Hans-Heinrich Dieter

G 36-Affäre   (28.04.2015)

 

In den letzten Tagen ist im Rahmen der G36-Affäre wiederum viel Häme über die Bundeswehr ausgeschüttet worden, häufig von Schreiberlingen, die wenig Ahnung von der Sache haben. Sie brauchen auch nicht viel Ahnung von der Sache zu haben, denn viele Politiker haben auch keine genauen Vorstellungen und ihnen geht es ja auch nicht wirklich um die Sache, sondern ihnen geht es vorwiegend um politische Schwarze-Peter-Taktikspiele. Es geht darum, Politiker der gegnerischen Partei ausfindig zu machen, die vor Jahren schon etwas wussten und vermeintlich verantwortungslos nicht gehandelt haben und deswegen gefeuert werden müssen.

Es gibt noch keinen Abschlussbericht, sondern bisher nur widersprüchliche Berichte über die Treffsicherheit des G36, aber die Grünen sprechen schon von einem "Super-Gau für die Bundeswehr." Die EISENACHER PRESSE meint, "die Truppe kann einem wahrlich Leid tun. Jetzt soll auch noch das bei Soldaten an sich sehr beliebte, weil gut zu händelnde, G36 ein im wahrsten Sinne des Wortes Rohrkrepierer sein." Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN versteigen sich zu folgenden Einlassungen: das Problem G36 ist eine ernste Sache: Soldaten, die im Gefecht auf ein Sturmgewehr angewiesen sind, das sich von einer Deko-Waffe vor allem dadurch unterscheidet, dass es überhaupt schießt, sind schutz- und nutzlos. Am Ende bleiben Metallschrott,.." Und der Chefschreiberling vom TAGESSPIEGEL, Casdorff, spricht gar im Hinblick auf die politische Leitung des BMVg und auf die Militärführung von "organisierter Verantwortungslosigkeit". In einem Interview mit dem Deutschlandfunk lässt er zunächst einen Fachmann zu Wort kommen: "Dass Sturmgewehre was treffen, wäre eine Weltneuheit. Sowohl der Vorgänger, das G3, als auch das russische AK47 und AK74 und das amerikanische M16 sind in der Serienstreuung schon so heftig, dass man auf 200 Meter erst ein halbes Magazin verballern muss, damit man eine Ahnung davon bekommt, wie schief das Ding ballert. Sturmgewehre nimmt man, wenn man keine Ahnung davon hat, was auf einen zukommt." Wer dieser "Fachmann" ist, sagt Casdorff natürlich nicht, bei solch einem Schwachsinn liegt die Vermutung nahe, dass dieser "Fachmann" auf der Grundlage äußerst dürftiger Wehrdienstkenntnisse von Casdorff selbst erstunken und erlogen ist. Und dann hebt Casdorff, ganz der von Ethik durchdrungene Journalist, den moralischen Zeigefinger: "Die Soldaten müssen sich hier ganz unbedingt auf die Fürsorge ihres Ministers, ihrer Ministerin verlassen können. Und auf die ihrer hohen und höchsten Offiziere, des Generalinspekteurs und der Inspekteure der Teilstreitkräfte. Paragraph 12 Soldatengesetz, Pflicht zur Kameradschaft. Sich daran zu halten, gehört sich bis in die höchsten Ränge. Zum Handwerk gehört es sowieso." Da hat Casdorff recht, aber man glaubt ihm schon jetzt nicht mehr und die Glaubwürdigkeit nimmt weiter ab, wenn er sein eigenes Beispiel konstruiert: "Der Soldat muss sich hundertprozentig sicher verteidigen können. Man stelle sich vor: Angriff der Taliban, das Gewehr ist heiß geschossen, trifft nicht, trifft übrigens auch nicht mit den ersten Schüssen. Was tut der Soldat? Weglaufen? Ergeben warten? Aufs Gewehr pusten, damit das Rohr schneller kalt wird? Unsinn. Einzelne Schüsse reichen nicht, wo sich doch kein Hinterhalt an Regeln hält und keiner so lange dauert, wie es gerade passt." Und zum Schluss mutmaßt der zum Chefredakteur avancierte Schreiberling: "Die höchsten Militärs haben der politischen Spitze nicht gemeldet, was aus soldatischer Sicht überlebenswichtig ist. Und wenn diese Militärs, vom Generalinspekteur angefangen, also dem obersten Soldaten und Chefplaner, nichts gemeldet haben - dann wäre das auch unverantwortlich." Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der aufbauschenden und teilweise höchst unverantwortlichen Sensationsberichterstattung zum G 36, die leider die wenigen seriösen Darstellungen und sachkundigen Kommentare überlagern.

Das G 36 wurde 1996 in einer Größenordnung von 176.000 Handwaffen als Nachfolgemodell des bewährten G 3 in die Bundeswehr eingeführt. Seitdem ist es die Standardwaffe der Soldaten der Bundeswehr. Das G 36 wird außerdem derzeit im Irak durch die Peschmerga beim Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staates mit Erfolg genutzt und wurde auch in Staaten der wärmeren Regionen des Nahen und Mittleren Ostens gut verkauft. Die Peschmerga und die Golfstaaten haben keine Probleme mit dem G 36, im Gegenteil. Die Peschmerga sind offensichtlich mit dem G 36 zufriedener als mit der vorher genutzten, sehr robusten Kalaschnikow AK 47. Auch kampferprobte und gut ausgebildete Soldaten der Bundeswehr haben mit der Waffe keine Probleme. Die Fallschirmjäger, die zum Beispiel 2010 in den 10-stündigen Karfreitags-Gefechten nahe Kunduz standen, haben während der Kampfhandlungen 180 bis 300 Schuss abgegeben. Die Soldaten haben keine Probleme mit der Waffe gemeldet.

Beim Gebrauch des Sturmgewehrs G 36 wird auch kein Dauerfeuer geschossen. Das Ziel der Schießausbildung ist der zielgenaue Einzelschuss. Der gezielte Einzelschuss wird auch im Gefecht gegen Feind auf Entfernungen von 100 bis 300 Metern angewandt. Beim Sturmabwehrschießen gegen aus naher Entfernung angreifenden Feind werden schnelle kurze Feuerstöße abgegeben. Beim eigenen Sturm und Einbruch in feindliche Stellungen wird Sturmschießen genutzt, d.h. Abgabe eines Schusses aus dem Hüftanschlag bei jedem zweiten Schritt, um dann beim Einbruch in Stellungen Feind mit kurzen Feuerstößen auszuschalten. Zum Niederhalten des Feindes nutzen Infanterieteileinheiten die Maschinengewehre MG 3 und MG 4, aber auch mit diesen robuster ausgelegten Waffen wird kein Dauerfeuer geschossen, sondern je nach Bedarf kürzere oder längere Feuerstöße. Die derzeit zugrundegelegten Versuchsanordnungen im Labor mit Dauerfeuer von 40 Schuss und mehr entsprechen also nicht der Gefechtswirklichkeit. Und der arme Tropf der einem Journalisten erzählt hat: "Wir haben mitunter vier Magazine - (30 Schuss/Magazin) - in schneller Folge leergeschossen. Nach den Übungsschießen ließ sich das letzte Magazin teils nicht mehr aus den Sturmgewehren entfernen." war wohl vom Innendienst und hat einen seltenen Abenteuertrip auf einen Schießplatz in der Nähe von Mazar-e Sharif gemacht und dabei Munition vergeudet sowie Wehrmaterial zerstört. Der Vorgesetzte dieses Soldaten hätte einer disziplinaren Würdigung unterzogen werden müssen.

Außerdem gilt, dass es beim Gebrauch einer Standardwaffe mehr auf den Soldaten ankommt als auf die Waffe selbst. Wenn der Soldat in einem zehnstündigen Gefecht gegen Vorschrift, Sinn und Verstand häufig Dauerfeuer schießen wollte, dann hat er nicht nur mit einer heißgeschossenen Waffe schlechter getroffen, sondern er hat auch schnell verschossen, denn er trägt nur 240 Schuss in 8 Magazinen am Mann. Feuerdisziplin und Feuerzucht sind daher Standard bei gut ausgebildeten Truppen wie den Fallschirmjägern. Außerdem verfügen Teileinheiten über einen Waffenmix, der jegliche Anforderung erfüllt, auch in wärmeren Klimazonen.

Es steht natürlich außer Frage, dass eine Einsatzarmee, die vom deutschen Bundestag in Kriegseinsätze geschickt wird, bestmöglich ausgerüstet und bewaffnet sein muss. In diesem Zusammenhang sagte der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes: "Das G 36 ist unser geringstes Problem!" Da hat er sicher recht, denn das G 36 ist nicht schlechter als andere in befreundeten Armeen genutzte Standardwaffen.

Nach Vorlage des Abschlussberichts zum G 36 im April wird über weitere Konsequenzen beraten werden. Da man 107.000 Sturmgewehre nicht von heute auf morgen austauschen kann, werden die Spezialkräfte möglicherweise kurzfristig leistungsfähigere Sturmgewehre bekommen, ein Teil der G 36 wird nachgerüstet werden und mittel- bis langfristig wird man das Sturmgewehr der Zukunft beschaffen. Bis dahin können die Soldaten der Bundeswehr beruhigt mit dem G 36 in den Einsatz gehen, wenn sie von ihren Vorgesetzten richtig ausgebildet worden sind.

Die G 36-Affäre ist also weniger eine Affäre der Bundeswehr als eine Politik- und Medien-Affäre - und da wundern sich Politiker und Medien, dass sie einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr glaubwürdig erscheinen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Verteidigungsministerin dem Generalinspekteur den Auftrag erteilt hätte, sich mit ihr zusammen den Fragen der Bundespressekonferenz zu stellen, um durch sachliche Fachinformationen dem Wildwuchs der Sensationsberichterstattung entgegenzuwirken, Hüft- oder Schnellschüsse jeglicher Art zu vermeiden und das mediale Dauerfeuer zu beenden.

(28.04.2015)

 

 

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