Hans-Heinrich Dieter

Respekt vor Putin   (08.11.2014)

 

Die blutigen Kämpfe in der Ostukraine gehen mit unverminderter Härte weiter. Russische Truppen rücken wieder näher an die ukrainische Grenze heran. Sogenannte russische Militärberater unterstützen mit Waffen und Ausbildung die prorussischen Rebellen in der Ukraine. Neuesten Meldungen der Ukraine zufolge hat eine Kolonne von 32 Panzern die russisch-ukrainische Grenze in Richtung Lugansk überquert, gefolgt von 30 Lastwagen mit Kämpfern, 16 Haubitzen sowie weiterem militärischem Material.

Russland hat die neuerlichen Vorwürfe zu Truppenbewegungen als "Provokation" der Ukraine zurückgewiesen. Und Putin zeigt sich natürlich besorgt über den "Bürgerkrieg" in der Ostukraine. Wer aber glaubt noch Russland nach seiner dreisten Propagandakampagne im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise? Und Putin hat schon so oft und so dreist gelogen, dass er nur noch für naive und putintreue Politiker vertrauenswürdig erscheint.

Aus dem Blickwinkel und aufgrund der nachrichtendienstlichen Informationen der NATO stellt sich offenbar die Lage anders dar. Im Juli/August standen die Separatisten in der Ostukraine kurz vor der Niederlage. Deswegen griff Russland mit regulären Truppen ein, um den Freischärlern die Rückeroberung der Gebiete Donezk und Lugansk zu ermöglichen. Dann zog Moskau große Teile seiner - im Urlaub befindlichen Truppen - wieder ab, beließ aber noch einsatzbereite Einheiten in der Ostukraine. Jetzt sind nach Angaben des NATO-Oberbefehlshabers noch etwa 300 russische Berater und Ausbilder in der Ostukraine aktiv und sieben russische Bataillone sind an der Grenze zur Ukraine in Bereitschaft. Russland will ganz offensichtlich die Ukraine unterhalb einer offenen militärischen Aggression weiter destabilisieren und die spätere Abspaltung der Ostukraine fördern.

Deswegen fordert Oberbefehlshaber Breedlove von Präsident Obama mehr US-Truppen für die NATO und die Militärs der Allianz arbeiten mit Hochdruck daran, die Verteidigungsbereitschaft gegenüber Russland zu verbessern und die Abschreckung in Osteuropa zu verstärken.Dazu hat die NATO jetzt erstmals Großmanöver in den Grenzregionen zu Russland in Aussicht gestellt. Und die NATO wird eine leistungsfähigere Schnelle Eingreiftruppe aufbauen, die aus etwa 5000 bis 7000 Mann besteht und innerhalb von zwei bis fünf Tagen im Einsatzgebiet sein kann. "Nach unseren Planungen soll die Schnelle Eingreiftruppe im September 2015 beim Großmanöver Trident Juncture in Spanien, Italien und Portugal teilnehmen. Wenn alles planmäßig verläuft, kann die Schnelle Eingreiftruppe bis Ende 2015 einsatzbereit sein." sagt der deutsche General Domröse, NATO-Befehlshaber in Brunssum.

Um solche Truppenteile, die an ihren bisherigen Standorten stationiert bleiben und dann für Trainingsmaßnahmen oder Einsätze aus allen Teilen des Bündnisgebietes zusammengeführt werden hochmodern ausgerüstet in hoher Einsatzbereitschaft zu halten und dann sehr schnell in einem Einsatzgebiet verfügbar machen zu können, wird viel militärischer Lufttransportraum vorgehalten werden müssen. Um das Vertrauen der mittel- und osteuropäische Staaten, die sich weiterhin von Moskau bedroht fühlen, zu erhalten und um der aggressiven russischen Politik eine glaubwürdige militärische Abschreckung entgegensetzen zu können, werden die Mitgliedstaaten der NATO in starkem Maße in ihre Verteidigungsfähigkeit investieren müssen. Die NATO reagiert damit durchaus angemessen auf den russischen Bruch internationalen Rechtes durch die Annexion der Krim und auf die permanenten russischen Verletzungen der ukrainischen Souveränität.

Nun hat Putin einen neuen "Pudel" gefunden. Der ehemalige Putinkritiker Gorbatschow wurde offenbar durch den Kreml als "Handlanger des Westens" und als der "Verantwortliche für den Niedergang des Sowjetreiches" so unter Druck gesetzt, dass er jetzt den 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin nutzt, um für Putin die Propagandatrommel zu rühren. "Ich bin absolut überzeugt, dass Putin besser als alle anderen heute die Interessen Russlands schützt", sagte der frühere sowjetische Staats- und Parteichef nun. Und im Hinblick auf die Ukraine-Krise hat Gorbatschow jüngst immer wieder heftige Kritik am Westen geäußert und die USA sogar als "Seuche der Welt" bezeichnet, sowie vom "Triumphalismus" vor allem der USA gesprochen. "Die Ereignisse der vergangenen Monate sind die Konsequenzen aus einer kurzsichtigen Politik, aus dem Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Interessen des Partners zu ignorieren." urteilt Gotbatschow nun, wirbt um Verständnis für die aktuelle Moskauer Politik im Ukraine-Konflikt und fordert eine schrittweise Aufhebung der Sanktionen.

Der Friedensnobelpreisträger Gorbatschow übersieht dabei, dass es Putin war und ist, der die vom Westen initiierte und gepflegte Partnerschaft mit Russland aufgekündigt hat. Es ist Putin, der sich mit seiner neo-imperialistischen Politik als Gegner des Westens, Europas, der EU und der NATO versteht. Es ist Putin, der sich völkerrechtswidrig die Krim einverleibt hat und nun die Ukraine weiter destabilisiert, um mit der Zeit einen Teil der Ukraine für "Neu-Russland" zu gewinnen. Der Westen hingegen hält Partnerschaftsmöglichkeiten und alle Gesprächskanäle auf eine manchmal geradezu unterwürfige Art und Weise offen und bemüht sich bis zur Selbstverleugnung um eine friedliche Beilegung der von Russland aggressiv und überraschend vom Zaun gebrochenen und Europas Sicherheitsarchitektur beeinträchtigenden Krise - bisher ohne jeden Erfolg. Dass Gorbatschow nun um Verständnis für die aggressive aktuelle Moskauer Politik im Ukraine-Konflikt wirbt, ist ziemlich dumm und eines Friedensnobelpreisträgers unwürdig.

Und jetzt nutzt auch der alt gewordene ehemalige Außenminister Genscher die Gelegenheit des Mauerfall-Jubiläums, um zu mahnen, dass wir Russland auf Augenhöhe und mit mehr Respekt begegnen sollten. Die sehr alt gewordenen Mahner wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl und nun erneut Genscher, leben offensichtlich abseits der politischen Realität in ihrer eigenen politischen Vergangenheit und sagen aber nie, wie man Putins Aggression aus ihrer Sicht mit erkennbarer Aussicht auf Erfolg Einhalt gebieten könnte. Die Alt-Politiker scheinen der Auffassung zu sein, dass man Putin gewähren lassen, die Annexion der Krim hinnehmen, das Entstehen eines Neu-Russland unter Verletzung der Souveränität der Ukraine akzeptieren und den Europa-Gegner Putin einfach als "Pflicht-Partner" wieder umarmen sollte. Unsere Werte und unsere Selbstachtung sind für diese Alt-Politiker, die nur am Erhalt ihres "politischen Erbes" interessiert scheinen, offenbar aus dem Blick geraten. Wie sollen wir Russland mit Respekt begegnen, wenn wir den Selbstrespekt verloren haben?

Die NATO ist da auf einem besseren und an realer Politik orientierten Weg. Die NATO zollt Putin Respekt, indem sie seine Aggressivität ernst nimmt und darauf angemessen reagiert. Auf dem Gipfel in Wales wurde ein "Plan für höhere Einsatzbereitschaft" (Readiness Action Plan) gefasst. NATO-Befehlshaber Domröse fordert: "Die Nato muss sich fit machen für eine mögliche Kriegsführung im 21. Jahrhundert. Dazu gehört die Abwehr von konventionellen Angriffen, aber auch die Fähigkeit, Cyberangriffe abzuwehren oder eine lokal begrenzte Destabilisierung durch subversive feindliche Kräfte, die schwer zu fassen sind, zu kontrollieren."

Wenn die NATO dementsprechend schneller und flexibler, besser ausgerüstet und trainiert und damit einsatzbereiter werden soll, dann kostet das Geld. Die Zeit der Friedensdividende ist vorbei und da wir Europäer nicht mehr "nur von Freunden umgeben" sind, ist nun die Zeit der Realpolitik gekommen. Dazu gehört auch, dass Deutschland ernsthaft seinen Bündnisverpflichtungen gerecht wird und das kann damit beginnen, dass wir, wie vereinbart, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in die Verteidigung investieren.

(08.11.2014)

 

 

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