Hans-Heinrich Dieter

Sicherheitspolitische Pubertät   (06.02.2019)

 

Bundesverteidigungsministerin von der Leyen hat zu Beginn dieser Woche deutsche Soldaten im Baltikum besucht. Der Besuch fällt in eine Zeit, in der sich die baltischen NATO-Mitglieder durch die Aufkündigung des INF-Vertrages durch die USA und Russland noch stärker durch aggressive russische Politik bedroht fühlen als zuvor.

Im litauischen Rukla sprach von der Leyen mit den rund 500 deutschen Soldaten, die Teil der Battle-Group, „Enhanced Forward Presence“, unter deutscher Führung sind und Russland im Rahmen der NATO abschrecken sollen. Im Zusammenhang mit der Aufkündigung des INF-Vertrages warnte sie davor, in Rüstungsfragen in die Zeit des Kalten Krieges zurückzufallen und machte deutlich, dass man sich in der Allianz einig darüber sei, dass die einfachen Antworten der 70-er und 80-er Jahre nicht auf die heutige Zeit übertragen werden könnten. Vielmehr brauche man „neue Antworten und neue Lösungen“. Man müsse „in aller Breite einen Mix von Maßnahmen“ in der NATO diskutieren. Dieser Mix müsse dann auch in der Nato umgesetzt werden. Dieses Geschwurbel klingt sehr platt und wird weder die deutschen Soldaten noch die litauischen Verbündeten überzeugt haben.

Vom estnischen NATO-Stützpunkt Ämari schützt und überwacht die deutsche Luftwaffe mit einem Kontingent Eurofighter den Luftraum über dem Baltikum. Von der Leyen ließ sich über den Dienst und Einsatzbereitschaftsstand einer Alarmrotte informieren. Danach stellt sie fest: „Ich war sehr erfreut zu hören, dass wir einen Klarstand über 95 Prozent haben, natürlich gibt's hier Ersatzteilpriorität, das ist ein wichtiges Phänomen, um diesen Klarstand zu erreichen aber das spricht auch für unseren Eurofighter, er wird gebraucht.“ Wenn unsere Verteidigungsministerin „erfreut“ ist, dass ein Einsatzverband im Auslandseinsatz einen hohem Einsatzbereitschaftsstand hat, dann spricht das für ein dauerlächelndes, etwas schlichtes sicherheitspolitisches Gemüt. Die Soldaten der Bundeswehr erwarten aber von der Ministerin, dass sie durch eine solide und verlässliche Finanzierung der Ersatzteilversorgung und erforderlichen Instandsetzung für einen hohen Einsatzfähigkeitsstatus der gesamten deutschen Eurofighter-Flotte sorgt. Auch diesbezüglich hat die Ministerin versagt.

Aber nicht nur die Verteidigungsministerin äußert sich nichts- oder wenig-sagend. Bundeskanzlerin Merkel hat im Zusammenhang mit der Aufkündigung des INF-Vertrages lediglich dazu aufgerufen, die verbliebene Zeit zu nutzen, um doch noch eine Wende herbeizuführen – mehr ist ihr nicht eingefallen. Außenminister Maas hat sich bereits klar, aber ohne Absprache mit der Bundeskanzlerin und ohne eine sicherheitspolitische Diskussion im Parlament, gegen die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa ausgesprochen. Daraufhin erklärte CDU-Generalsekretär Ziemiak, dass „alle Optionen“ auf dem Tisch bleiben sollten. SPD-Generalsekretär Klingbeil hingegen forderte auf Twitter, die Union solle aufhören, „in den Kategorien des Kalten Krieges zu denken“. Der Abgeordnete Kiesewetter, Obmann der CDU im Auswärtigen Ausschuss, und der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Mützenich, gehen da schon weiter und haben sehr eigenständig Moskau aufgefordert, seine neuen Marschflugkörper vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) so weit nach Osten zu verlegen, dass sie Europa nicht mehr erreichen können. Im Gegenzug sollten künftige amerikanische Abschussanlagen in Europa für russische Kontrollen geöffnet werden. Russland wies diesen Vorschlag umgehend und vehement als „taktlos und empörend“ zurück. Diese weitgehend innenpolitisch motivierte Kakophonie wirkt verantwortungslos.

Im Herbst letzten Jahres hat US-Präsident Trump das mögliche Ende des INF-Vertrages angekündigt. Die NATO hat sich mit der Thematik befasst und gemeinsam festgestellt, dass Russland den Vertrag verletzt hat. Das Datum für das Ablaufen des US-Ultimatums war allen bekannt. Und jeder der sicherheitspolitisch verantwortungsbewusst denken kann, weiß dass das Ende des INF-Vertrages sehr weitreichende Auswirkungen auf die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur haben wird. Das ist aber für unsere deutschen Politiker kein Anlass, sich mit der Thematik intensiv und kritisch auseinanderzusetzen und eine deutsche strategische Position als NATO-Mitglied zu erarbeiten. Und der Bundestag ist nicht verantwortungsbewusst genug, um im Zusammenhang mit seinen parlamentarischen Kontrollpflichten die Vorlage eines strategischen Konzeptes von der Bundesregierung zu fordern, um es durch die Volksvertreter diskutieren zu lassen. In Deutschland haben wir leider keine sicherheitspolitische Kultur, die Mehrheit der „friedenseuphorischen“ deutschen Bevölkerung ist sicherheitspolitisch nicht interessiert und die verantwortlichen Politiker und Volksvertreter werden ihrer sicherheitspolitischen Verantwortung für das deutsche Volk nicht gerecht. Deutschland will sicherheitspolitisch lediglich „risikoarm mitmachen“ und hat sich im „sicherheitspolitischen Trittbrettfahren“ eingerichtet, unter gleichzeitiger vollmundiger Beteuerung, als eine wichtige europäische „Friedensmacht“ sicherheitspolitisch auch global mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Der letzte deutsche Staatsmann, der wirkliche sicherheitspolitische Verantwortung übernommen hat, war in den achtziger Jahren Helmut Schmidt mit seinem Einsatz für den damals friedensnotwendigen NATO-Doppelbeschluss!

Deutschland muss sicherheitspolitisch endlich erwachsen werden!

(06.02.2019)

 

Bei Interesse an der Thematik lesen Sie auch:

http://www.hansheinrichdieter.de/html/inf-ausstieg.html

 

 

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