Hans-Heinrich Dieter

Deutsche Spezialkräfte   (20.01.2013)

 

Verteidigungsminister de Maizière hat sich 2012 in mehreren Interviews dafür stark gemacht, dass Deutschland angesichts der sicherheitspolitischen Weltlage seine internationale Verantwortung als Führungsmacht in Europa weltweit wahrnimmt. Deutschland dürfe es an Solidarität bei Mandaten der UN im Rahmen der NATO nicht fehlen lassen und müsse die Bundeswehr entsprechend im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft einsetzen. Der Minister hält Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich überall für möglich und macht das von Entscheidungskriterien sowie Einzelfallentscheidungen abhängig. Bei Entscheidungen über Auslandseinsätze müsste auch die Frage beantwortet werden: "Richtet ein militärischer Einsatz mehr Schaden als Nutzen an?"

Wenn Deutschland seiner sicherheitspolitischen Verantwortung zukünftig gerecht werden will, dann müssen allerdings noch einige Voraussetzungen für die Wahrnehmung weltweiter militärischer Verantwortung geschaffen werden. Solange der Bundeswehr adäquat leistungsfähige Aufklärungs- und Führungsmittel, Rettungs- und Kampfhubschrauber, geschützte Fahrzeuge und Lufttransportkapazität für eigenverantwortliche Einsätze fehlen, muss das Ergebnis einer nüchternen Lagebeurteilung lauten: Der Bundeswehr fehlen derzeit noch wichtige Fähigkeiten zur Wahrnehmung der angestrebten weltweiten militärischen Verantwortung. Das gilt leider auch für eines der wichtigsten Mittel der weltweiten Wahrnehmung sicherheitspolitischer Verantwortung, die deutschen Spezialkräfte.

Die aktuelle Geiselnahme westlicher Ausländer und Algerier durch islamistische Terroristen im Osten Algeriens in Grenznähe zu Libyen ist ein gutes Beispiel für die akute und zunehmende Bedrohung - auch außerhalb Afghanistans – durch Islamisten und Al-Kaida  quer durch die Sahara- und Sahelregion von West- nach Ostafrika. Der Angriff der algerischen Streitkräfte auf Geiselnehmer und Geiseln mit Kampfhubschraubern ohne Rücksicht auf Verluste ist ein Beispiel dafür, dass ein militärischer Einsatz bei Wahl der falschen Kräfte und Mittel durchaus mehr Schaden als Nutzen anrichten kann. Offenbar waren geeignete und einsatzbereite algerische Spezialkräfte zunächst nicht verfügbar und Algerien hat es versäumt, Heimatländer von europäischen Geiseln zu konsultieren und um Unterstützung mit geeigneten Kräften zu bitten. Und wir werden weitere Entführungen und Geiselnahmen im Norden Afrikas erleben, denn Menschenhandel mit Geiseln ist einer der lukrativsten Wirtschaftszweige in dieser Region.

Die Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) sind im besten Sinne des Wortes Elite und für Geiselbefreiungen außerhalb Deutschlands ausgebildet und ausgerüstet. Diese besondere Truppe ist nicht nur ein strategisches Mittel in der Hand des Parlamentes sondern auch sicherheitspolitischer Ausdruck der Souveränität der wiedervereinigten europäischen Mittelmacht Deutschland mit stark gestiegener außenpolitischer Verantwortung. Viele Politiker haben das noch nicht richtig verstanden und auch einige wichtige Militärs wissen  dieses sicherheitspolitische Instrument offenbar noch nicht richtig einzuschätzen, sonst hätten sie die Entwicklung des KSK zu einem schlagfertigen militärischen Instrument stärker unterstützt. Unsere wichtigen Partner sind da weiter.

Entsprechend der gültigen NATO-Doktrin sind Spezialkräfte für militärische Operationen verfügbar zu halten, die wegen der Besonderheit und politischen Bedeutung des Auftrages, wegen der Besonderheiten der – ggf. auch verdeckten und mit hohem Risiko verbundenen – Aufgabenerfüllung sowie der Bedeutung der Ziele der Operationen nach anderen Grundsätzen und Verfahren durchgeführt werden müssen als Einsätze herkömmlicher Truppen. Und in diesem Zusammenhang hat Deutschland der NATO versichert, ab 2013 an internationalen Einsätzen von Spezialkräften teilzunehmen. Solche Einsätze im Spektrum vom Gewinnen spezifischer, zeitkritischer Informationen mit strategisch-operativer Bedeutung, über offensive Maßnahmen zur Abwehr terroristischer Bedrohung und Bekämpfung subversiver Kräfte, bis hin zur Befreiung von Personen aus Geiselhaft - unter Anwendung militärischer Gewalt - erfordern besondere Fähigkeiten. Man braucht besonders ausgesuchtes, körperlich besonders leistungsfähiges und psychisch besonders stabiles Personal mit einem Ausbildungs- und Einsatzbereitschaftsstand, der höchsten militärischen Ansprüchen genügt. Solche Einsätze erfordern wirkliche Profis. Und wirkliche Profis brauchen auch die entsprechende Bewaffnung und Ausrüstung, um im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich zu sein. Das Kommando Spezialkräfte hat diese wirklichen Profis, die ihre Leistungsfähigkeit über die letzten Jahre auf dem Balkan und in Afghanistan unter Beweis gestellt haben. Die deutschen Spezialkräfte haben aber Defizite, die dringend behoben werden müssen.

Um im Aufgabenspektrum außerhalb Deutschlands erfolgreich sein zu können, müssen Spezialkräfte auf strategischer, operativer und taktischer Ebene effizient geführt werden. Dazu brauchen Spezialkräfte leistungsfähige und mit den Hauptpartnern der NATO kompatible Führungsmittel und eine bundeswehrgemeinsame Führungsorganisation. Die im Zuge der Neuausrichtung veranlasste aber leider rückwärtsgewandte Auflösung des Kommandos zur Führung von Spezialkräfteoperationen (FOSK) ist sicher jetzt nicht   zurückzunehmen und man wird das beste daraus machen. Umso wichtiger ist es, dass das ins Auge gefasste  streitkräftegemeinsame taktische Führungskommando zügig realisiert wird. Die Führungskommandos auf allen Ebenen müssen personell und materiell den auch international  gültigen Anforderungen entsprechend ausgestattet sein.

Spezialkräfteeinsätze sind nur im Zusammenwirken mehrerer Einsatzkomponenten erfolgreich durchzuführen. Da Einsätze von Spezialkräften oft zeitkritisch sind, muss der verantwortliche Kommandeur ständig Zugriff zu diesen Einsatzkomponenten aus anderen Teilstreitkräften (TSK) und Organisationsbereichen (OrgBer) haben. Er darf nicht in die Rolle eines Bittstellers gedrängt sein. Da die TSK und OrgBer in starkem Maße ihre Partikularinteressen pflegen, muss ein „Einsatzverbund Spezialkräfte“ möglichst aufbauorganisatorisch geschaffen werden, um darauf bei Ausbildung, Ãœbung und Einsatz jederzeit zurückgreifen zu können. Das bezieht sich auch auf die Light Utility Helicopter (LUH) für Spezialkräfte, die nun endlich beschafft werden sollen. Und es bezieht sich auf die Kampfschwimmer, die als “konventionelles Seekriegsmittel“ bei der Marine weder in der Qualität von Spezialkräften ausgerüstet noch ausgebildet werden.

Ziel muss die Schaffung von Spezialkräften der Bundeswehr sein, die auch im Verbund mit Spezialkräften des Bundes eingesetzt werden können. Daher muss die teilstreitkraftgemeinsame Führungsorganisation auf militärstrategischer und operativer Ebene so ausgelegt werden, dass sie schnell zu einer Spezialkräfte-Führungsorganisation des Bundes erweitert werden oder auch zu einer solchen Organisation beitragen kann, um mit der GSG 9 und SEK der Länderpolizei  zusammen Terror-Lagen auch in Deutschland bewältigen zu können. Denn Ziel muss es längerfristig sein, dass deutsche Spezialkräfte im Sinne eines integrierten Sicherheitsverständnisses - unter Ãœberwindung der Zuständigkeiten für innere und äußere Sicherheit - als Spezialkräfte des Bundes eingesetzt werden können.

Dass die deutschen Spezialkräfte materiell zu einer weitgehend eigenständigen Einsatzdurchführung befähigt sein müssen, versteht sich von selbst, ist aber in der Realität durchaus keine Selbstverständlichkeit. Für die Weiterentwicklung und zukunftsorientierte verbesserte materielle Ausstattung der Spezialkräfte sollten baldmöglichst die konzeptionellen Grundlagen neu gefasst werden. Und entsprechend der NATO-Doktrin muss die Einsatzfähigkeit der deutschen Spezialkräfte im Rahmen von NATO-Operationen in 2013 gegeben sein. Da ist schnelles Handeln gefordert.

Ausschlaggebend für den Erfolg bei dieser unabdingbaren Weiterentwicklung sind der Deutsche Bundestag, die Leitung des Verteidigungsministeriums und der Generalinspekteur als Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Der Deutsche Bundestag muss es zu seinem Anliegen machen, die Staatsbürger in Uniform, die er  in kriegsähnliche Einsätze schickt, entsprechend organisieren, bewaffnen und ausrüsten zu lassen. Dazu müssen die Volksvertreter das Verteidigungsministerium nachhaltig in die Pflicht nehmen. Die politische Leitung muss der Weiterentwicklung des sicherheitspolitischen Instrumentes Spezialkräfte die Bedeutung und das Interesse zukommen lassen, die sie verdient. Und der Generalinspekteur muss seiner Rolle als Oberbefehlshaber der Streitkräfte dadurch gerecht werden, dass er Partikularinteressen, Abgrenzungsdenken und den erkennbar unzureichenden Willen der Teilstreitkräfte  zur Zusammenarbeit überwindet und den Einsatz von deutschen Spezialkräften zu einer teilstreitkräftegemeinsamen Sache macht. Er muss sich an die Spitze der dafür erforderlichen Weiterentwicklung stellen!

Verteidigungsminister de Maizière meint es ernst, wenn er fordert, dass Deutschland angesichts der sicherheitspolitischen Weltlage seine internationale Verantwortung als Führungsmacht in Europa zunehmend weltweit wahrnehmen muss. Die deutschen Spezialkräfte der Bundeswehr müssen weiterentwickelt werden, um dieser Verantwortung gerecht werden zu können. Und Spezialkräfte sind als Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zu wertvoll, um ihre Zukunft mit Kompromissen und halben Lösungen zu gestalten!

(20.01.2013)

 

 

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