Hans-Heinrich Dieter

Politikunfähig!   (25.11.2013)

 

Wenn Politik die Kunst des Möglichen und des Ausgleichs ist, um auf unserer Welt friedlich miteinander leben zu können, dann ist Israel derzeit unter der politischen Führung von Netanjahu/Lieberman politikunfähig.

Nach Jahren der Konfrontation bemühen sich die Veto-Mächte der UN und Deutschland seit längerem um Möglichkeiten zur Beilegung des Atomstreits mit dem Iran. Schon im Vorfeld von Verhandlungen macht Netanjahu Propaganda und Stimmung. Bereits im Oktober hat er westliche - auch deutsche - Journalisten zu Einzelgesprächen geladen, um zu indoktrinieren: "Die aggressiven Bestrebungen richten sich doch nicht nur gegen uns, sondern gegen Deutschland. Die haben Raketen auf Deutschland gerichtet. Die bauen Langstreckenraketen nicht für uns, sondern für Euch, für Europa und die Vereinigten Staaten. Die haben nur eine Sprengladung im Sinn, eine atomare Sprengladung."

Schon vor Beginn der Gespräche warnen Netanjahu und seine Regierung - ungeachtet möglicher Verhandlungsergebnisse - vor einem Abkommen mit der Regierung des Erzfeindes in Teheran. Israel hat Angst vor einem Einlenken der westlichen Welt und Verteidigungsminister Mosche Jaalon orakelt: "Ich gehe davon aus, dass es ein Abkommen geben wird. Denn die Iraner brauchen ein Abkommen, sonst überleben sie wirtschaftlich nicht. Der Westen neigt zu einem Abkommen, obwohl es nicht notwendig ist. Als jemand, der im Nahen Osten lebt, sage ich: Man verhält sich im Nahen Osten nicht so wie der Westen, wenn man etwas Handfestes erreichen will." Im Nahen Osten zählt aus Sicht Israels offenbar der nackte Egoismus aus einer Position der Stärke heraus, ganz oder gar nicht, schwarz oder weiß. Und man fragt sich, was das "Handfeste" ist, das Israel erreichen will. Will Israel den wirtschaftlichen Tod des Iran, was ein Wiedererstarken der Hardliner und eine Verstärkung des Terrorismus zur Folge hätte? Will Israel, dass der Iran unkontrolliert an der Atombombe baut, um einen Vorwand zu haben, für ein eigenmächtiges militärisches Eingreifen, möglicherweise mit Nuklearwaffen? Man wird diesbezüglich von Israel keine klaren Antworten erwarten können, schon eher Mutmaßungen, Annahmen, Unterstellungen und Propaganda. Das Ziel Israels scheint es ausschließlich zu sein, die einzige Atommacht im Nahen Osten zu bleiben und damit die Region zu dominieren sowie seine Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen. An einem Ausgleich oder an einer friedlichen Lösung kann Netanjahu auch schon deswegen nicht gelegen sein, weil dann, wenn die israelische Bevölkerung eine reduzierte Bedrohung empfindet, friedensfeindliche Politiker wie Netanjahu/Lieberman in Israel keine Zukunft haben.

Nun hat die internationale Gemeinschaft nach schwierigen Verhandlungen eine Übergangslösung vereinbart, die das Atomprogramm des Iran zunächst für sechs Monate auf Eis legen soll. Im Gegenzug sollen die Sanktionen teilweise und moderat, aber nicht unumkehrbar gelockert werden. In den kommenden sechs Monaten soll nun eine Dauerlösung ausgearbeitet werden.

Was wurde vereinbart: Der Iran darf weiter Uran bis zu fünf Prozent anreichern, aber nicht darüber hinaus. Es dürfen keine zusätzlichen Zentrifugen jeglicher Art oder Zentrifugen der nächsten Generation zur Urananreicherung installiert werden. Der Schwerwasserreaktor Arak, der Plutoniumproduktion möglich macht, darf nicht in Betrieb genommen werden. Und besonders wichtig, Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA sollen täglichen Zutritt zu den Urananreicherungsanlagen Natans und Fordo sowie zu Zentrifugenfabriken erhalten.

Die westliche Welt sieht das als eine Wende in der festgefahrenen Politik und als einen tragfähigen Anfang mit der Chance, den langjährigen Atomstreit mit dem Iran beizulegen und die atomare Bewaffnung des Iran durch die weitreichenden Kontrollmöglichkeiten zu verhindern. Das ist doch ein diplomatischer und wohl auch politischer Erfolg.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hingegen kritisierte das Abkommen als "historischen Fehler", fühlt sich natürlich nicht daran gebunden und sagt: "Heute ist die Welt viel gefährlicher geworden, weil das gefährlichste Regime der Welt einen bedeutenden Schritt in Richtung der gefährlichsten Waffe der Welt gemacht hat." Er sieht den Nahen Osten sogar jetzt schon einem Rüstungswettlauf ausgesetzt.

Israel behindert mit sturer Voreingenommenheit und mit teilweise bornierter Propaganda die Bemühungen der westlichen Welt um einen tragfähigen politischen Ausgleich, um die Vermeidung einer militärischen Intervention mit sehr unsicherem Ausgang und um einen Beitrag zu einer friedlicheren Entwicklung im Nahen Osten. Israel isoliert sich so politisch mehr und mehr und will nicht erkennen, dass ein friedlicher Ausgleich mit einem kontrolliert nuklearwaffenfreien Iran eine Chance für den Nahen Osten ist, - und auch für Israel.

Die EU hat schon sehr deutlich gemacht, dass sie mit der Siedlungspolitik und der erkennbar unzureichenden Bereitschaft Israels, konstruktiv für Friedensverhandlungen auf der Grundlage einer Zweistaaten-Lösung einzutreten, nicht einverstanden ist. Die Europäische Union zeigt außerdem zunehmend unzweifelhaft, dass sie sich von Politikern wie Netanjahu und Lieberman nicht hinhalten und an der Nase herumführen lässt. Es ist davon auszugehen, dass die EU ständiges israelisches Störfeuer während des Ringens um eine tragfähige und verantwortbare "Dauerlösung" im Atomstreit mit dem Iran nicht widerspruchslos hinnehmen wird.

Verstärkte politische Isolation und zunehmende deutliche Unzufriedenheit der westlichen Welt mit israelischer Politik ist schlecht für die israelische Bevölkerung. Israel hat bessere Politiker verdient als Netanjahu/Lieberman - dazu müssen die Israelis allerdings die besseren Politiker wählen.

(25.11.2013)

 

 

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