Hans-Heinrich Dieter

Fragwürdige Qualität der Diskussion   (31.07.2016)

 

Nach dem Amoklauf in München durch einen Einzeltäter und der Versetzung einer Münchner Feldjägereinheit in Alarmbereitschaft durch das Verteidigungsministerium ist die Diskussion in der Öffentlichkeit über einen Bundeswehreinsatz im Inneren erneut entbrannt. Der Koalitionspartner SPD hält dafür eine Grundgesetzänderung für erforderlich, will sich daran aber nicht beteiligen, weil die Sozialdemokraten einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren über die Artikel 35 und 87a des Grundgesetzes grundsätzlich ablehnen. Deswegen wurde eine solche Grundgesetzänderung im neuen Weißbuch der Bundeswehr auch nicht weiter thematisiert und dort führt man nun als „Kompromiss“ das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. Juli 2012 an. Dort heißt es zur Zulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes im Inneren mit spezifisch militärischen Waffen:

„Außer zur Verteidigung dürfen nach Art. 87a Abs. 2 GG die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Die begrenzende Funktion dieser Regelung ist durch strikte Texttreue bei der Auslegung der grundgesetzlichen Bestimmungen über den Einsatz der Streitkräfte im Inneren zu wahren. Die Verfassung begrenzt einen Streitkräfteeinsatz im Inneren in bewusster Entscheidung auf äußerste Ausnahmefälle.“ …

„Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Insbesondere sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 87a Abs. 4 GG zu berücksichtigen, der vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen unterwirft. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder 3 GG erfolgt.“ …

„Enge Grenzen sind dem Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG durch das Tatbestandsmerkmal des besonders schweren Unglücksfalls gesetzt. Hiervon erfasst werden nur ungewöhnliche Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes. Insbesondere stellt nicht eine Gefahrensituation, die ein Land mittels seiner Polizei nicht zu beherrschen imstande ist, allein schon aus diesem Grund einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG dar.“ …

„So stellen namentlich Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 GG dar. Denn nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG dürfen selbst zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer Streitkräfte auch dann, wenn das betreffende Land zur Bekämpfung der Gefahr nicht bereit oder in der Lage ist, nur unter der Voraussetzung eingesetzt werden, dass Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes besteht. Schließlich muss der Unglücksfall bereits vorliegen. Dies setzt zwar nicht notwendigerweise einen bereits eingetretenen Schaden voraus. Der Unglücksverlauf muss aber bereits begonnen haben und der Eintritt eines katastrophalen Schadens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorstehen. Der Einsatz der Streitkräfte wie der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel ist zudem auch in einer solchen Gefahrenlage nur als ultima ratio zulässig.“

„Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ermächtigt allein die Bundesregierung als Kollegialorgan, im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes Einheiten der Streitkräfte einzusetzen. Danach besteht auch für Eilfälle weder eine Befugnis der Bundesregierung, die ihr zugewiesene Beschlusszuständigkeit auf ein einzelnes Mitglied zur delegieren, noch eine Befugnis des Gesetzgebers zu einer abweichenden Zuständigkeitsbestimmung.“

Dieser „Kompromiss“ legt die Artikel 35 und 87a des Grundgesetzes so erweiternd aus, dass „der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel“ im Inneren zwar möglich ist, allerdings „nur in ungewöhnlichen Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes.“

Mit diesem Beschluss von 2012 wird allerdings für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren mit Kriegswaffen zur Bekämpfung von Terroristen noch keine Rechtssicherheit geschaffen, weil nicht hinreichend konkret festgelegt ist, welche Waffen von Soldaten unter welchen Umständen, in welcher Verantwortung, mit welchem Ziel gegen Terroristen eingesetzt werden dürfen.

Zahlreiche CDU/CSU-Politiker befürworten einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, sind aber der Auffassung dass wegen dieser unzureichenden Rechtssicherheit eigentlich eine Grundgesetzänderung erforderlich ist.

Wenn die Politik unter Druck gerät und politische Versäumnisse sowie Fehlleistungen im Zusammenhang mit der Gefährdung der inneren Sicherheit, Kontrollverlust in Sicherheitsfragen und unzureichender Fähigkeit der verfügbaren Sicherheitskräfte von Bund und Ländern zum Schutz der Bevölkerung diskutiert werden, wird relativ hektisch nach Ersatzlösungen und Lückenfüllmöglichkeiten gesucht. Da fällt geradezu reflexartig die Bundeswehr ein. Im Reflex und in der Eile wird die Diskussion dann meist mit eingeschränkter Sachkenntnis und in fragwürdiger Qualität geführt.

Hierzu nur eines von zahlreichen Beispielen: In der letzten Woche wurde der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Caffier (CDU) im Deutschlandfunk zum Bundeswehreinsatz im Inneren interviewt:

„Kapern: Herr Caffier, ich will den Teufel ja nicht an die Wand malen, aber doch mal ein Gedankenspiel anstellen. Terroranschlag in Schwerin: Die Panik ist groß, das Ausmaß noch unübersichtlich, und dann ruft Sie die Verteidigungsministerin an, um Ihnen ein Bataillon Bundeswehrsoldaten anzubieten. Greifen Sie zu, nehmen Sie das Angebot an?

Caffier: Aber selbstverständlich! In der Situation wie in München, wo die Lage noch vollkommen unklar ist, war es auch vollkommen richtig, was die Verteidigungsministerin getan hat, was die Bereitschaft von Feldjägern beziehungsweise von Sanitätern betrifft. Denn Sie werden keinem Menschen in Deutschland erklären können, wieso wir in einer Notlage nicht in der Lage sind, auch Bundeswehr im Inneren zum Einsatz zu bringen, zur Unterstützung, zur Hilfeleistung. Das ist eine Selbstverständlichkeit für mich. Insofern bin ich über die Diskussion sehr erstaunt, zumal gerade erst im Weißbuch die SPD und die CDU sich vereinbart haben auf den Kompromiss, dass Bundeswehr bei größeren Anschlägen auch ohne Grundgesetzänderung im Inneren eingesetzt werden kann.

Kapern: Aber man könnte den Nichteinsatz der Bundeswehr den Menschen im Lande vielleicht erläutern anhand eines Blicks in das Grundgesetz, wo ja doch extrem enge Grenzen gezogen werden, auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und ob die in München erfüllt waren, oder in Schwerin erfüllt sein würden in unserem theoretischen Fall, ist ja zunächst einmal noch gar nicht absehbar.

Caffier: Das ist eine juristische Betrachtung. Ich kann Ihnen nur ganz deutlich sagen, dass wenn man in die Notlage kommt, von denen hoffentlich alle Länder verschont bleiben, dann wird man auch diese Möglichkeit nutzen. Denn es heißt ja auch, dass in bestimmten Situationen die Unterstützung angefordert werden kann. Und schauen Sie: Feldjäger zum Beispiel, die haben eine Grundlagenausbildung der Polizei. Die haben nur nicht die einzelnen SUGs der Länder als Ausbildungsinhalte, aber sie haben ganz viele Fähigkeiten und Fertigkeiten, die auch die Polizisten der Länder in ihrer Ausbildung haben. Wieso sollen wir so ein Personal nicht mit zur Unterstützung zum Einsatz bringen? Das werden Sie den Menschen nicht nahebringen können.

Kapern: Vielleicht, weil das Bundesverfassungsgericht 2012 entschieden hat, dass "eine ungewöhnliche Ausnahmesituation herrschen müsse katastrophischen Ausmaßes."“

...

„Caffier: Im Zweifelsfall müssen wir bei Großlagen - und das steht ja ganz klar auch in dem Grundgesetzurteil von 2012, dass es bei einer solchen Großlage auch die Möglichkeit der Unterstützungsleistung durch die Bundeswehr gibt beim Einsatz im Inneren.

Kapern: Aber was ist denn jetzt, noch mal nachgefragt, eine Großlage? Wie viele Tote, wie viele Attentäter muss es dafür geben, dass sozusagen Sie von einer Großlage sprechen und dann das Angebot eines Bundeswehreinsatzes annehmen würden?

Caffier: Wenn ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrachte am Wochenende in München, dann ist eine Großlage eingetreten, denn der hat ununterbrochen live die gesamte Situation berichtet, obwohl es gar keine Änderung der Situation gegeben hat. Dann wäre in dem Fall zum Beispiel eine Großlage eingetreten.

Kapern: Sie sagen, wenn viel im Fernsehen zu sehen ist, dann rufe ich die Bundeswehr?

Caffier: Nein, das sage ich natürlich nicht. Aber die Bewertung einer Großlage ist nicht nur abhängig von dem, wie viele Tote es bereits gibt, sondern von der Gesamtsituation. Deswegen glaube ich zum Beispiel, in München hätte, wenn es nicht die Aufklärung in der Form gegeben hätte, durchaus die Möglichkeit auch aufgrund der Unsicherheit bestanden, die Situation als Großlage zu betrachten.

Kapern: Aber, Herr Caffier, bitte sehen Sie es mir nach. Ich habe einfach noch nicht so recht verstanden, was genau eine Großlage ist. Vielleicht können wir das noch mal etwas genauer herausarbeiten.

Caffier: Eine Großlage ist ganz klar die Situation in München aus meiner Sicht, aus meiner Betrachtung nach derzeitigem Kenntnisstand - wir sind ja auch durchaus bei der Aufarbeitung der Gesamtsituation -, in München in dem Fall eingetreten. Sie ist aber grundsätzlich aufgeklärt worden dadurch, dass die Situation durch die Feststellung des Täters auch dementsprechend dann eingetreten ist.

Kapern: Die Großlage war ja nach meiner Erinnerung in München so, dass eigentlich viele, viele Stunden lang überhaupt niemand wusste, was wirklich los war. Das ist dann schon die Großlage, bei der die Bundeswehr dann im Inland losmarschieren soll?

Caffier: Es gab ja dementsprechend eine Situation, wo es eine riesige Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung gegeben hat, wo es auch einen riesigen Personaleinsatz von Polizei gegeben hat, und dementsprechend kann man hier durchaus von einer Großlage sprechen, ja.

Kapern: Aber der Bundesinnenminister hat ja nun sich massiv darüber beschwert, dass diese Unsicherheit, die Sie gerade angesprochen haben, vor allem befeuert war durch Gerüchte und Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken. So was würde dann ausreichen, um die Bundeswehr aktiv werden zu lassen?

Caffier: Nein, das reicht natürlich nicht aus. Wissen Sie, Sie arbeiten jetzt mit Unterstellungen. Sie müssen die Gesamtsituation betrachten und in der Gesamtsituation spielt natürlich auch gerade diese schreckliche Fehlinformation innerhalb des Netzes, dass es überhaupt Menschen gibt, die so was tun, auch eine Rolle und muss in Gesamtheit mit berücksichtigt werden.

Kapern: Aber gleichwohl bleibt ja festzuhalten, dass bei aller Unsicherheit, die aufgrund von Falschmeldungen zustande gekommen ist, es am Ende sich als Einzeltäter herausgestellt hat, der einen Amoklauf verübt hat. Was wäre denn gewesen, wenn dann die Bundeswehr schon zum Einsatz gekommen wäre?

Caffier: Gleichwohl bleibt auch, dass die Bundeswehr im Inneren nicht zum Einsatz gekommen ist. Unterm Strich halte ich, um die Situation, um die Diskussion, die wir führen, auch klarzustellen, eine Grundgesetzänderung für grundsätzlich die richtigste Situation. Aber da ist die Aussicht auf eine Mehrheit wohl nicht groß.

Kapern: Aber Sie haben doch eben gesagt, dass die Rechtsgrundlage schon ausreichen würde, um die Bundeswehr im Inneren einzusetzen.

Caffier: Ja, natürlich! Aber Sie führen ja gerade eine Diskussion darüber, wann wie wo was, und deswegen, um nicht in so einer Situation nachher nur aus der Rechtfertigung heraus zu stehen, glaube ich, ist es zum Schluss am günstigsten für alle Beteiligten, auch für die, die so eine Entscheidung treffen, dass eine Grundgesetzänderung stattfindet.

Kapern: Wie würde das dann eigentlich praktisch aussehen? Könnten dann ein Verteidigungsminister oder eine Verteidigungsministerin und ein Landesinnenminister den Einsatz der Bundeswehr so untereinander am Telefon abmachen?

Caffier: Solche Fragen, wissen Sie, das muss ich jetzt, glaube ich, nicht beantworten.

Kapern: Warum? Sie sind doch der Innenminister, der im Zweifelsfalle den Anruf annehmen würde.

Caffier: Sie tun die Unterstützungsleistung anfordern und dementsprechend wird der Einsatz in dem jeweiligen Land durch die entsprechenden Kräfte, durch die Polizeiführung geleitet. Es wird ja nicht durch den Minister oder nicht durch die Verteidigungsministerin geleitet.“

Hier werden Unsicherheit, Unwissen, Planlosigkeit und Hilflosigkeit exemplarisch deutlich. Als militärischer Vorgesetzter wollte ich meine Soldaten unter solchen „politischen“ Rahmenbedingungen nicht mit Kriegswaffen im Inneren zur Bekämpfung von Terroristen einsetzen.

Herr Caffier hat zwischendurch seine Unsicherheiten gespürt und deswegen immerhin die richtige und wichtige Forderung nach einer Grundgesetzänderung eingebracht, um Diskussionen über die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes von Soldaten im Inneren zu beenden und Rechtsicherheit zu schaffen.

Denn die Sicherheitslage hat sich allgemein verändert und die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen. Daher ist es natürlich richtig, eine intensive sicherheitspolitische Diskussion über mögliche Beiträge der Bundeswehr bei der Abwehr von Terrorgefahren zu führen und dafür gegebenenfalls die erforderlichen, konkreten gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei müssen allerdings folgende Fakten und Forderungen berücksichtigt werden:

1. Die über Jahre unterfinanzierte Bundeswehr ist augenblicklich und auf nicht absehbare Zeit in ihrer Einsatzfähigkeit eingeschränkt.

2. Die Bundeswehr ist nach der überhasteten Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht personell noch nicht wieder voll aufgestellt und trotzdem mit einer Vielzahl von Einsätzen stark belastet.

3. Die Bundeswehr ist für die Gewährleistung der äußeren Sicherheit militärisch ausgebildet und mit Kriegswaffen ausgerüstet. Für eigenverantwortliche Einsätze im Inneren fehlen gesetzliche Rahmenbedingungen, Ausbildung und Ausrüstung.

4. Die Soldaten der Bundeswehr dürfen nicht als „Hilfspolizisten“ missbraucht werden, um für die ebenfalls über Jahre unterfinanzierten Polizeikräfte Lücken zu füllen.

Und diejenigen, die glauben, die Bundeswehr nun auf der Grundlage des Urteils des BVG von 2012 im Inneren mit Kriegswaffen gegen Terroristen einsetzen zu können, lassen einfach außer Acht, dass zwischen einem polizeilichen Zugriff und einem militärischen Gefechtseinsatz große Unterschiede bestehen. Beim polizeilichen Zugriff ist der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Demnach dürfen nur die Mittel eingesetzt werden, die zur Erreichung des polizeilichen Zwecks, z.B. Festnahme eines Verdächtigen oder Beseitigung einer Gefahr unbedingt erforderlich sind. Im Gefecht hingegen ist das Ziel vom taktischen Auftrag bestimmt. Im Rahmen der militärischen Auftragserfüllung ist der Feind bestmöglich und schnellstmöglich zu zerschlagen, das heißt ohne Schonung an weiteren Kampfhandlungen zu hindern. Die Schonung der Umwelt spielt beim militärischen Kampfeinsatz im Gegensatz zum Polizeieinsatz (Vermeidung von Kollateralschäden) eine nachgeordnete Rolle. Diese grundlegenden Unterschiede machen das Erfordernis konkreter gesetzlicher Regelungen und den Ausbildungs- und Ausrüstungsbedarf für Einsätze der Bundeswehr im Inneren sehr deutlich.

Es wird derzeit im Rechtsstaat Deutschland leider sehr theoretisch, oberflächlich und abstrakt – manchmal auch absurd und wenig verantwortungsbewusst – über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren diskutiert.

(31.07.2016)

 

 

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