Hans-Heinrich Dieter

Ohnmächtige UNO   (13.10.2016)

 

Der UN-Sicherheitsrat hat den ehemaligen portugisischen Ministerpräsidenten Antonio Guterres als zukünftigen UN-Generalsekretär vorgeschlagen. Es gilt als sicher, dass die UN-Generalversammlung dieser Empfehlung folgt und den erfahrenen ehemaligen UN-Hochkommisar für Flüchtlingsfragen (UNHCR) heute wählt. Die Medien kommentieren mehrheitlich positiv und bringen sogar zum Ausdruck, Guterres "has the opportunity to make the UN actually effective." Das sind hochgesteckte Erwartungen - oder sind es eher Illusionen?

Am 24.Oktober 2016 können die Vereinten Nationen das 71jährige Jubiläum der Ratifizierung ihrer Charta feiern. Bei diesem Jubiläum gibt es aber sehr wenig zu jubeln, denn die UN befinden sich in einem Zustand ständiger Ohnmacht. Gemäß ihrer Charta wollen die UN unter anderem:

- Weltfrieden und internationale Sicherheit wahren

- alle Streitigkeiten friedlich schlichten

- freundschaftliche Zusammenarbeit zur Friedenssicherung fördern…

Diese Ziele erreichen die UN nicht oder nur sehr unzureichend, weil sich die politische Lage grundlegend geändert hat und die Nachkriegsstruktur der UN, hauptsächlich des Sicherheitsrates, der aktuellen politischen Lage nicht mehr entspricht. Außerdem lässt die Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander stark zu wünschen übrig.

Der Sicherheitsrat besteht aus 15 Mitgliedern. Die zehn nicht-ständigen Mitglieder, die jeweils für zwei Jahre gewählt werden, können sich nur eingeschränkt auswirken, denn ein Veto-Recht haben lediglich die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Die ausgeprägte Blockadehaltung einzelner ständiger Mitglieder im UN-Sicherheitsrat paralysiert die UN bei wichtigen Entscheidungen.

Die fünf Sieger des Zweiten Weltkrieges und heutigen Veto-Mächte haben sich nach 1945 mit der Welt verändert. Die USA sind Supermacht geblieben, haben aber durch den verlorenen Vietnamkrieg und den ungerechtfertigten zweiten Irakkrieg moralischen Anspruch stark eingebüßt und deutlich an Glaubwürdigkeit verloren. Die Sowjetunion ist inzwischen zusammengebrochen und Russland ist keine Supermacht mehr. Russland will aber wieder eine Supermacht werden - auf Kosten souveräner Staaten und Nachbarn. Mit der Annexion der Krim hat Russland das Völkerrecht gebrochen und mit dem verdeckten Krieg gegen die Ukraine hat Russland das Vertrauen der westlichen Welt in seine Berechenbarkeit als Partner verloren. Als eine Reaktion blockiert Russland seit vier Jahren Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zum Bürgerkrieg in Syrien durch sein Veto. Russland geriert sich inzwischen als Gegner der westlichen Welt und befindet sich derzeit in einer Vorstufe eines neuen Kalten Krieges mit seinem „Veto-Partner“ USA. Das kommunistische China hat eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung geleistet und strebt aggressiv die Vorherrschaft im pazifischen Raum an, das hat eine gleichsam natürliche Gegnerschaft mit den USA zur Folge und begründet eine stark eingeschränkte Bereitschaft zur Zusammenarbeit im UN-Sicherheitsrat. Großbritannien repräsentiert nicht mehr das British Empire, hat an Bedeutung in der Weltpolitik und auch in Europa stark eingebüßt und deswegen ist auch eine privilegierte Stellung mit ständigem Sitz im Weltsicherheitsrat und Vetorecht nicht mehr gerechtfertigt. Frankreich versteht sich unverändert selbst als Grande Nation, ist aber politisch und mit seiner desolaten Wirtschaft weit davon entfernt, dem selbstgesetzten Anspruch nur annähernd gerecht zu werden. Deswegen ist auch eine privilegierte Stellung Frankreichs in den Vereinten Nationen nicht mehr gerechtfertigt.

Diese Lage führt mitten in der heutigen Krisenwelt zu häufiger Selbstblockade des UN-Sicherheitsrates durch die fünf Vetomächte. Daraus erwächst eine Ohnmacht der UN zu einer Zeit, wo sie dringend in der Krisenregion Naher und Mittlerer Osten gebraucht würden. Diese Ohnmacht lässt am möglichen Erfolg und zunehmend auch am Sinn der Weltorganisation zweifeln. Und solche zunehmenden Zweifel an der Sinnhaftigkeit der UN erzeugen offenbar auch Desinteresse. Anders ist nicht zu erklären, dass die Wahl der Ukraine 2015 als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat in der politischen Diskussion keine Rolle spielt und von den Medien nur vereinzelt als kleine Meldung aufgegriffen wurde.

Nun blockieren sich nicht nur die teilweise gegnerisch eingestellten Veto-Staaten im Sicherheitsrat. Jetzt sollen auch noch Russland, das gegen die Ukraine einen hybriden Krieg führt, und die von Putin nachhaltig destabilisierte Ukraine durch freundschaftliche Zusammenarbeit die Friedenssicherung fördern. Auch wenn in der Politik und in der Diplomatie vieles möglich ist - das ist absurd. Und solche Selbstblockade hat dazu geführt, dass einer Gallup-Umfrage zur Folge nur 38 Prozent der befragten Fachleute die UN noch für einigermaßen effektiv halten.

Die derzeitige Lage mit einer Vielzahl von Krisen, mit starken Bedrohungen durch islamistischen Terror und mit der stärksten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg schreit geradezu nach friedensfördernder Aktivität der UN und deswegen muss die Selbstblockade und Paralyse der Weltgemeinschaft endlich überwunden werden. Das geht nur mit den grundlegenden Reformen, die schon vor langer Zeit angestoßen aber nicht voran getrieben wurden.

Mit solchen Reformen könnten die UN zeigen, dass sie es nicht länger hinnehmen wollen, wenn Vetomächte wie Russland eine an Frieden, demokratischen Werten und an humanitären Zielen orientierte Politik der internationalen Staatengemeinschaft blockieren und eine nicht mehr gerechtfertigte herausgehobene Rolle spielen. Und nur mit solchen Reformen können die Vereinten Nationen ihre Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit zurückgewinnen.

Guterres, der sich zehn Jahre als Hochkommisar engagiert für Flüchtlinge eingestzt hat, kündigt an, dass er sich als Generalsekretär mit aller Kraft für die Ärmsten der Armen in der Welt einsetzen will. Wenn es Guterres nicht gelingt, die Struktur der UN zu reformieren, wird er ähnlich erfolglos bleiben wie Ban Ki-Moon.

Da kann man nur hoffen, dass Guterres den Mut und die Entschlossenheit aufbringt, um die UN aus der Ohnmacht zu erwecken - eine echte Sisyphus-Aufgabe.

(13.10.2016)

 

 

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