Hans-Heinrich Dieter

Leider kein Nationaler Sicherheitsrat!   (15.06.2023)

 

Deutschland hat nach der Wiedervereinigung vorwiegend naiv-pazifistisch und wirtschaftsorientiert gedacht, aber nie wirklich strategisch. Deswegen wurde auch bisher keine Nationale Sicherheitsstrategie formuliert. Deutschland hat die „Friedensdividende“ genossen und im Vertrauen auf die NATO mit dem nuklearen Schutzschirm der USA die äußere Sicherheit als gegeben betrachtet. Im Zusammenhang mit dem Afghanistaneinsatz folgte die deutsche Politik dem sogenannten „vernetzten Ansatz“, bei dem Militär, Diplomatie, Entwicklungshilfe und andere Ressorts bei Krisen-Interventionen zusammenwirken sollten. Das hat aber nie wirklich funktioniert, weil die federführenden Außenminister – vorwiegend mit SPD-Parteibuch - nicht willens oder nicht in der Lage waren, dieser Verantwortung gerecht zu werden oder weil sich z.B. Heidemarie Wieczorek-Zeul als Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (SPD) unter Schröder und Merkel ganze 9 Jahre lang jeglicher Zusammenarbeit mit der Bundeswehr verweigert hat. Das ist ein Armutszeugnis für eine europäische Mittelmacht.

Die Bundeswehr wollte allerdings nicht ohne strategische Vorstellungen in die Einsätze gehen und hat daher Weißbücher verfasst, die Grundlage für sicherheitspolitisches Handeln in der NATO und bei Auslandseinsätzen waren. Diese Weißbücher waren aber lediglich vom Kabinett gebilligt und vom Bundestag nur zur Kenntnis genommen – ein Unding für eine parlamentarische Demokratie und ein Beweis für das Desinteresse der deutschen Politik an der äußeren Sicherheit. Und so wurde Deutschland zu einem außenpolitischen Zwerg und zu einem sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer mit einer „kaputtgesparten“ Bundeswehr.

Und nun stellen wir fest, dass unsere „politische Elite“ die Entwicklung Russlands nach der Auflösung des Warschauer Paktes zu wohlwollend und nie mit realpolitischem Verstand kritisch begleitet und eingeschätzt hat. Die aggressive Rede Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hat man nicht als erstes Zeichen einer neuen Gegnerschaft Russlands gewertet. Die russische Intervention in Georgien hat man einfach hingenommen. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat unsere Politiker auch nicht wirklich aufwachen lassen, genauso wenig wie die subversiven und spalterischen russischen Aktionen im Donbas. Und so hat sich Merkel-Deutschland immer mehr von einer wertebasierten Realpolitik verabschiedet und sich, zuletzt mit Nord Stream 2, gegen den Willen der EU in immer größere energiepolitische Abhängigkeit von Russland begeben. Dabei hat sich die Entwicklung in der Ukraine über längere Zeit abgezeichnet und es war schon lange klar, dass sich Russland unter Putin nie und nimmer zu einer lupenreinen Demokratie entwickeln würde. Aber Putin-Pudel wie Schröder oder Putin-Versteher wie Steinmeier, um nur die prominentesten unter den vielen SPD-Russlandfreunden zu nennen, konnten die Realität intellektuell nicht erfassen oder wollten an ihrer Sympathie festhalten. Und Scholz hat noch Ende 2021 Nord Stream 2 als rein wirtschaftliches Projekt bezeichnet und die sozialdemokratisierte Merkel hat jüngst in einem Interview zum Besten gegeben, sie habe in der Politik gegenüber Russland keine Fehler gemacht – da muss sich wohl irgendein Charakterfehler ausgewirkt haben.

Aufgewacht sind wir erst am 24.02.2022, als der Neo-Stalinist Putin die Ukraine völkerrechtswidrig und unter Missachtung der Charta der Vereinten Nationen angegriffen hat. Und weil Deutschland keine strategischen Vorstellungen entwickelt hat, wussten wir am Anfang nicht wie wir uns politisch verhalten sollten und haben zögernd und zaudernd sehr lange gebraucht, bis wir zusammen mit der EU und der NATO zu einem vertretbaren Maß der Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung ihres Landes und ihrer Souveränität gefunden haben. Unser führungsschwacher Kanzler Scholz hat die Lage Europas und Deutschlands in seiner staatstragenden Zeitenwende-Rede gut beschrieben und eine ganze Reihe von Ankündigungen und Versprechungen gemacht, denen er schon nach kurzer Zeit im politischen Alltag nicht mehr gerecht wird. Das markanteste Beispiel ist dabei die erneute Nichteinhaltung des Versprechens, jährlich 2 Prozent vom BIP in die „Verteidigung“ zu investieren. Und so verliert die Ampel weiter an Vertrauen.

Deswegen ist es gut, dass Deutschland nun erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie hat. Bei der Vorstellung des Papiers sagte Kanzler Scholz: „Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine Stabilität und auch keinen Wohlstand.“ Zentral für die sicherheitspolitische Identität Deutschlands bleibe dabei „die Verankerung in der Europäischen Union und im transatlantischen Bündnis“.

Die Grundidee der Strategie ist erstmals, alle inneren und äußeren Bedrohungen für die Sicherheit Deutschlands zu berücksichtigen - also neben der militärischen Bedrohung auch Cyber-Attacken, mögliche Anschläge auf kritische Infrastruktur oder auch den Klimawandel. Politik der Integrierten Sicherheit nennt das die Bundesregierung in der Strategie. Konkret verpflichtet sich Deutschland unter anderem nun darauf, künftig das 2-Prozent-Ziel der NATO bei den Verteidigungsausgaben einzuhalten oder Nahrungs- und Energiereserven für den Notfall anzulegen.

Künftig sollte die Bundesregierung das 2-Prozent-Ziel unbedingt erreichen, denn in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie setzt sie auf eine wesentliche Stärkung der Bundeswehr. Oberste Aufgabe des Staates sei es sicherzustellen, dass die Deutschen auch künftig in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben könnten. Die Bundeswehr bleibe der Garant für die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands heißt es in dem Strategiepapier.

Außerdem will Deutschland künftig besser gegen Desinformation und andere Formen ausländischer Einflussnahme gewappnet zu sein. Dazu strebt die Bundesregierung bei Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst Verbesserungen an. Die Nationale Sicherheitsstrategie werde darauf abzielen, ihre Fähigkeiten zur Erkennung, Analyse und Abwehr solcher Bedrohungen auszubauen und die Instrumente zur Reaktion weiterzuentwickeln. Und dabei geht es auch um Früherkennung von manipulativer Kommunikation im Informationsraum.

Die Bundesregierung will ihre Entwicklungspolitik in ärmeren Staaten künftig „noch stärker an ihren strategischen Zielen ausrichten“. Dabei leiste die Entwicklungspolitik unverzichtbare Beiträge zu einer Politik der integrierten Sicherheit und zur Versorgungssicherheit in Deutschland bei gleichzeitiger Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Partnerländern, heißt es in dem Grundsatzpapier. „Dazu wird die Bundesregierung zusammen mit Partnern die Erschließung alternativer, menschenrechtskonformer und nachhaltiger Bezugsquellen für strategische Rohstoffe voranbringen.“ Dort, wo Regierungen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit untergraben, will die Bundesregierung ihre Zusammenarbeit stärker auf die nichtstaatliche und lokale Ebene ausrichten. Zugleich sei es das Ziel, jene Partnerregierungen zu stärken, die sich für demokratische Prinzipien einsetzen.

Zum aktuellen Krieg in Europa werden nur wenige dürftige Aussagen gemacht: „Das heutige Russland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum.“ Es fehlen aber Aussagen dazu, wie Deutschland sich eine europäische Friedensordnung nach dem Krieg vorstellt. Und was sind aus deutscher Sicht die Voraussetzungen für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Und unter welchen Bedingungen sind deutsche Sicherheitsgarantien im Rahmen der NATO und der EU in welcher Qualität denkbar.

Und zum kommunistischen Putin-Verbündeten China fällt Deutschland nicht wirklich Zukunftsträchtiges ein. Dass wir das Riesenreich als „Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen“ betrachten, ist bekannt. Und obwohl die Rivalität in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, bleibt China aus deutscher Sicht „ein Partner, ohne den sich viele der drängendsten globalen Herausforderungen nicht lösen lassen“. Fest steht nur, dass wir uns von China nicht abkoppeln, sondern lediglich die Risiken minimieren wollen. Da kann man nur hoffen, dass demnächst eine China-Strategie entwickelt wird, die klare Aussagen dazu macht, wie Deutschland sich bei einem chinesischen Angriff auf Taiwan positionieren bzw. einbringen will und wie Deutschland zur Stabilität im Pazifik beitragen will.

Bei aller Freude, dass wir endlich einmal ein politisches Grundsatzpapier entwickelt haben, muss man feststellen, dass es viel bekannte Polit-Prosa, viele Ankündigungen und bekannte Feststellungen enthält, aber dem Begriff Strategie leider nicht entspricht, weil Deutschland nicht sagt, wie es die Ziele mit welchen Mitteln erreichen will. Eine Strategie, die den Namen verdient, entwickelt zu politischen oder auch militärischen Problemstellungen zukunfts- und lösungsorientierte Handlungsoptionen und definiert den aussichtsreichsten Lösungsansatz unter Kosten-Nutzen-Aspekten. Dieser „Strategie-Versuch“ ist ein erster Ansatz, an dem noch erheblich gearbeitet werden muss. Denn die überarbeitete Nationale Sicherheitsstrategie muss Grundlage zur Entwicklung von Ressort-Strategien zur Lösung langfristiger politischer Problemstellungen sein und ermöglicht begründete Entscheidungen von großer politischer Tragweite. Nur so kann die politische Handlungsfähigkeit Deutschlands erheblich gesteigert werden.

Ein besonders negativer Aspekt ist es, dass die „Nationale Sicherheitsstrategie“ die Einsetzung eines Nationalen Sicherheitsrates nicht vorsieht, weil sich Scholz und Baerbock nicht über die Zuständigkeiten einigen konnten. Das ist ein unsinniges Kompetenzgerangel zum Schaden für die Sicherheit und Handlungsfähigkeit Deutschlands!

Denn Deutschland wird sich in Zukunft aufgrund der „Zeitenwende“ sowie der Rahmenbedingungen eines „Neuen Kalten Krieges“ in Europa verstärkt um die innere und äußere Sicherheit des Landes und seiner Verbündeten kümmern müssen und krisenfester werden. Dafür wird ein Expertenrat gebraucht, der alle sicherheitsrelevanten Informationen „24/7“ bündelt sowie auswertet und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen für die politischen Verantwortungsträger erarbeitet. Das ermöglicht vorausschauendes Krisenmanagement und schnelle Krisenreaktionen.

Und mit einem überparteilich und mit Experten verschiedener Ressorts besetzten Nationalen Sicherheitsrat könnten eifersüchtiges Ressortdenken der zuständigen Bundesministerien und auch Doppelstrukturen mit diversen operativen Lagezentren und dem „Sicherheitskabinett“ vermieden werden. Darüber hinaus würde sich die gelegentlich fragwürdige Qualität der politischen Entscheidungen einiger Regierungsverantwortlicher deutlich steigern lassen.

Wir brauchen ideologiefreie Realpolitik auf der Grundlage von Strategien, langfristiger Planung und fundierter Sachkenntnis, um die multiplen Krisen, mit denen wir derzeit und wohl auch in Zukunft konfrontiert sind, zeitgerecht und erfolgreich bewältigen zu können. Ein Nationaler Sicherheitsrat könnte die politischen Verantwortungsträger diesbezüglich zeitgerecht, umfassend und gut beraten!

(15.06.2023)

 

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https://www.hansheinrichdieter.de/html/natdtsicherheitsstrategie.html

 

 

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