Hans-Heinrich Dieter

Keine EU-Erweiterung!   (02.08.2021)

 

Die Europäische Union - und damit auch Europa - befindet sich derzeit in einem bedauernswerten, ja geradezu mitleiderregenden Zustand. Die Finanzkrise ist immer noch nicht vollständig überwunden, die Staatsverschuldung ist in den meisten Mitgliedstaaten nicht im Griff – und in der Coronakrise ausgeufert - die massiven Strukturprobleme der meisten EU-Staaten sind nicht oder nur unzureichend behoben und die Flüchtlingsproblematik spaltet Europa immer noch mehrfach und nachhaltig. In der Pandemie hat die EU erst sehr spät zu einigermaßen gemeinsamem Handeln gefunden. Mit ihrer Impf-Kampagne hat sich die EU lächerlich gemacht und wird mit Häme überzogen. Mit einem massiven Schuldenprogramm hat sich die EU von ihren eigenen Prinzipien verabschiedet und entwickelt sich nun zu einer Schulden-, Fiskal- und Transferunion. Bei der Krisenbewältigung in Syrien und in Libyen ist die EU nicht erfolgreich. Der Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Seegebiete im östlichen Mittelmeer ist noch nicht beigelegt und insgesamt findet die EU nicht zu einer politisch angemessenen und würdevollen Haltung gegenüber der Türkei – in Realität zeigt sich die EU immer wieder anfällig für die politischen Erpressungen Erdogans. Bei der Unterstützung der Opposition in Belarus war die Europäische Union sehr zögerlich und hat erst sehr spät einen Sanktionskompromiss gefunden. Die Europäische Union hat dadurch massiv an Ansehen verloren und wird als Partner in der Weltpolitik sehr wenig ernst genommen. Das muss sich dringend ändern, denn die EU wird in unserer „aus den Fugen geratenen Welt“ mehr denn je als Geopolitischer Akteur gebraucht! Aber das wird nur schwer zu realisieren sein, denn ohne militärische Macht und Gemeinsamkeit aber wird auch eine europäische Außenpolitik nicht wirksam werden können. Und an beidem fehlt es in starkem Maße.

Für eine „gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ und für eine „strategische Autonomie“ der EU sind allerdings Gemeinsamkeit und Solidarität der Mitgliedstaaten Grundvorrausetzungen. Die EU ist aber mehrfach gespalten in den wirtschaftsstärkeren Norden und den weniger leistungsstarken Süden mit gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit. Die EU hat eine Euro-Zone und eine Reihe Länder mit eigener Währung. Die Flüchtlings- und Migrations-Krise hat die Mitgliedsländer nachhaltig auseinanderdividiert und den Schengen-Raum brüchig werden lassen. Und die effektive Sicherung der EU-Außengrenzen ist längst nicht gewährleistet. Die EU ist insgesamt in einer desolaten Lage.

Dazu kommt, dass die EU sich in eine Schuldenunion und teilweise in Richtung einer Fiskal- und Transferunion entwickelt hat. Die enormen Schulden werden zurückzuzahlen sein und Deutschland wird zum Hauptschuldner werden, weil die südeuropäischen Staaten mit der enormen Schuldentilgung – darunter auch sehr große Altschuldenanteile – überfordert sein werden. Das wird mehr als eine zukünftige Generation belasten! Die EU hat also nichts zu verschenken. Die EU braucht alle Kraft und Mittel, um handlungsfähig zu werden!

Nun wurde der CSU-Bundestagsabgeordnete Christian Schmidt neuer Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien Herzegowina. Der Empfang für Schmidt ist alles andere als herzlich, denn das Massaker von Srebrenica 1995 belastet die politische Situation in dem Westbalkanland erheblich. Der Vorgänger von Schmidt, der Österreicher Valentin Inzko hat am Ende seiner Amtszeit das nationale Strafgesetzbuch geändert. Wer nun leugnet, dass das Massaker von Srebrenica Völkermord war, kann mit Haftstrafen belegt werden. Die Republika Srpska erkennt die Änderung auf ihrem Territorium nicht an. Schmidt sagte daraufhin der DPA ganz richtig: „Wer Teil der Europäischen Union werden will, muss sich an Europäische Richtlinien halten!“ Das ist ein aktuelles Beispiel unzureichender Beitrittseignung. Kroatien und Slowenien sind problematische EU-Mitglieder und nach meiner Erfahrung als erster deutscher Nationaler Befehlshaber im ehemaligen Jugoslawien 1995 während des Srebrenica-Massakers gibt es auf dem Westbalkan keine „Guten“, sondern ausschließlich egozentrische, nationalistische und deswegen verfeindete Staaten.

Darüber hinaus hat die EU bereits viele untaugliche Mitglieder. Polen und Ungarn haben Rechtsstaatlichkeitsprobleme und verhalten sich unsolidarisch. Bulgarien und Rumänien wurden als Mitglieder aufgenommen, obwohl sie die Voraussetzungen nicht erfüllten. Griechenland hat sich den Beitritt zum Euro erschwindelt etc. etc. Das alles hat zu einer überdehnten und mehrfach gespaltenen EU geführt, die strukturell nicht handlungsfähig ist!

In diesem Zustand und angesichts solcher politischer Rahmenbedingungen plant die EU, der Türkei sowie Albanien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina bis 2027 Finanzhilfen – als „Heranführungshilfen“ - in Höhe von knapp 14,2 Milliarden Euro zu zahlen. Das ist Verschwendung von EU-Geldern!

Denn wir brauchen keine erweiterte Europäische Union, sondern eine solidarische, überlebensfähige und handlungsstarke EU. Das erfordert aber weniger euphorische Reden zur Weiterentwicklung auf der Basis der derzeitigen Struktur, sondern echte Struktur-Reformen, um die EU wirklich handlungsfähig zu machen und deswegen wollen die Bürger überzeugt werden, dass die EU mittels der dringend notwendigen Reformen wirklich bereit und in der Lage ist, die Probleme anzupacken, nachhaltig zu lösen und das Leben der EU-Bürger zu verbessern.

Und in diesem Zusammenhang sollte die EU zu einer realitätsnahen, ehrlichen Erweiterungspolitik finden und angesichts der Entwicklung der Türkei hin zu einem autokratischen Präsidialsystem die Beitrittsverhandlungen mit dem Ziel einer Vollmitgliedschaft endlich beenden und die EU-Zahlungen an die Türkei für Beitrittshilfen und Strukturentwicklung sofort einstellen. An die Stelle des Beitrittsprozesses sollte die Erarbeitung eines Vertrages treten, der die zukünftige politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem für Europa durchaus wichtigen Pufferstaat zu Asien und der arabischen Welt grundlegend regelt.

Ein solches Verfahren muss auch bei anderen Beitrittskandidaten - wie den Westbalkan-Staaten - angewandt werden, die aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen absehbar keine realistische Chance haben, mittelfristig Vollmitglieder der EU zu werden. Ein solches Verfahren ist ehrlicher, erspart der jeweiligen Bevölkerung Enttäuschungen und ermöglicht sehr viel früher eine für beide Seiten fruchtbringende Zusammenarbeit.

Für eine solche Zusammenarbeit gibt es bereits einen institutionellen Rahmen, nämlich den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Er wurde 1994 ins Leben gerufen, seitdem bildet er mit der EU eine vertiefte Freihandelszone. Mitglieder sind bis jetzt Island, Liechtenstein und Norwegen. Und mit einem solchen Beitritt zum Binnenmarkt würden die sechs Westbalkanstaaten von den vier EU-Freiheiten profitieren, der Freizügigkeit von Gütern, Kapital, Dienstleistungen und Personen.

Ein international handlungsfähiger außen- und sicherheitspolitischer Akteur kann die EU nur werden mit einem Neuanfang werteorientierter und solidarischer Mitgliedstaaten, die bereit sind, auch nationale Kompetenzen an die EU zu übertragen. Wer da nicht mitziehen will, muss sich mit einer privilegierten Partnerschaft und deutlich weniger EU-Mitteln zufriedengeben! Denn wer die grundlegenden Werte der Europäischen Union, insbesondere in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit, nicht teilt, sollte das Recht auf Voll-Mitgliedschaft verlieren! Erst eine voll handlungsfähige „Kern-EU“ wird in der Lage sein, neue Staaten als „assoziierte EU-Mitglieder“ aufzunehmen, wenn sie den EU-Standards voll entsprechen.

(02.08.2021)

 

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http://www.hansheinrichdieter.de/html/erfolgloseeu.html

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