Hans-Heinrich Dieter

Besondere Kirchenrechte?   (21.02.2015)

 

Als Innenminister de Maizière kürzlich "prinzipiell und fundamental" das Kirchenasyl ablehnte, weil die Kirchen sich damit über den Staat, Recht und Gesetz stellen, kam es zu heftigen Protesten. Der Protest fiel umso heftiger aus, weil de Maizière die derzeitige Praxis des Kirchenasyls - sehr unglücklich - mit der Anwendung der Scharia verglichen hat.

Von den etwa 200.000 Flüchtlingen in Deutschland finden derzeit etwa 350 Menschen in deutschen Kirchen Asyl und damit Schutz vor Abschiebung. Das heißt, der Asylantrag dieser Menschen ist geprüft und es wurde entschieden, dass für sie Asyl in Deutschland nicht gerechtfertigt ist. Die Kirchen setzen sich also tatsächlich über staatliche Entscheidungen hinweg, die nach reiflicher Prüfung und nach bestem Wissen und Gewissen getroffen wurden. In Deutschland gilt nach Art 3 GG gleiches Recht für alle.

Wenn bei 200.000 Flüchtlingen mehrere Hundert Kirchenasyl genießen, dann fragt man sich, auf welcher sachlichen Grundlage die Kirchengemeinden diese Menschen ausgesucht haben. Was sind die Entscheidungskriterien, die dazu führen, objektive staatliche Entscheidungen für falsch zu erklären? Gemeindemitglieder erfahren wohl irgendwie von Einzelschicksalen, halten sie subjektiv für glaubwürdig und die Not für groß. Subjektive Gefühle dürfen aber keine Grundlage für Kirchengemeinden sein, auf der ein Recht zum Widerstand gegen den Staat abgeleitet wird. Und wie rechtfertigen die Kirchen zwangsläufige Ungleichbehandlungen von Hilfesuchenden, wenn sie wenigen ein Recht zubilligen, das ihnen – genauso wie den vielen – nicht zusteht? Die Kirchen verweisen auf vermeintliches „Kirchenasyl“ im Grundgesetz, berufen sich unzureichend und unzutreffend auf Art 4 und 16a GG und begründen ihren „Widerstand“ und Rechtsbruch mit der schlichten Behauptung, das Recht auf Schutz werde im Gesetzesvollzug missachtet. Jede Behörde muss sich von den Kirchen verunglimpft oder gar verleumdet fühlen. Innenminister de Maizière hat deswegen Recht, wenn er die Kirchen rügt und dafür kritisierte, dass sie sich eigenmächtig über bestehende Gesetze hinwegsetzen, und den Kirchenasylanten den Status von „Untergetauchten“ zuordnet.

Kirchenvertreter empören sich natürlich. Der Kölner Weihbischof Ansgar Puff sagt, wenn Christen nach Möglichkeiten, als "letzte Maßnahme Gefahren für das Leben abzuwenden", suchten, beriefen sie sich nicht auf ein eigenes – gar göttliches – Recht, sondern auf ihr Gewissen. Die Gewissensfreiheit rechtfertigt allerdings nicht den Rechtsbruch sondern höchstens dessen Verhinderung. Der Ehrenvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG), Wolf-Dieter Just, übertrifft solche kirchlichen Anmaßungen, wenn er behauptet, Kirchenasyl konkurriere nicht mit weltlichem Recht, sondern verschaffe ihm Geltung. "Wo der staatliche Schutz der Menschenrechte versagt, müssen einzelne Bürger eintreten". Hinter dieser Anmaßung steckt eine schlimme allgemeine Verunglimpfung von staatlichem Handeln nach Art 16 GG. Wenn diese kirchlichen Vertreter meinen, Widerstand gegen geltendes Recht leisten zu müssen, und deshalb Kirchenasyl gewähren, dann sind sie schlicht im Unrecht.

Wie kommt es zu solchen kirchlichen Anmaßungen? Die Kirchen in Deutschland halten sich für moralische Instanzen. Für sie gelten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Grundgesetz und das Kirchenrecht. Sie genießen Sonderrechte und sind der normalen Strafgerichtsbarkeit nicht unterworfen. Mit ihrer teilweisen Verstrickung in den Nationalsozialismus haben die deutschen Kirchen aber einen Teil ihres moralischen Anspruchs verloren. Im Zusammenhang mit Missbrauchsskandalen haben deutsche Kirchen ihre Stellung als moralische Instanzen weitgehend eingebüßt. Wer, wie Verantwortliche in der katholischen Kirche, in unvorstellbarem Ausmaß Kinder über Jahre sexuell missbraucht, hat das Recht auf eine Sonderstellung in allgemeinrechtlichen Fragen verwirkt, insbesondere wenn die Unfähigkeit zur Selbstaufklärung offenkundig ist. Deswegen sollte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Grundgesetz angepasst und das Kirchenrecht teilweise geändert werden. Und wenn man schon weitreichende aber erforderliche Schritte geht, dann sollte man auch gleich das Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Kirchen nach Art 140 GG, das z.B. auch die ungleichen und teilweise ungerechten arbeitsrechtlichen Regelungen für Mitarbeiter der Kirchen festlegt, auf den Prüfstand stellen.

Die Stellung und die Bedeutung der Kirchen als „moralische Instanz“ unserer Gesellschaft haben sich gravierend verändert. Deswegen ist es hohe Zeit, dass die gesetzlichen Regelungen, die teilweise der Weimarer Reichsverfassung entnommen sind, angepasst werden. Wenn die derzeitige Diskussion um das Kirchenasyl gleichzeitig auch die Bemühungen um eine gerechte und gemeinsame Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union beflügeln würde, wäre allen leidtragenden Flüchtlingen gleichermaßen geholfen und nicht nur wenigen „kirchlich Auserwählten“.

(21.02.2015)

 

 

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