Hans-Heinrich Dieter

 

Dilemma der NATO 5   (23.08.2011)

 

Die NATO ist im libyschen Bürgerkrieg selbst zur Bürgerkriegspartei auf der Seite der Rebellen geworden. Die Rebellen, massiv unterstützt durch Luftangriffe des westlichen Militärbündnisses, scheinen kurz vor der Einnahme von Tripolis zu stehen. Gaddafis Möglichkeiten, die Macht in Libyen weiter auszuüben, scheinen sich zu erschöpfen. Die Rebellen sind mit der NATO als Luftwaffe und Artillerieersatz erfolgreicher als das noch vor drei Monaten zu erwarten war.

Sollte Tripolis eingenommen werden und Gaddafi Libyen verlassen oder gefangen genommen werden, dann wäre das zunächst ein militärischer Erfolg der Rebellen und der NATO. Generalsekretär Rasmussen hat allerdings bereits vor Monaten gesagt: "Die ehrliche Antwort lautet: Für diesen Konflikt gibt es keine militärische Lösung". Da hat er Recht. Die Einnahme von Tripolis und ein Sturz Gaddafis können daher nur Teilerfolge sein, mit dem die politischen Probleme erst so richtig anfangen, auch für die NATO als Bürgerkriegspartei.

Der unabhängig gewordene Wüstenstaat Libyen hatte zunächst eine Feudalherrschaft und dann 42 Jahre die Gewaltherrschaft Gaddafis. Libyen hat keine Zivilgesellschaft in unserem Sinne und keine Institutionen, die  teilweise oder im Ansatz als demokratisch eingestuft werden können. Die jeweilige Ausübung der staatlichen Gewalt erfolgte mit Duldung oder Unterstützung verschiedener, sehr einflussreicher Stämme. Ein Sturz Gaddafis konnte daher nicht durch friedliche Massenproteste erwirkt werden sondern nur mit Waffen. Deswegen hat sich ein Teil der Zivilbevölkerung bewaffnet, nach und nach organisiert und sechs Monate Bürgerkrieg geführt. Noch gibt es Gaddafi und funktionsfähige Teile seines Machtapparates und es gibt den Ãœbergangsrat. Es gibt nach wie vor viele Anhänger und es gibt viele Gegner des Regimes, aber es gibt auch die verschiedenen Stämme mit teilweise konträren Interessen. Der zusammengewürfelte Haufen der Rebellen aus unterschiedlichen ethnischen, politischen und religiösen Gruppen, eint fast ausschließlich der Kampf gegen Gaddafi und der Hass gegen seinen Machtapparat und die Anhänger des Regimes. Eine fundierte Freiheitsidee wurde nicht bekannt und ein revolutionäres Programm scheint es nicht zu geben. Libyen nach dem Sturz Gaddafis wird ein zerrissenes Land mit einem Machtvakuum sein, in dem die unterschiedlichsten Machtinteressen verfolgt werden. Da große Teile der Zivilbevölkerung inzwischen bewaffnet sind, ist durchaus zu erwarten, dass die Machtkämpfe auch bewaffnet ausgetragen werden. Es geht um Öl und viel Geld und da wird es den Rebellengruppen sowie den Stämmen schwer fallen, Partikular- und Individualinteressen zurückzustellen und gemeinsam einen funktionsfähigen Staat mit demokratischen Strukturen auf der Grundlage freier Wahlen aufzubauen. Die Lage ist sehr instabil.

Der UN-Auftrag der NATO heißt Durchsetzen eines Waffenembargos und Schutz der Zivilbevölkerung. Der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung ist mit einem Sturz Gaddafis nicht gewährleistet und das Mandat deswegen noch nicht obsolet. Die NATO wäre ggf. gezwungen, im postrevolutionären  Chaos die Teile der Zivilbevölkerung voreinander zu schützen und Menschenrechtsverletzungen auch der Sieger zu verhindern. Dazu ist die NATO aber nicht in der Lage. Das Dilemma der NATO ist es, dass sie sich als "Bürgerkriegspartei" über das eigentliche UN-Mandat hinaus engagiert  und dadurch eine instabile Lage mit herbeigeführt hat, für die sie nun Mitverantwortung trägt. Es gilt nun zu verhindern, dass das Land nicht in Anarchie und Chaos versinkt. Diese Mitverantwortung wird die NATO aber nicht tragen können.

Wenn Tripolis eingenommen ist, wird in Libyen kein Frieden herrschen. Frieden müssen die Bürgerkriegsparteien selbst  wollen und schaffen. Es gilt, Entwicklungen wie im IRAK nach Saddam Hussein zu verhindern. Die Weltgemeinschaft und die NATO haben keine Pläne über den Sturz Gaddafis hinaus, deswegen müssen die Rebellen zusammen mit den anderen Bevölkerungsteilen selbst "aufräumen", ggf. auch militärisch unterstützt durch die Arabische Liga und die Afrikanische Union. Der Ãœbergangsrat ist für die Koordination hoffentlich in den Augen der Bevölkerung ausreichend legitimiert und durchsetzungsfähig genug, dieser Koordinierungsaufgabe gerecht zu werden.

Da es keine militärische Lösung gibt, muss sich die NATO so schnell wie möglich vollständig aus diesem Bürgerkrieg lösen. Die arabische Welt und die libysche Bevölkerung werden ohnehin - wenn überhaupt - für den Einsatz der NATO nur sehr eingeschränkt dankbar sein. Der Jubel wird sich legen und der Ernüchterung weichen wie in Kairo und Tunis. Nach unvermeidlichen Enttäuschungen und Rückschlägen wird die libysche Bevölkerung hoffentlich freier und zunehmend demokratisch organisiert sein. Die Weltgemeinschaft - und auch Deutschland - muss dabei helfen, aber nicht mit Soldaten.

(23.08.2011)

 

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