Hans-Heinrich Dieter

Kluge und maßvolle Politik   (26.08.2013)

 

Früher sagte man, Krieg sei zu gefährlich, um ihn den Militärs zu überlassen. Heute sind es meist die militärischen Fachleute, die versuchen, vor politisch lautstark geäußerten kriegerischen Absichten zu warnen. Auch die Krisenpolitik der USA im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg ist dafür ein gutes Beispiel. US-Generalstabschef Martin Dempsey mahnt seit Monaten auf der Grundlage von Risikoanalysen, Lagebeurteilungen und Kosten-Nutzen-Kalkulationen vor einem Eingreifen in Syrien.

Der US-Geheimdienst hatte damals – möglicherweise in politischem Auftrag – den Angriff auf den Irak quasi herbei gelogen, das amerikanische Militär hingegen hatte deutlich auf Gefahren und Risiken hingewiesen. Der republikanische Präsident G.W. Busch hat den zweiten Irakkrieg dann vom Zaun gebrochen und zu verantworten, auch in seinen verheerenden Auswirkungen auf die Region. Präsident Obama weiß das und ist entsprechend zurückhaltend. Er sollte sich weder von Frankreich noch von Großbritannien zu Waffenlieferungen an die Opposition oder zu einer Militärintervention drängen lassen, sondern die Anschuldigungen zu Giftgas-Einsätzen des syrischen Regimes in der Nähe von Damaskus mit eigenen Mitteln intensiv und glaubwürdig prüfen sowie das Prüfergebnis der UN-Inspektion abwarten und auswerten. Nur auf Verdacht hin zuschlagen, wie von Frankreich und Großbritannien propagiert - das ist keine verantwortungsvolle Politik. Erst wenn gesicherte Erkenntnisse über einen Massenmord des Regimes mit Chemie-Waffen vorliegen, muss ein erneuter Versuch im UN-Sicherheitsrat unternommen werden, Russland und China für ein UN-Mandat zu gewinnen. Wenn sich Russland und China angesichts eines nachgewiesenen Massenmordes an der syrischen Bevölkerung vor der Weltöffentlichkeit einem UN-Mandat verweigern sollten, müssen die USA mit Verbündeten entsprechend der definierten „roten Linie“ glaubwürdig handeln. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass die dann zu ergreifenden politischen und militärischen Maßnahmen von Teilen der westlichen Welt sich langfristig zum Wohle der syrischen Bevölkerung auswirken. 

US-Generalstabschef Martin Dempsey hat dem Weißen Haus am Wochenende unterschiedliche militärische Optionen vorgetragen. Er wird an jede Option ein entsprechendes „Preischild“ geheftet haben. Und diese "Preisschilder" zeigen sicher alle erheblichen politischen, militärischen, materiellen und auch humanitären "Kosten".

Intervenieren die USA mit Luftschlägen gegen Militäreinrichtungen und politische Hochwertziele des Regimes, dann arbeiten sie den unzähligen, teilweise zerstrittenen Gruppen von Freiheitskämpfern, Rebellen, Dschihadisten, Terroristen, Al-Kaida-Kämpfern in die Hände. In Afghanistan wird dann Al-Kaida bekämpft, in Syrien unterstützt. Im Ergebnis könnten die Islamisten die Herrschaft an sich reißen und einen Gottesstaat auf der Grundlage der Scharia errichten. Dann ist eine humanitäre Katastrophe für die Alawiten, Christen und Sunniten zu befürchten.

Eine militärische Intervention könnte Assad bewegen, den Bürgerkrieg über die Grenzen auszuweiten. Dann wären der Iran, die Türkei, der Libanon, aber auch Israel wahrscheinlich direkt mit einbezogen. Wenn der Iran in den Konflikt eingreift, wird Israel seine Politik der Nichteinmischung wohl nicht durchhalten wollen. Und es müsste gewährleistet sein, dass chemische Waffen im Zuge einer Intervention oder begünstigt durch Waffenlieferungen an die Opposition am Ende nicht in die Hände von radikalen islamistischen Kräften und Terroristen fallen, denn das definiert eine „rote Linie“ Israels für ein militärisches Eingreifen. Ein militärischer Flächenbrand in der Region und politisches Chaos mit der einhergehenden humanitären Katastrophe wären eine nicht unwahrscheinliche Folge.

Wenn aufgrund des parteiischen Eingreifens einer „Koalition der Willigen“ in den Bürgerkrieg zugunsten der von Islamisten und Al-Kaida-Kämpfern dominierten Opposition diese unheilige Allianz die Oberhand gewinnt, wird der Bürgerkrieg wohl auf unbestimmte Zeit verlängert, die staatliche Ordnung zerfällt weiter und das Land mit seiner Bevölkerung wird verstärkt islamistischem Terror ausgesetzt, was den Einsatz von westlichen Bodentruppen aus humanitären Gründen erzwingen könnte. Dann ist nicht zu erwarten, dass die Erfahrungen positiver sein werden als im Irak oder in Afghanistan. 

Und was wäre zu unternehmen, wenn die UN-Inspektion herausfindet, dass die Opposition den vermeintlichen „Giftgasangriff des Regimes“ unter Inkaufnahme von hohen Verlusten in der Zivilbevölkerung vorgetäuscht hat, um ein Ãœberschreiten der „roten Linie“ anprangern zu können und die USA in einer ziemlich ausweglosen militärischen Lage in dem Bürgerkrieg auf ihre Seite zu ziehen? Bei einem solchen Massenmord durch die Opposition müsste ja dann logischerweise die westliche Welt Assad bei der Bekämpfung der Terroristen und Islamisten unterstützen. Ziemlich absurd! In solchen Szenarien muss aber auf jeden Fall auch gedacht werden, denn die Annahme eines vorgetäuschten Giftgasangriffs durch die Opposition ist „militärisch“ plausibler als dass Assad, der erfolgreich auf dem Vormarsch ist, durch Giftgaseinsatz die USA zum Eingreifen provoziert. 

Unterm Strich wird man feststellen müssen, dass alle militärischen Optionen der USA wahrscheinlich schlecht oder zumindest nicht vorteilhaft sind. Die USA und die westliche Welt sind in einem schlimmen Dilemma und Syrien, Russland, China und der Iran wissen das. Die Bedenken, die Obama bislang von einem militärischen Eingreifen im Syrien-Konflikt abhielten, sind sehr wohl begründet. 

Seit Präsident Obama die "Rote Linie Chemiewaffeneinsatz" im syrischen Bürgerkrieg thematisiert hat, versuchen interessierte politische Kreise mit Unterstützung interessierter Medien, die USA in einen Krieg gegen Syrien zu ziehen. Solange die Frage nicht beantwortet ist, was nach einem Militärschlag folgen soll, welche Ziele eine mögliche Militär-Intervention verfolgen soll und solange keine politische Perspektive definiert und formuliert ist, bleiben militärische Optionen eher militärische Abenteuer, die womöglich noch größeres Unheil über das Land bringen. 

Für manche scheint es eine verkehrte Welt zu sein, wenn Militärs als zurückhaltende und realistische Mahner vor riskanten militärischen Interventionen auftreten. Aber verantwortungsvolle, am Frieden orientierte Politik ist heute offenbar zu wichtig, um sie allein unbesonnenen Macht- und Parteipolitikern zu überlassen. Gebraucht werden beratendes, militärisches Kalkül, kluge Diplomatie und maßvolle Politik von wirklichen Staatsmännern. Präsident Obama sollte sich nicht beeinflussen lassen und als wirklicher Staatsmann kluge und maßvolle Politik betreiben.

(26.08.2013)

 

 

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