Hans-Heinrich Dieter

 

Die Türkei in der NATO (26.04.2012)

 

Die Türkei, damals ein säkulares, westlich orientiertes muslimisches Land, ist seit Februar 1952 Mitglied der NATO und bringt nach den USA die zweitgrößte Anzahl an aktiven Soldaten in das Bündnis ein. Die türkischen Streitkräfte waren an fast allen Auslandseinsätzen der westlichen Welt beteiligt und sie sind heute noch z.B. bei KFOR und ISAF engagiert. Die Türkei ist wichtig für die NATO und war über die Jahre ein zuverlässiger Partner.

Die Besetzung Nordzyperns durch die türkischen Streitkräfte im Juli 1974 war allerdings auch Anlass für den Austritt Griechenlands aus der militärischen Integration der NATO. 2003 kam es zum Interessenkonflikt mit den USA, als die Türkei eine Kooperation im Krieg gegen Saddam Hussein und einen Einmarsch der US-Truppen über türkisches Territorium in den nördlichen Irak verweigerte. Nach der Zedern-Revolution im Libanon in 2005 stellte sich Premier Erdogan auf die Seite Syriens. Seit Erdogan an der Macht ist, ist eine starke Re-Islamisierung der Türkei zu beobachten. Die Türkei kooperiert mit dem Iran und unterstützt dessen Atomprogramm. Der türkische Nachbar hat Syrien noch als Freund und Partner gestützt, als schon lange offensichtlich war, dass Assad Truppen gegen die syrische Bevölkerung einsetzt. Bei einem kleinen Feuergefecht im Grenzgebiet zwischen flüchtigen Aufständischen und syrischen Regierungstruppen hat der türkische Premier Erdogan gegenüber Syrien unzulässig und innenpolitisch motiviert mit dem NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 gedroht. Und spätestens seit der israelischen GAZA-Blockade gebärdet sich die Türkei mit nahezu der Rhetorik totalitärer arabischer Staaten als erklärter Feind Israels.

Als Auswirkung dieser Politik legt die Türkei gegen die Teilnahme Israels am NATO-Gipfel im Mai in Chicago ihr Veto ein und begründet diese Aktion mit der noch ausstehenden Entschuldigung Israels für den Angriff auf den türkischen Gaza-Hilfskonvoi. Aus Protest gegen dieses türkische Verhalten wollen nun auch einige NATO-Mitglieder die Teilnahme von Ländern wie Ägypten, Mauretanien, Algerien und Marokko am Mediterranen-Dialog der NATO blockieren. Zum wiederholten Mal belastet die Türkei mit bilateralen Problemen das Bündnis.

Nicht nur gegenüber der NATO ist das türkische Verhalten fragwürdig. Wenn sich starkes Selbstvertrauen aufgrund wirtschaftlicher Erfolge mit ausgeprägtem türkischem Nationalbewusstsein paart, werden manche Vertreter der Türkei sehr schnell unangenehm und schwer erträglich. Ministerpräsident Erdogan ist ein Muster eines solchen Politikers. Der Chauvinist Erdogan macht aggressive Außenpolitik und verknüpft das mit Machtansprüchen wie "Unsere Interessen reichen vom Suezkanal bis zum Indischen Ozean." Erdogan stilisiert sich zur Symbolfigur eines muslimischen Frühlings. Gleichzeitig macht er Kanonenboot-Politik gegenüber Israel und kündigt an, die Beziehungen zur EU einzufrieren, wenn Zypern im kommenden Jahr turnusmäßig den EU-Vorsitz übernimmt. Diese Politik erzeugt nicht nur bei den unmittelbaren Nachbarn Unruhe und Besorgnis.

Da stellt sich die Frage, ob solches Verhaltensmuster der Türkei zur Wertegemeinschaft NATO passt. Das Sicherheitsbündnis NATO sollte vorwiegend national orientierte Politik von Mitgliedern, die für erhebliche Spannungen sorgen und Gemeinschaftsprojekte möglicherweise gefährden, nicht hinnehmen, sondern sich politisch damit auseinandersetzen. Die NATO braucht die Türkei auch in Zukunft, allerdings nicht als vorwiegend muslimische Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten, sondern als den westlichen Werten aufgeschlossenes muslimisches Land mit Einfluss in die Krisenregion.

 

(26.04.2012)

 

 

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