Hans-Heinrich Dieter

Reaktivierung der Wehrpflicht?   (01.03.2022)

 

„Wir haben Nachholbedarf, um uns selbst ausreichend verteidigen zu können“, sagt auch der ehemalige erfolglose Verteidigungsminister Franz-Josef Jung. Deshalb fordert er nun eine Diskussion um eine allgemeine Dienstpflicht. Diese Forderung ist in mehrfacher Hinsicht sinnvoll.

Die Wehrpflicht wurde 2011 - wie so vieles in der damaligen Politik - überhastet ausgesetzt, ohne dass die Rahmenbedingungen für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr eindeutig geregelt waren. Über das Aussetzen der Wehrpflicht wurde unzureichend informiert und die Konditionen für den freiwilligen Dienst wurden mangelhaft kommuniziert, auch weil es noch kein stimmiges Konzept gab und Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung noch nicht entschieden oder noch nicht wirksam waren. Das Aussetzen der Wehrpflicht wurde quasi im Schnelldurchgang mitten in die Planungen für die Neuausrichtung der Bundeswehr hinein realisiert und so zu einer zusätzlichen Belastung, anstatt eine Übergangszeit im Einklang mit der Einnahme einer neuen Struktur zu verfügen. Fehler über Fehler!

Die Wehrpflicht wurde in Deutschland aber auch sehr lange halbherzig und nicht hinreichend gerecht gehandhabt. Auch deswegen wurde im Zusammenhang mit der veränderten sicherheitspolitischen Lage nach der Vereinigung und mit den damals stark reduzierten Mobilmachungserfordernissen immer häufiger und mit Recht die Sinnfrage gestellt. Die damalige Schwarz-Gelbe Bundesregierung hatte zudem den Grundwehrdienst in Richtung Sinnlosigkeit verkürzt und ad absurdum geführt. Man verlangte von den jungen Staatsbürgern einen militärisch unsinnigen und sicherheitspolitisch nicht zu begründenden, zu kurzen Wehrdienst. Diese schweren Fehler in der politischen Handhabung der überhasteten Maßnahme haben sich sehr negativ auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ausgewirkt, denn die Streitkräfte haben in der Folge nicht genug und vor allem auch nicht die qualitativ richtigen Freiwilligen verpflichten können. Und die Verankerung der Bundeswehr in die Gesellschaft wurde auch brüchig. Ob allerdings jetzt in der Krise eine wiederbelebte Wehrpflicht diese Probleme lösen würde, darf stark bezweifelt werden.

Denn in unserer Gesellschaft ist das Interesse an der Bundeswehr weiterhin sehr wenig ausgeprägt und, wenn es gut geht, durch "freundliches Desinteresse" gekennzeichnet. In Deutschland darf man Soldaten ungestraft „potenzielle Mörder“ nennen. Die Berichterstattung in den meisten Medien konzentriert sich auf Negativaspekte, auf Skandale und Fehlleistungen von Soldaten. Die erfolglosen Verteidigungsminister der vergangenen Jahre haben das Vertrauen der Soldaten verspielt. Die Bundeswehr wird auf regionaler und kommunaler Ebene eher als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen, denn als Organisation, in der es eine Ehre ist, zu dienen. Die Teilnahme der Soldaten der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan wird durch die Mehrheit der Bevölkerung negativ beurteilt, mehrheitliche Solidarität ist von dieser Gesellschaft für Soldaten derzeit nicht zu erwarten. Die Haltung der Gesellschaft der Bundeswehr gegenüber ist indifferent. Die Bundeswehr genießt in der Gesellschaft nicht die Anerkennung, die sie verdient. Ein Wiederbeleben der Wehrpflicht wird die sicherheitspolitisch ungebildete und desinteressierte deutsche Gesellschaft nicht ändern und unsere derzeit vielfältigen Probleme kaum besser bewältigen lassen!

Soldaten der Bundeswehr haben in der Vergangenheit und zuletzt in der Flutkatastrophe sowie bei der Coronapandemie immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie in Katastrophenlagen schnell, effektiv und erfolgreich helfen. Soldaten dürfen aber nicht missbraucht werden als „Hilfsarbeiter“ für überforderte Kommunen oder Behörden und auch nicht als „Hilfspolizisten“ ohne hinreichende Ausbildung und Befugnisse. Soldaten der Bundeswehr haben die äußere Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten, dafür sind sie verpflichtet und ausgebildet worden. Und wenn man die anstehenden Probleme im Sozial- und Gesundheitswesen dauerhaft bewältigen will, dann werden Soldaten, ob wehrpflichtig oder freiwillig, nicht dauerhaft zur Verfügung stehen können. Und der 2021 neu ins Leben gerufene Freiwilligendienst für den Heimatschutz ist dafür unzureichend geeignet.

Die einzig sinnvolle Maßnahme wäre deswegen die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für alle Staatsbürger - Frauen und Männer, die in der Bundeswehr oder in sozialen und gemeinschaftsdienlichen Einrichtungen geleistet werden muss. Diese Dienstpflicht darf ein Jahr nicht unterschreiten, muss gerecht organisiert und von der Gesellschaft akzeptiert werden. Für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren muss die dafür erforderliche gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Mit einer solchen allgemeinen Dienstpflicht könnte auch Nachwuchs für die Bundeswehr und soziale Einrichtungen gewonnen und auch die politische Bildung deutlich verbessert werden.

(01.03.2022)

 

 

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