATO bleibt leider weiterhin nur so gut, wie die jeweiligen Mitglieder sie sein lassen. Die SÃœDDEUTSCHE sagte neulich in einem Kommentar: „Auf dem Wappen der Nato müsste heute stehen: Jeder für sich, keiner für alle.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf und treibt die NATO irgendwann in den Status eines Bündnisses von reduzierter Bedeutung.

Angesichts der globalen Sicherheitslage und der Struktur- und Finanzkrisen aller Mitgliedstaaten der NATO müsste das Motto lauten: „Alle gemeinsam für unsere Werte und Ziele ressourcensparend zum gemeinsamen Erfolg!“

(24.05.2012)

 

 

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