Hans-Heinrich Dieter

Petersbergkonferenz (12.06.2011)

 

In der vergangenen Woche haben die Verteidigungsminister der 28 NATO-Staaten in Brüssel auch über das weitere Vorgehen in Afghanistan beraten. Die Zwischenbilanz gibt keinen Anlass zu großen Erwartungen. Zwar haben die Militäraktionen gegen die Taliban insbesondere im Süden des Landes Teilerfolge gebracht, den Taliban konnten aber auch spektakuläre Erfolge im Zuge ihrer Frühjahrsoffensive nicht verwehrt werden. Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Unterwanderung der afghanischen Sicherheitskräfte durch die islamistischen Extremisten. Die Taliban sind handlungsfähig, sie bestimmen teilweise das Handeln und haben sehr häufig die Initiative. Das sind keine Rahmenbedingungen, die Verhandlungsbereitschaft fördern.

Andererseits lässt der Aufbau der afghanischen Zivilgesellschaft noch sehr zu wünschen übrig. Die Korruption bestimmt weiterhin das öffentliche Leben, der Drogenanbau ist weiterhin teilweise lebenswichtige Erwerbsquelle für Clans und Großfamilien und demokratische Strukturen sind bisher sehr instabil. In einigen Regionen genießen die Taliban weiterhin Achtung und Anerkennung, während die Truppen der westlichen Staatengemeinschaft als Besatzer angesehen werden. Die vielfältige und erfolgreiche Unterstützung von Hilfsorganisationen wird angenommen, die Dankbarkeit hält sich aber in Grenzen. Die Anzahl der Kritiker, die den Aufbau der Zivilgesellschaft für gescheitert halten ist groß. 

Und die internationale Staatengemeinschaft ist unter Zeitdruck. In diesem Jahr wollen die USA und andere Nationen mit dem Abzug erster Truppenteile beginnen. Insbesondere auch Deutschland will die ersten Provinzen noch in diesem Jahr in afghanische Verantwortung übergeben. Die Kampftruppen der Allianz sollen unverändert bis 2014 abgezogen werden. Skepsis ist angebracht, ob „Übergabe in Verantwortung“ angesichts solcher Lage und der Perspektiven verantwortbar ist.

 

Am Ende des Jahres findet wieder eine Afghanistan-Konferenz in Deutschland statt. Es wird sehr interessant sein, eine Bilanz zu ziehen zwischen den politischen Absichten, Ankündigungen und Zusagen auf der Petersberg-Konferenz vom Dezember 2001 und den realen Ergebnissen, die in zehn Jahren mit großem personellen sowie materiellen Aufwand und auch mit erheblichen Verlusten bis zur neuerlichen Petersberg-Konferenz am 05.12.2011 erzielt wurden. Da wird die allseitige politische Gesichtswahrung keine leichte Aufgabe sein.  

Spannend wird die Konferenz auch deswegen, weil Vertreter der Taliban teilnehmen sollen. Welche Art Taliban werden das sein und wen vertreten sie, welches Verhandlungsmandat haben diese Vertreter von welcher legitimierten Autorität, mit welchem Ziel werden diese Vertreter der Islamisten und Fundamentalisten an den Verhandlungen teilnehmen, wie groß ist die Verhandlungsbereitschaft und wie stark wird der Wille zu Kompromissen oder gar zu einer Aussöhnung ausgeprägt sein? Nicht alle diese Fragen werden vor Beginn der Konferenz befriedigend beantwortet werden können. Und da bleibt noch die Frage, ob militärisch und gesellschaftlich erfolgreiche Taliban überhaupt ein grundsätzliches Interesse an Verhandlungen haben. Warum sollten erfolgreiche Extremisten politische Zugeständnisse machen, wenn sie nur zu warten brauchen, bis die internationalen Truppen abgezogen sind und sie mit den korrupten und unterwanderten Sicherheitsstrukturen und mit den instabilen politischen Institutionen leichtes Spiel haben? 

Der Gastgeber von Konferenzen ist immer in einer besonderen Pflicht, Anstrengungen und Erfolge unter Beweis zu stellen. Nun hat der scheidende amerikanische Verteidigungsminister Gates bei seiner Abschiedsrede in Brüssel sehr pessimistische Äußerungen über die Zukunft der NATO gemacht und offene Kritik am Engagement der Europäer geübt. Gates meint, die Allianz sehe einer „trüben und düsteren Zukunft“ entgegen, wenn die Europäer nicht mehr täten. Und er beklagt, dass die NATO Probleme habe, genug Soldaten in den Einsatz zu schicken, die über die nötige Ausrüstung verfügen von Hubschraubern bis zu Aufklärungsmitteln. Da hat Minister Gates sicher auch streng in Richtung deutsche Delegation geblickt – nicht ohne triftigen Grund.

Wenn Deutschland seinen übernommenen Pflichten gerecht werden will, muss es seine Anstrengungen in Afghanistan in der kurzen verbleibenden Zeit bis zur Petersbergkonferenz und dann bis 2014 verstärken, um die „Übergabe in Verantwortung“ wie geplant vollziehen zu können. Kleine Erfolge zum Beispiel im Kampf gegen die Korruption oder beim Aufbau ziviler Strukturen können sehr schnell verloren gehen, wenn sich herausstellt, dass die afghanischen Sicherheitskräfte dieser Verantwortung in den übergebenen Provinzen nicht gerecht werden. Dann braucht man Reserven, um die Lage stabilisieren zu können. Verhandlungs- und Aussöhnungsversuche erscheinen nur mit deutlich geschwächten Taliban erfolgversprechend. Deswegen müssen die Taliban auf jeden Fall unvermindert aktiv und offensiv bekämpft werden, möglicherweise mit mehr Kampftruppen, um lageabhängig Schwerpunkte bilden zu können.

Im Zusammenhang mit der Stimmenthaltung bei der Libyen-Resolution hat Deutschland auch immer wieder auf sein starkes Engagement in Afghanistan hingewiesen. Der damit verbundenen Verantwortung muss Deutschland ohne Abstriche gerecht werden. Und das erfordert in der kurzen verbliebenen Zeit verstärkte Anstrengungen, so schwer das auch politisch fallen mag.

(12.06.2011)

 

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