Hans-Heinrich Dieter

Bundeswehr in der Pflicht   (02.01.2019)

 

Im Jahr 2019 führt die Bundeswehr die „Very High Readiness Joint Task Force” (VJTF), also die schnelle Eingreif-Brigade der NATO. Dass sie das gut können, haben die deutschen Streitkräfte bei der NATO-Großübung Trident Juncture im Oktober 2018 in Norwegen unter Beweis gestellt.

Die NATO hat bei ihrem Gipfeltreffen in Wales 2014 die Aufstellung dieser schnell einsetzbaren „Speerspitze“ als Reaktion auf die Annexion der Krim durch Russland und aufgrund der wachsenden Sorge der nordosteuropäischen Staaten vor dem aggressiven Nachbarn beschlossen. Und wenn diese militärische Abschreckung glaubhaft sein soll, dann muss die volle Einsatzbereitschaft nachgewiesen sein. Das ist der Bundeswehr erfreulich gut gelungen!

Aber solche Aufgaben stellen natürlich sehr hohe Anforderungen im Hinblick auf den Ausbildungsstand der zu 100 Prozent einsatzfähigen Truppe - 8.000 Soldaten aus neun Nationen kommen, davon 5.000 Soldaten aus Deutschland - für Einsätze im Rahmen der Bündnisverteidigung, auf die vollständige Verfügbarkeit des erforderlichen Materials für das Gefecht verbundener Waffen und auch im Hinblick auf die Verlegefähigkeit über große Entfernungen sowie die logistische Unterstützung dieser ansehnlichen Streitmacht.

Verlegung, Führung und Einsatz dieser NATO-Speerspitze ist – nicht nur für die Bundeswehr – eine große Herausforderung, weil die Streitkräfte vieler NATO-Nationen sich in den vergangenen Jahren in jeder Hinsicht auf Auslands-Einsätze zur Krisenbewältigung konzentriert, und Vorbereitungen auf Landes- und Bündnisverteidigung vernachlässigt haben. Dazu kommt, dass die deutsche Politik und die deutschen Volksvertreter die Bundeswehr zum „Sanierungsfall“ heruntergespart haben und eine solche Heeresbrigade derzeit nicht aus sich heraus materiell einsatzbereit ist. Kriegsgerät und Ausrüstung müssen zu über 50 Prozent aus anderen Truppenteilen bereitgestellt werden und diese militärische Ausrüstung fehlt den abgebenden Truppenteilen für Ausbildung und Ãœbungen zur Herstellung der jeweiligen Einsatzfähigkeit.

Darüber hinaus ist die deutsche NATO-Speerspitze über drei Jahre gebunden, 2018 Stand-Up-Phase mit der Volltruppen-Ãœbung in Norwegen, 2019 Stand-By-Phase mit Führungsverantwortung und hohen Bereitschaftsforderungen der zu 100 Prozent einsatzfähigen Truppe und 2020 Stand-Down-Phase mit Nachbereitungen und Wartung, Instandsetzung und Rückführung des geliehenen Gerätes an die Eigentümer. Das bedeutet, dass die das Gerät bereitstellenden Truppenteile über etwa drei Jahre nicht über wichtige Teile ihrer Ausrüstung für Ausbildung und Ãœbungen verfügen – und das bei gleichzeitiger Belastung der Truppenteile durch Auslandseinsätze und bei gleichzeitig stark eingeschränkter Verfügbarkeit von Waffen und Gerät durch teilweise industrieabhängige Wartung und Instandsetzung. Dieser Zustand lässt die Bundeswehr nicht als den „attraktiven Arbeitgeber“ erscheinen, der gute Chancen im Wettbewerb um den dringend benötigten Nachwuchs an qualifiziertem Fachpersonal hat.

Das macht deutlich, in welchem Umfang und wie wenig verantwortungsbewusst die deutsche Politik die Parlamentsarmee Bundeswehr vernachlässigt hat. Und diese aktuelle zusätzliche Herausforderung macht auch sehr deutlich, wie hoch der finanzielle Investitionsbedarf über die nächsten Jahre ist, um die Streitkräfte den deutschen Bündnisverpflichtungen entsprechend in den nächsten 15 Jahren wieder voll einsatzfähig bereitstellen zu können.

Für das Jahr 2019 wird der Verteidigungshaushalt mit 43,2 Milliarden Euro (errechneter Finanzbedarf des BMVg 43,7) ausgestattet sein. Das ist ein erster positiver Schritt. Um unseren Bündnisverpflichtungen entsprechen zu können, hat das BMVg die erforderliche Steigerung der Investitionen um jährlich etwa 3 Milliarden Euro errechnet. Die derzeitige Eckwerteplanung der Bundesregierung deckt diesen stetig steigenden und zuverlässig einzuplanenden Bedarf nicht ab. Das muss sich ändern, wenn Deutschland seine sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei beenden will.

Im Jahr 2023 wird Deutschland erneut Führungsverantwortung für die NATO-Speerspitze haben. Die dabei einzusetzende Brigade soll aus sich selbst heraus personell und materiell einsatzfähig sein. Die Truppe ist dann sicher motiviert, sehr gut ausgebildet und in der Lage, ihren Auftrag professionell auszuführen. Ob sie tatsächlich materiell aus sich heraus einsatzfähig sein wird, hängt von den Haushaltsentscheidungen der Parlamentarier ab. Und da ist ein gutes Stück Skepsis erfahrungsgemäß berechtigt!

(02.01.2019)

 

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