Hans-Heinrich Dieter

Die EU in 2017   (13.12.2016)

 

2012 wurde die EU für ihren Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das war im 55. Jahr ihres Bestehens und in dieser Zeit hat sich die EU tatsächlich um Frieden und Versöhnung verdient gemacht und den Preis verdient. Ob die EU in ihrer heutigen desolaten Verfassung und angesichts ihrer hilflosen Untätigkeit sowie erfolglosen Politik im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg noch für diesen Preis infrage käme, darf bezweifelt werden.

2017 feiert die EU 60. Geburtstag. Wenn das ein Freudenfest werden soll, dann muss die EU runderneuert und den inzwischen sehr stark veränderten politischen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Die EU hat als Solidar- und Wertegemeinschaft weniger Mitgliedstaaten Kerneuropas angefangen. Weil alle von der Bedeutung der EU für die Zukunft Europas überzeugt waren, alle solidarisch dachten und sich denselben Werten verbunden fühlten, war man auf der Grundlage des einstimmigen Konsensprinzips hinreichend entscheidungsfähig. Das hat sich mit der Erweiterung der EU - teilweise durch nicht beitrittsfähige Länder wie Griechenland, Rumänien und Bulgarien - sowie durch deutlich verstärkten Nationalismus mit einhergehenden ausgeprägten Egoismen - z.B. der Visegrad-Gruppe - grundlegend verändert. Zu einem Konsens ist die EU heute nur noch auf der Grundlage kleinster gemeinsamer Nenner fähig. Das hat die Entscheidungsfähigkeit, die Durchsetzungsfähigkeit und die Handlungsfähigkeit der EU bei konkreten Problemlösungen wie in der Flüchtlingskrise gegen Null reduziert. Es bleibt bei zahllosen politischen Sitzungen und Gipfeln, ergebnislosen Außenministertreffen mit viel inhaltslosem Diplomatensprech und bei unzähligen wirkungslosen Appellen. Dieser traurige Zustand stößt nicht nur „Abgehängte“ und „Looser“ ab, sondern lässt auch Politiker und Mitglieder der selbsternannten Eliten an der guten Zukunft der Europäischen Union zweifeln. Außerdem verlieren immer mehr Bürger das Vertrauen in die Fähigkeiten der EU die Grenzen Europas wirkungsvoll zu schützen. Wie soll man auch Vertrauen in eine Organisation haben, der es in vielen Jahren nicht gelungen ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu definieren? Die EU behilft sich mit Symbolpolitik, der Verbreitung von Illusionen und der Vorspiegelung von Fortschritten z.B. bei FRONTEX oder Europol.

Aber auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ziehen die Mitgliedstaaten nicht an einem Strang. Abkommen werden gebrochen, ohne dass Konsequenzen gezogen werden, Strukturreformen werden in wirtschaftsschwachen Mitgliedstaaten - wie Italien und Frankreich - nicht vorangetrieben und die Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen Mitgliedsländern bleibt bedrohlich hoch. Europa bricht inzwischen immer häufiger seine eigenen Regeln und macht immer noch zu hohe Schulden. Und der Chef der Europäischen Zentralbank, der offensichtlich hauptsächlich Italien verpflichtete Draghi, bereitet die nächste Finanzkrise durch seine schwindelerregenden Anleihekäufe vor und betrügt durch seine Niedrigzinspolitik die Bürger der EU-Mitgliedstaaten um ihre Alterssicherung. Draghi löst mit seiner Geldpolitik keine Probleme, er verschleiert sie - und keiner gebietet ihm Einhalt. Und Steuerbehörden in einigen Mitgliedstaaten, allen voran die Niederlande, Luxembourg und Irland, machen gemeinsame Sache mit Steuervermeidern und Steuerhinterziehern zu Lasten der Volkswirtschaften „ehrlicherer“ Mitglieder.

Die EU muss diesen desolaten Zustand überwinden, Unzufriedenheit von Politikern und Bürgern abbauen und Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie eine Zukunft haben will. Dazu muss die EU ihre Struktur ändern und qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zur Grundlage ihrer Handlungsfähigkeit machen. Die EU muss sich Ziele in den relevanten Politikfeldern setzen und die dafür erforderliche gemeinsame Politik definieren. Dort wo erforderlich, muss die EU zu einer tieferen Integration finden. Mitgliedstaaten, die das nicht wollen, sollte der EU-Austritt ermöglicht werden, an die Stelle der Mitgliedschaft kann dann eine privilegierte Partnerschaft treten. Die EU sollte zu einer realitätsnahen, ehrlichen Erweiterungspolitik finden und angesichts der Entwicklung der Türkei hin zu einem autokratischen Präsidialsystem die Beitrittsverhandlungen einfrieren und die EU-Zahlungen an die Türkei für Strukturentwicklung sofort einstellen. Das beschreibt allerdings nur einen Teil der EU-Baustelle.

Die EU ist für alle, die auch in Zukunft dieser Werte- und Solidargemeinschaft angehören wollen, zu wichtig, um sie durch Nationalismus und staatlichen Egoismus kaputtmachen zu lassen.

(13.12.2016)

 

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