Hans-Heinrich Dieter

Afghanistan - Fass ohne Boden   (07.03.2018)

 

Heute entscheidet das Bundeskabinett über die Verlängerung bzw. die Neugestaltung von sechs Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Dabei haben die Entscheidungen zu Afghanistan und zum Irak eine besondere Bedeutung.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich deutlich verschlechtert, die Taliban kontrollieren weite Teile des Landes, der IS fasst mehr und mehr Fuß, die Zahl der zivilen Getöteten ist erneut gestiegen, die Sicherheitskräfte - Militär und Polizei - sind unzureichend ausgebildet, sie sind überfordert sowie nur bedingt einsatzfähig und haben unverändert eine hohe Desertationsrate, Korruption bis in die Regierungsebene hinein, sowie Mohnanbau und Drogenproduktion haben zugenommen. Wohl auch deswegen spricht die Bundesregierung in ihrem Afghanistanbericht nicht von einem vorhersehbaren Ende des Bundeswehr-Einsatzes, sondern von einer „Generationenaufgabe“, die „strategische Geduld“ fordere, weil Afghanistan auf nicht „absehbare Zeit eine konsequente und adäquate Präsenz“ der NATO und der Bundeswehr brauche, um die Sicherheitskräfte zu stärken.

Die Bundeswehr beteiligt sich an dem Afghanistan-Einsatz seit Ende 2001. Nach dem Ende der von der NATO geführten ISAF-Kampfmission im Dezember 2014 ist die Truppenstärke erheblich reduziert und in die Ausbildungsmission „Resolute Support“ umgewandelt worden. Rund 900 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind derzeit am Hindukusch im Einsatz. Ihre zentrale Aufgabe ist, die afghanischen Sicherheitskräfte zu beraten und auszubilden. Aufgrund der häufigen Anschläge wird der Schutz der Ausbilder durch Force Protection-Einheiten für erforderlich gehalten und ein Aufwuchs der Bundeswehrkräfte auf bis zu 1300 Soldaten geplant. Der Aufwuchs dient also lediglich dem Eigenschutz und wird die Einsatzerfolge der militärischen Sicherheitskräfte nicht merklich verbessern können, denn eine wirklich erfolgversprechende und eigentlich erforderliche Begleitung von Einsätzen der Sicherheitskräfte gegen Taliban und IS durch deutsche Ausbilder/Berater ist nicht vorgesehen.

Die USA hingegen haben erkannt, dass ein Rückzug aus Afghanistan angesichts der seit Ende 2014 deutlich verschlechterten Sicherheitslage mit ebenso vorhersehbaren wie inakzeptablen Risiken verbunden sein würde.  Die radikal-islamischen Taliban würden das entstehende Machtvakuum mit hoher Wahrscheinlichkeit nutzen, um die Macht an sich zu reißen - mit schlimmen Folgen auch für die westliche Welt. US-Präsident Trump hat deswegen eine neue US-Strategie für Afghanistan verkündet.

Die neue US-Strategie sieht nun neben der Ausbildung der Sicherheitskräfte einen forcierten militärischen Einsatz von US-Kampftruppen und Spezialkräften in Afghanistan mit dem Ziel vor, die Terroristen unschädlich zu machen. Dazu soll das US-Truppenkontingent deutlich aufgestockt werden. Trump kündigte außerdem an, dass er an den bisherigen Bemühungen um Nation-Building, also um einen Aufbau der Zivilgesellschaft, nicht festhalten will, weil das bisher erfolglos war und dafür sinnlos viel Geld ausgegeben worden sei. Trumps wesentliches Ziel: Terroristen zu töten!

Die USA haben erkannt, dass Afghanistan ein Fass ohne Boden ist, wenn man sich weiterhin auf unzureichende Ausbildungsunterstützung und erkennbar erfolgloses Nation-Building beschränkt. Denn die Stabilisierung Afghanistans kann nur gelingen, wenn die Terroristen so weitgehend unschädlich gemacht werden, dass sie die Zivilbevölkerung auch in Teilbereichen nicht mehr beherrschen oder bedrohen können. Das ist nur durch massiven Militäreinsatz zu erreichen. Und die Stabilisierung Afghanistans ist nur zu gewährleisten, wenn der Nachbar und US-Verbündete Pakistan die aktive Destabilisierung des US-Verbündeten Afghanistan durch Beherbergung und aktive Unterstützung der Taliban beendet und den Kampf gegen die Terroristen mit Unterstützung der USA selbst aufnimmt.

Die USA sind dabei, nach professioneller Beurteilung der Lage Afghanistans professionelle Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg zu ergreifen, während die übrige westliche Welt offenbar mit möglichst geringem Aufwand ihre halbherzigen und erfolglosen Tätigkeiten fortsetzen und in ein Fass ohne Boden investieren will. Deswegen bleibt zu hoffen, dass der Bundestag die Entscheidung der Bundesregierung nicht – wie üblich – durchwinkt, sondern intensiv diskutiert und von den für vernetzte Sicherheitspolitik zuständigen Ressorts die Erarbeitung einer Ausstiegsstrategie fordert.

Wenn Afghanistan ein Fass ohne Boden ist, dann hat ein erweiterter Irak-Einsatz alle Kennzeichen eines langwierigen und risikoreichen Militäreinsatzes mit sehr geringen Erfolgsaussichten. Einem 15-seitigen Mandatstext entsprechend soll die Bundeswehr „die Durchführung von spezialisierten Ausbildungslehrgängen (im Schwerpunkt Ausbildung von Ausbildern) und Maßnahmen des Fähigkeitsaufbaus für die regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte mit Focus auf die zentralirakischen Streitkräfte“ gewährleisten und die irakischen Truppen bei der Kampfmittelräumung, beim Sanitätsdienst und in der Logistik unterstützen. Darüber hinaus sollen deutsche Soldaten die irakische Armee beim Kampf gegen den IS beraten und auch für eine Ausbildung der dortigen Einsatzkräfte sorgen. Das ist ein sehr umfassendes und auch anspruchsvolles Aufgabenpaket, das nur mit hohem Kraftaufwand zu stemmen ist – ein strategisches Konzept wurde bisher nicht bekannt!

Deswegen ist es wichtig, die Rahmenbedingungen eines solchen Einsatzes zu beleuchten. Der Irak hat eine sehr vielschichtige Bevölkerung. Die drei bestimmenden Bevölkerungsgruppen, Schiiten, Sunniten und Kurden, haben bisher keine gemeinsame nationale Identifikation zustande gebracht. Von einer nationalen irakischen Einheit kann keine Rede sein. Vor dem Sturz Saddams regierten die Sunniten. Politisch wird der Irak heute von einer schiitischen Minderheit dominiert, die einer sunnitischen Mehrheitsbevölkerung teilweise Rechte verweigert. Ethno-religiöse Auseinandersetzungen sind Teil der Tagesordnung und stellen akut eine Bedrohung für die irakische Einheit dar. Das führt immer wieder zu Terroranschlägen beider Seiten und man kann mit Fug und Recht sagen, dass ein muslimischer Religionskrieg schwelt. Im Nordwesten des Landes leben Kurden, assyrische Christen, sunnitische Araber und Jesiden. Der Krieg hat die Volksgruppen entfremdet. Im vergangenen Jahr führte die kurdische Regionalregierung ein erfolgreiches Referendum über die Unabhängigkeit durch. Daraufhin kam es zu umfangreichen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Truppen der irakischen Zentralregierung und den kurdischen Peschmerga. In einigen umkämpften Gebieten stehen sich die irakischen Streitkräfte und Peschmerga immer noch gegenüber. Und Beobachter befürchteten, dass der Konflikt jederzeit eskalieren könnte. Die Sicherheitslage des Landes ist also höchst instabil und erlaubt weder einen zügigen Zivilaufbau noch eine Stabilisierung der Strukturen von Militäreinheiten im laufenden Einsatz. Denn man kann Sicherheitskräfte mit Einsatzverpflichtungen nur schwer reorganisieren. Und die Aussöhnung der Iraker mit den Peschmerga kann nur durch die irakische Bevölkerung selbst geleistet werden. Die Bundeswehr kann da keine erfolgreiche Mediatoren-Rolle spielen.

Die gesellschaftliche Realität ist ebenfalls fragil. Von einer „Westminster-Demokratie“ ist der Irak weit entfernt und – wie auch im muslimischen Afghanistan – kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ein gesellschaftliches System westlicher Prägung auch überhaupt nicht will. Die Zentralregierung in Bagdad kontrolliert nur Teile des Landes, ist in sich zerstritten und hat Korruption zu bekämpfen. Gemäß Transparency International gehört der Irak zu den korruptesten Staaten der Welt. Das anlässlich von Protesten gegen Missstände und Korruption in mehreren irakischen Provinzen im August 2015 aktivierte Reformprogramm von Premierminister Al-Abadi ist bisher wenig erfolgreich. Von einer auf der Grundlage von Rechtssicherheit funktionierenden Verwaltung und von einer eigenständigen, leistungsfähigen Wirtschaft ist der Irak derzeit noch weit entfernt. Darüber hinaus muss es auch starke islamistische Tendenzen in der irakischen Bevölkerung geben, sonst hätte der IS nicht so lange und erfolgreich die ländlichen Gebiete dominieren können. Darüber hinaus hat der Irak eine durch den Krieg stark zerstörte Infrastruktur. Der Wiederaufbau sowie die Bewältigung der Flüchtlingssituation werden sehr langfristige Prozesse sein und damit sind die Rahmenbedingungen für eine militärische Stabilisierungsmission auch schlecht. Der Irak wird noch lange auf internationale Unterstützung angewiesen sein, muss aber den Aufbau der Zivilgesellschaft selbst leisten.

Auch die politischen Rahmenbedingungen im Nahen Osten sind für Erfolg und Misserfolg einer Stabilisierungsmission der Bundeswehr ausschlaggebend. Der derzeit schiitisch dominierte Irak ist mit dem schiitischen Iran eng verbunden. Iranische Milizen haben einen Großteil der militärischen Erfolge gegen den IS im Irak herbeigeführt. Schiiten und Sunniten führen im Nahen Osten Stellvertreterkriege gegeneinander, wie in Syrien und im Jemen. Israel ist mit dem schiitischen Iran verfeindet. Und die sunnitische Türkei verfolgt im Nahen Osten eigene Großmachtinteressen, die sich im Augenblick gegen kurdische Bevölkerungsteile in Syrien und im Irak sowie gegen die eigene kurdische Bevölkerung richten. Wenn Deutschland eine großangelegte militärische Stabilisierungsmission für den gesamten Irak übernimmt, dann laufen wir Gefahr, in unterschiedlicher Weise Partei zu werden, zum Beispiel gegen Interessen Israels oder des NATO-Partners Türkei. Das kann nicht in deutschem Interesse sein. Mit einer solchen langfristigen Stabilisierungsmission würde Deutschland sich außerdem überbeanspruchen, in einer Phase in der alle verfügbare Kraft in die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte im Namen der NATO-Verpflichtungen investiert werden sollte.

Eine deutsche Beratungsmission bei der Neuaufstellung der Streitkräfte im gesamten Irak sollte deswegen im Parlament intensiv diskutiert und erst dann entschieden werden, wenn ein plausibles strategisches Konzept vorliegt, das Ziele, Kosten, Personalaufwand, Erfolgsaussichten und den Zeitbedarf für einen erfolgreichen Einsatz definiert.

(07.03.2018)

 

 

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