Hans-Heinrich Dieter

Erdogan   (18.06.2013)

 

Wenn sich führende türkisch-chauvinistische Politiker wie Gewaltherrscher aufführen, dann muss das die westliche und europäische Welt stark interessieren. Denn die Türkei will Mitglied in der Europäischen Union werden. Da Erdogan aber sehr selbstbewusst, anmaßend und lautstark auftritt, sich natürlich die vorsichtige Kritik der Europäischen Union am brutalen Vorgehen der türkischen Polizei gegen Demonstranten am Taksim-Platz, im Gezi-Park und an vielen anderen Orten der Türkei sofort brüsk verbeten hat, halten sich die europäischen Staaten und maßgebliche Politiker ziemlich vornehm und ängstlich zurück.

Erdogan regiert die Türkei seit mehr als zehn Jahren durchaus erfolgreich. Erdogan hat aus der Türkei eine Art Wirtschaftswunderland gemacht. Während nebenan in allen südeuropäischen Ländern die Krise herrscht, boomt die Wirtschaft in der Türkei immer weiter. Im Zuge dieses Erfolges hat Erdogan immer mehr Macht auf seine Person konzentriert und das Maß für angemessenes politisches Verhalten in einer Demokratie verloren, sowie Verständnis für Menschenrechte, Minderheitsrechte, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit eingebüßt.

Wenn sich starkes Selbstvertrauen aufgrund wirtschaftlicher Erfolge mit ausgeprägtem türkischem Nationalbewusstsein paart, werden manche Vertreter der Türkei sehr schnell unangenehm und schwer erträglich. Ministerpräsident Erdogan ist ein Muster eines solchen Politikers. Erdogan ist aber nicht nur für europäische Politiker sehr unangenehm und schwer erträglich, sondern nun auch für große Teile des türkischen Volkes.

Erdogan will offensichtlich der türkischen Bevölkerung seinen eigenen islamisch-konservativen Lebensstil aufzwingen. Bei diesem Versuch geraten viele Journalisten und Oppositionelle unter fragwürdigen Anklagen in Haft und die Meinungsfreiheit wird beeinträchtigt. Erdogan ist offenbar schon so abgehoben, dass er Kritik an seiner Person quasi als Majestätsbeleidigung empfindet und sich entsprechend verhält. Deswegen reagiert er auf die Demonstrationen gegen seine Politik mit üblen Beschimpfungen der Demonstranten, mit Polarisierung, mit Aufwiegelung der Polizeikräfte und mit demagogischem Aufputschen der AKP-Anhänger. Die Folge war in den letzten Tagen ein höchst brutaler Polizeieinsatz mit Schlagstockeinsatz, Wasserwerfern und Tränengas ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder. Relativ genaue Vorstellungen von dem Ablauf solcher Einsätze entwickelt der Gewaltherrscher bei seinen vielen Ansprachen vor Anhängern. Beim Aufzählen der Befugnisse der Polizei soll er auch den Einsatz scharfer Munition genannt haben. Und inzwischen ist sogar schon vom Einsatz der Streitkräfte die Rede.

Das Verhalten des Gewaltherrschers Erdogan ist schlimm. Nahezu noch schlimmer ist, dass eine große Zahl, wenn nicht gar eine knappe Mehrheit der islamisch-konservativen und der wenig gebildeten Landbevölkerung in der Türkei, Erdogans Politik aufgrund seiner wirtschaftlichen Erfolge unterstützt und sogar sein brutales Vorgehen gegen andersdenkende Teile der türkischen Bevölkerung bejubelt. Und schlimm ist auch, dass offenbar nicht wenige türkische Migranten in Deutschland „ihren türkischen Ministerpräsidenten“ unterstützen und sein hartes Vorgehen gegen die für mehr Freiheit eintretenden türkischen Mitbürger gutheißen. Erdogan spaltet also die türkische Bevölkerung in der Türkei und die türkischstämmigen Mitbürger in Deutschland. Dieses Themas sollten sich die türkischen Gemeinden in Deutschland einmal objektiv annehmen und über eine solche vorurteilsfreie Diskussion vielleicht die Integration fördern.

Inzwischen sind die Proteste in der Türkei etwas abgeflaut. Das wertet ein Mensch wie Erdogan möglicherweise als Erfolg. Wahrscheinlich ist das aber nur ein Pyrrhus-Sieg. Große Teile der türkischen Bevölkerung werden sehr unzufrieden bleiben und das sicher auch in Zukunft zum Ausdruck bringen.

Illusionisten in Europa und der westlichen Welt, die immer wieder propagieren, dass die Beitrittsverhandlungen der EU für die geopolitisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich so wichtige Türkei beschleunigt werden sollen, sind hoffentlich aufgewacht und denken nun realistischer und skeptischer. Das heißt nicht, dass die Verhandlungen unterbrochen werden sollten. Das würde zu Trotzreaktionen führen und die Türkei, die ja längst zum Ausdruck bringt, dass sie auch ohne die EU groß und wichtig werden kann, möglicherweise in eine Selbstisolation bringen, die  Entwicklung hin zu einem islamisch-konservativen Staat begünstigen und die eher demokratisch gesinnte Opposition in eine noch schwierigere Lage versetzen.

Die EU-Beitrittsverhandlungen müssen weitergeführt werden, aber ohne Abstriche an den gesetzten Rahmenbedingungen und Standards unserer Wertegemeinschaft. Dadurch kann die Entwicklung der Türkei zu einem Rechtsstaat und zu einer rechtstaatlichen und die Menschenrechte achtenden Demokratie gefördert werden. Denn wir in Europa, die EU aber auch die NATO, brauchen die Türkei auch in Zukunft, allerdings nicht als vorwiegend muslimische Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten mit tendenziell nationalistischem Verhalten, sondern als den westlichen Werten aufgeschlossenes muslimisches Land, das sich als solidarischer Partner der Gemeinschaft versteht. Ob diese Verhandlungen zu einer EU-Mitgliedschaft oder zu einer privilegierten Partnerschaft führen, wird allein von der Erfüllung der vorgegebenen Kriterien durch die Türkei abhängen.

Wenn die Menschen in der Türkei wirklich in Freiheit und in einer Demokratie leben wollen, werden sie das auf Dauer auch – hoffentlich friedlich – erstreiten. Dann werden sie für uns sehr gute und wichtige Partner sein.

(18.06.2013)

 

 

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