Hans-Heinrich Dieter

“Laien” gegen Profi   (26.09.2015)

 

Wenn man die deutsche Politik aufmerksam und engagiert verfolgt, dann darf man sich mit Recht Sorgen machen. In der Flüchtlings- und Asylpolitik hat die Koalition kein Konzept. Die Kanzlerin lässt sich von Gefühlen leiten, hat keinen Plan und verbreitet hartnäckig und wider besseren Wissens die falsche und illusionäre Botschaft, dass wir Flüchtlinge ohne Obergrenze aufnehmen können und dass wir es schaffen. Dabei werden wir noch nicht einmal mit den Migrationsproblemen vor der Flüchtlingskrise fertig. Der Europäische Gerichtshof rügte bereits im April 2004 die Abschiebepraxis in Deutschland und stellte fest, dass zu lasche deutsche Regelungen zur Abschiebung gegen europäisches Recht verstoßen. Jetzt wird Deutschland einem Vertragsverletzungsverfahren unterzogen. Auch eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern hat nun die deutsche Abschiebepraxis kritisiert. Im Zentrum ihres Erfahrungsberichts steht der Vorwurf, es fehle Politikern und Behörden die Standhaftigkeit, Ausländer in ihre Heimatländer zurückzuschicken, selbst wenn diese vor Gericht in allen Fällen gescheitert seien. Dies habe dazu geführt, dass 2010 nur 14,8 Prozent der Ausreisepflichtigen die Bundesrepublik verlassen hätten, darunter 5,7 Prozent (930 Personen) auf dem Weg der Abschiebung. Kurz gesagt, wir sind zu feige, unsere Regeln und Gesetze konsequent umzusetzen. Und wir sind nur eingeschränkt fähig, Asylanträge zeitgerecht zu bearbeiten und schieben derzeit etwa 240.000 unbearbeitete Anträge vor uns her. Bisher schaffen wir es also nicht!

In der Außen- und Sicherheitspolitik hat Deutschland auch keine definierten Ziele, kein Konzept und keine Strategien. Der Außenminister redet gerne über vernetzte Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, schafft aber als federführender Minister keine Rahmenbedingungen für deren Anwendung - er reist lieber. Deswegen lebt Deutschland, getrieben vom Wunsch dabei zu sein, mitzumachen, wenn es ungefährlich ist und dabei möglichst geliebt zu werden, von der Hand in den Mund und vom Augenblick. Ein solcher Augenblick ergab sich für Kanzlerin Merkel nach dem letzten EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise. Vor der Presse machte sie sich nebenbei Gedanken über die Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien und sagte: „Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, auch mit Assad.“ Mit dieser Aussage hat sie nicht nur den deutschen Außenminister, sondern auch den Koalitionspartner und die eigene Partei überrascht. Der Obmann für Außenpolitik der CDU/CSU Kiesewetter meinte denn auch lapidar, er habe Assad bisher als Teil des Problems gesehen und nicht als Teil der Problemlösung. Deswegen hieß es dann auch schnell in Berlin, die Äußerungen der Kanzlerin bedeuteten keinen Kurswechsel und Frau Merkel habe auch nicht von Gesprächen mit Assad persönlich geredet. Und Röttgen meinte sagen zu können: „Mit Assad setzt sich niemand an einen Tisch“. Der syrische Präsident habe faktisch keine Macht mehr im Land und stütze sich lediglich auf einen einflussreichen Verwaltungsapparat. Laienhaft unkoordiniert und kakophonisch!

Die USA, Frankreich und Großbritannien haben Assad bisher isoliert und Gespräche abgelehnt. Mit diesen Partnern hat Frau Merkel wohl ihre spontane und persönliche „Krisenbewältigungsstrategie“ nicht abgesprochen. Beifall bekommt sie natürlich sofort von Putin, der sich durch Merkel in seiner Position bestätigt sieht. Dieses Beispiel macht insgesamt sehr deutlich, dass wir kein Konzept und keinen Plan haben. Und dieses unzureichende politische Verhalten wirft auch die Frage auf, ob unsere Außen- und Sicherheitspolitik ausreichend demokratisch legitimiert ist und die Exekutive hinreichend durch das Parlament kontrolliert wird, wenn die politische Haltung Deutschlands zu Krisen und deren Bewältigung nicht im Bundestag erschöpfend diskutiert und verabschiedet wird. Und so gibt dann jeder, der sich für wichtig hält, ob zuständig oder nicht, seinen Senf in die Mikrofone, wie der sich im Abseits wähnende Vizekanzler Gabriel, der vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkriegs und der Flüchtlingskrise in Europa für ein Ende der Sanktionen gegen Russland plädiert, weil der Ukraine-Konflikt das Verhältnis nicht so stark belasten dürfe, dass Moskau als Partner in Syrien ausfalle. Der Wirtschaftsminister hat einfach vergessen, dass die EU dafür die Umsetzung des Minsker Friedensabkommens zur Bedingung gemacht hat. Inzwischen hat Kanzleramtschef Altmaier den Vizekanzler "zurückgepfiffen" und festgestellt, dass Deutschland sich durch Russland nicht erpressen lasse. Irgendwie wirkt die deutsche Politik ein wenig stümperhaft und entspricht nicht der politischen Bedeutung einer europäischen Mittelmacht mit Führungsanspruch. Ein amerikanischer Politiker hat wohl nach ähnlichen Beobachtungen Deutschland jüngst als Hippie-Republik bezeichnet, die hauptsächlich durch Gefühle gesteuert wird.

Wichtiger als das Verbreiten von spontanen, nicht abgesprochenen, unkoordinierten, konzeptionslosen Einzelmeinungen wäre eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik Putins, wenn Deutschland es wirklich ernst meint mit einer aktiven Rolle bei der Beendigung des syrischen Bürgerkrieges. Putin ist ein gefährlicher Profi, er hat ein Konzept, einen Plan und eine Strategie. Er möchte sich als Großmacht wieder in Politik einbringen und die teilweise Isolierung aufbrechen. Als Hebel nutzt er den Kampf gegen den Islamischen Staat, weil der auch Regionen Russlands bedroht. Als Mittel wählt er bewusst im Gegensatz zum Westen die Unterstützung des tatsächlich legitimen Präsidenten Assad, weil er weiß, dass ohne Assad, seinen Verwaltungsapparat, seine Streitkräfte und die Assad unterstützenden Teile der syrischen Bevölkerung weder der Kampf gegen den IS gewonnen noch der Bürgerkrieg beendet werden kann. Mit der Unterstützung für Assad schafft er auch die Voraussetzungen für die Verstärkung der russischen Militärpräsenz in Syrien, für den Ausbau der russischen Marinebasis und die Vergrößerung seines Einflusses auf die Entwicklung Syriens. Der Nebeneffekt der Unterstützung Assads ist die sichere Verlängerung des Bürgerkrieges und der dadurch anhaltende Flüchtlingsdruck auf die EU, der Europa insgesamt destabilisiert - durchaus ein wesentlicher Aspekt Putinscher Politik. Und mit dem Angebot der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des IS schafft Putin sich über erforderliche Absprachen Kontrollmöglichkeiten für die Operationen der Koalition. Putin ist damit nicht unbedingt "helfender" Partner im Syrienkonflikt sondern ein fordernder Akteur mit starken eigenen Interessen, die man berücksichtigen, ablehnen oder auch nutzen muss. Dazu muss die westliche Welt sehr genau wissen, was sie gemeinsam will.

Mit Russlands Aktivitäten ist der syrische Bürgerkrieg noch komplexer und die Problemlösung nicht einfacher geworden. Aber ohne die Nutzung der staatlichen Strukturen und ohne die syrische Armee als Bodentruppe wird der IS in Syrien nicht auszuschalten sein. Deswegen ist es richtig, Assad in die Problemlösung einzubinden. Und natürlich wird es keine Beendigung des syrischen Bürgerkrieges geben, ohne dass alle wesentlichen Konfliktparteien mit am Verhandlungstisch sitzen: die USA, Russland, die EU, die Arabische Union, Saudi Arabien, der Iran, die Türkei aber auch Präsident Assad und Vertreter der syrischen Opposition. Aber bevor es zu Verhandlungen kommt, sollte die westliche Welt bitte eine deutlich fundiertere und verantwortungsbewusstere Zielsetzung entwickeln als "Assad muss weg!"

Und bevor Deutschland sich ohne Plan und unkoordiniert lediglich verbal einbringt, sollte in der Volksvertretung diskutiert und entschieden werden, mit welchen konkreten politischen und militärischen Anstrengungen Deutschland zur Bekämpfung des IS und zur Beendigung des Bürgerkrieges beitragen will. Deutschland ist als parlamentarische Demokratie verfasst, deswegen ist gefühlsorientierte Bastapolitik der Kanzlerin fehl am Platze, auch wenn sie - nicht proletenhaft wie bei Schröder - sondern über freundlich verpackte, vermeintlich alternativlose Stichworte ausgeübt wird.

(26.09.2015)

 

 

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