Hans-Heinrich Dieter

Das Parlament und Corona   (28.04.2020)

 

Bundestagspräsident Schäuble sieht in der Corona-Krise eine Chance, Fehler zu korrigieren, die durch Globalisierung und die Marktwirtschaft entstanden seien. Dabei mahnte er im „Tagesspiegel“, aus der Pandemie Konsequenzen für wirtschafts- und sozialpolitische Veränderungen zu ziehen.

Schäuble forderte eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Man müsse das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft neu „justieren“. Außerdem warnte der Bundestagspräsident angesichts der Corona-Hilfspakete für die Wirtschaft vor einer Ãœberlastung der staatlichen Handlungsfähigkeit und einer zu hohen Neuverschuldung. Zudem äußerte sich Schäuble auch zu den starken Einschränkungen der Grundrechte durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und warnte davor, dem Schutz von Leben in der Krise alles unterzuordnen. In dem Zusammenhang wies er auf das Grundgesetz mit seinem wesentlichsten absoluten Wert hin: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Art 1 GG)

Das sind ganz wichtige und richtige Hinweise des Bundestagspräsidenten in einer Zeit, wo wir uns mehr und mehr vom bewährten Prinzip der sozialen Marktwirtschaft verabschieden und eine sozialistische Staatswirtschaft anzustreben scheinen und wo alle Lobbyisten gierig und lautstark nach staatlicher Unterstützung schreien – sei es berechtigt oder nicht. Als ehemaliger Finanzminister weiß Schäuble, dass man in einer solchen Situation die Staatskasse schließen muss, wenn man sich nicht schuldig machen und am Wohl der Bürger versündigen will!

Die Hinweise sind wichtig, allerdings hat der Bundestagspräsident nicht vor der eigenen Tür gekehrt, denn die aktuellen Grundrechtseinschränkungen sind ohne hinreichende Diskussion und Mitwirkung des Deutschen Bundestages als quasi „alternativlos“ von Merkel verordnet worden. In unserer parlamentarischen Demokratie hat das Parlament die Regierung im Auftrag des Volkes zu kontrollieren. Die Praxis unserer parlamentarischen und repräsentativen Demokratie hat sich aber leider vom Grundgesetz entfernt. Und wir haben uns daran gewöhnt, dass Kanzlerin Merkel „durchregiert“ – dabei allerdings meist ohne Plan und Konzept und ohne definiertes Ziel und ohne Kompass „auf Sicht fährt“. Dazu zwei Beispiele:

Bei der selbstherrlich von Merkel entschiedenen, volksverdummend mit Fukushima begründeten Energiewende ohne Konzept  und ohne Abstimmung mit der EU, hat das Parlament das Regierungshandeln nicht hinterfragt, sondern abgenickt - zum volkswirtschaftlichen Nachteil Deutschlands.

Im Herbst 2015 hat Merkel mit ihrer konzeptionslosen ”Willkommenskultur” Flüchtlinge aller Art geradezu angelockt und damit die Krise verstärkt – eine grandiose politische Fehlleistung. Als dann auch Frau Merkel allmählich – zwischen der Vielzahl von Selfies - aufgefallen ist, dass die menschenwürdige Behandlung und Versorgung sowie die Registrierung der schieren Zahl der ankommenden Flüchtlinge von den überforderten Behörden nicht zu bewältigen war, hat sie, ohne Rücksprache mit Österreich, die Grenze schließen lassen. Eine Absprache mit der Europäischen Kommission oder mit EU-Partnern fand bei dieser einseitigen Aussetzung des Schengen-Abkommens nicht statt. Die EU und unsere Partner waren mit Recht über diesen brutalen Richtungswechsel der deutschen Politik verwundert, enttäuscht und verärgert. Hier wurde das Handeln Merkels dann endlich zu einer „beispiellosen politischen Fehlleistung“! Das Parlament hat die Regierung Merkel weder kontrolliert noch korrigiert, sondern das selbstherrliche Handeln Merkels abgenickt und sich so im Hinblick auf den unverantwortlichen Kontrollverlust des Staates zum Schaden seiner Bürger mitschuldig gemacht.

Und in der Bewältigung der Corona-Krise war das vom Parlament unzureichend kontrollierte politische Verhalten der Kanzlerin ähnlich. Dabei ist es sicherlich zu früh, beurteilen zu wollen, ob die jeweiligen Maßnahmen richtig oder falsch waren oder ob dabei die erwartbaren katastrophalen Auswirkungen auf die Wirtschaft hinreichend berücksichtigt wurden. Tatsache ist aber auch, dass die Kanzlerin den kakophonischen Einschätzungen und Bewertungen der virologischen und epidemiologischen Experten offensichtlich relativ blind vertraut und es deswegen auch versäumt hat, ihre Maßnahmen der Bevölkerung zu erläutern sowie plausibel zu begründen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Einschätzung der Experten häufiger als unzutreffend herausgestellt haben oder von andersdenkenden Experten widerlegt wurden.

Und nun stellt sich heraus, dass unsere Wirtschaft schon jetzt massiv und teilweise irreparabel geschädigt ist und der angehäufte Schuldenberg unsere Enkel sehr stark belasten wird. Daran will natürlich kein Politiker schuld sein. Deswegen wollte Merkel auch lästige Diskussionen unterbinden – denn sie hat ja gelernt „die Partei hat immer recht“ – und ihre Gesinnung dadurch geoutet, dass sie dringend notwendige thematische Auseinandersetzungen tatsächlich als „Öffnungsdiskussionsorgien“ anmaßend verunglimpft hat! Das wird ihr hoffentlich heftig auf die Füße fallen und dringend notwendige parlamentarische Diskussion befeuern. Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“ sagt in dem Zusammenhang einige treffende, wenn auch leicht überpointierte Sätze: „Merkels Satz, sie verbiete sich Öffnungsdiskussionsorgien, ist kompletter Nonsens.“ – und - „Wenn es jetzt etwas braucht, dann sind es Diskussionsorgien. Wenn die Regierungen derartige Macht in ihren Händen versammeln, dann brauchen wir Diskussionen. Demokratie ist die institutionalisierte Diskussionsorgie.“ -und – „Die Demokratie wurde flächendeckend narkotisiert. Wo war da eigentlich der Aufschrei der Opposition?“

Nach Grundgesetz Art. 20 geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. In unserer parlamentarischen Demokratie hat das Parlament die Regierung im Auftrag des Volkes zu kontrollieren. Es wäre gut, wenn die deutschen Parlamentarier diesen Auftrag wieder vollinhaltlich erfüllen und die Degradierung unserer parlamentarischen Demokratie zu einer Parteiendemokratie, in der die Parteien den politischen Prozess weitgehend beherrschen und nicht das Parlament, sofort stoppen. Parlamentarische Demokratie darf keine „Denkverbote“, „Totschlagargumente“ und auch keine angebliche „Alternativlosigkeit“ hinnehmen. In einem verantwortungsvoll entwickelten Konzept wird immer auch in Alternativen gedacht und zumindest ein aussichtsreicher Plan B erarbeitet. Verantwortungsvolle Politik setzt intensive Sachdiskussion voraus und ist den Bürgern erklärungspflichtig!

(28.04.2020)

 

 

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