Hans-Heinrich Dieter

Anspruch und Realität   (24.09.2014)

 

Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) ist auf dem Vormarsch in Nordsyrien und im Irak. Die Mörderbanden stehen kurz vor der syrisch-türkischen Grenze und im Norden Bagdads, setzen sich in Städten sowie Dörfern fest, nehmen dort die Bevölkerung in Geiselhaft und schüchtern sie durch ein breites Spektrum von terroristischen und islamistischen Verbrechen ein oder treiben sie massenhaft in die Flucht. Der Vormarsch der islamistischen Barbaren muss so schnell wie möglich gestoppt werden, die internationale Staatengemeinschaft muss Zeit gewinnen, um sich für wirksame und nachhaltige Gegenmaßnahmen zu organisieren.

Luftoperationen gegen die von den Mörderbanden für Führung und Logistik genutzte Infrastruktur sowie gegen Militär- und Ausbildungslager und Hauptwaffensysteme sind das Mittel der Stunde. Die USA erweisen sich als handlungsfähige Führungsmacht und führen Luftschläge im Irak und jetzt auch in Syrien durch. Frankreich unterstützt die USA dabei im Irak. Fünf arabische Staaten unterstützen die USA bei Luftschlägen in Syrien. Selbst Assad scheint offenbar die Luftschläge gegen IS in Syrien nicht mehr unbedingt als Verletzung der Souveränität Syriens anzusehen. Großbritannien bereitet sich auf Luftschläge vor und braucht dazu noch die Zustimmung des Unterhauses. Da bildet sich eine Kernallianz innerhalb der internationalen Koalition gegen IS, die bereit ist, unter Inkaufnahme von Risiken zu handeln, um den Vormarsch der IS zu stoppen oder zu verlangsamen.

Deutschland hingegen spricht davon, „ein großes Maß an Verantwortung im Nordirak“ übernommen zu haben und betont, die Bundesregierung erhalte großen Respekt für die Entscheidung, die kurdischen Sicherheitskräfte mit Waffen auszurüsten. Dies sei eine verantwortungsvolle und richtige Entscheidung gewesen. Eine Beteiligung an der Luftunterstützung allerdings oder gar ein Einsatz von Soldaten im Irak „kommt für uns nicht in Frage", so der vielredende Steinmeier.

Wie wird denn nun dieses vermeintlich große „Maß an Verantwortung im Nordirak“ durch Deutschland wahrgenommen? Die mit insgesamt rund 30 Tonnen Lebensmitteln und sechs Tonnen medizinischem Material beladenen ersten Transall der Bundeswehr waren am 16.08.2014 vom schleswig-holsteinischen Hohn aus gestartet. Bei einem planmäßigen Zwischenstopp im türkischen Incirlik verzögerte sich ihr Weiterflug nach Erbil. Gründe waren nach Angaben der Bundeswehr zunächst eine fehlende Genehmigung und anschließende Probleme mit dem Flugplan. Offenbar war Deutschland nicht in der Lage, entsprechende Absprachen zeit- und formgerecht mit der Zentralregierung in Bagdad zu treffen.

Jetzt sitzen die ersten sieben Militärausbilder der Bundeswehr für die Kurden im Nord-Irak in Bulgarien fest, weil sie bisher keine Einreisegenehmigung für den Irak erhalten haben. Ende letzter Woche konnten die Fallschirmjäger schon nicht planmäßig abfliegen, weil die dafür vorgesehene Transall-Transportmaschine defekt war. Die Ausbilder werden wohl nach der ersten Waffenlieferung im Nordirak eintreffen, denn die ist für heute mittels einer niederländischen Transportmaschine vorgesehen. Der Teufel steckt häufig im Detail aber von verantwortungsbewusster und professioneller Planung und Organisation kann da nicht wirklich die Rede sein. Die internationale Gemeinschaft wird – sicher teilweise atem- und wortlos – aufmerksam beobachten, mit wie vielen Pannen die mehr als 600 Tonnen militärische Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr in den Nordirak gebracht werden und mit welchen deutschen Tücken und Zeitverzögerungen das brave Kontingent von insgesamt 40 Fallschirmjägerausbildern und Sanitätern zu kämpfen haben wird, um seinen Auftrag im Rahmen des zeitkritischen Kampfes gegen den IS gut auszuführen. Bisher hat Deutschland mehr geredet als erfolgreich gehandelt! Gesteigerte internationale Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik muss aber in verantwortungsbewusstes erfolgreiches Handeln umgesetzt werden können. Da ist im Hinblick auf Deutschland derzeit Skepsis angebracht.

Zwischen Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz und realer Politik in Berlin gibt es naturgemäß Unterschiede. Aber der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin haben Erwartungen geweckt und werden von den europäischen und internationalen Partnern an ihren Worten gemessen und Deutschland im Hinblick auf die geweckten Erwartungen nun möglicherweise als zu leicht befunden werden, weil die politischen Voraussetzungen und die militärischen Fähigkeiten für ein stärkeres internationales Engagement noch nicht hinreichend geschaffen sind.

Am Beispiel der deutschen Marine werden unsere Defizite derzeit besonders deutlich. Die Marine hat ein schwerwiegendes Personalproblem und kann deswegen einige Schiffe nicht einsetzen. Alle 22 Sea Lynx-Hubschrauber sind derzeit nicht einsatzfähig. Ein Teil dieser Helikopter für Luftraumüberwachung und U-Jagd sind eventuell 2015 wieder einsatzbereit. Von den noch älteren 21 Sea King-Hubschraubern sind derzeit nur drei einsatzklar. Davon sind zwei noch einige Wochen mit dem Einsatzgruppenversorger "Berlin" unterwegs, ein Hubschrauber steht für Rettungseinsätze zur Verfügung. Die Fregatte „Lübeck“ ist Anfang der Woche zu einem Atalanta-Einsatz gegen Piraten im Golf von Aden ausgelaufen, ohne die zwei Sea Lynx, die unverzichtbarer Teil voller Gefechtstauglichkeit sind. Für den Atalanta-Einsatz will sich die Marine zunächst mit dem Seeaufklärer "P-3C Orion" behelfen. Und neue Helikopter vom Typ MH90 sind frühestens 2018 zu erwarten. Diese Lage der Marine kann man zumindest problematisch nennen.

Die Lage bei der deutschen Luftwaffe sieht nicht viel rosiger aus. Die Transportflieger-Flotte ist stark veraltet und wird trotzdem von Deutschland immer wieder gerne als Beitrag für internationale Einsätze angeboten. Für solche Aufgaben hat die Bundeswehr insgesamt 57 - allerdings über 50 Jahre alte - Transall-C-160-Maschinen. Nach einem Bericht zur Materiallage vom August sind davon 35 nicht oder nur bedingt einsatzfähig. Eine deutliche Besserung der Lage ist nicht zu erwarten, denn aufgrund der langen Betriebslaufzeiten der Transalls sind viele Ersatzteile nicht mehr verfügbar. Deswegen ist es der Luftwaffe sicher sehr peinlich, dass die UN bei der MALI-Mission MINUSMA wegen unzureichender Einsatztauglichkeit auf die zwei deutschen Transall verzichtet hat, gleichzeitig ist die Lutwaffe wohl ganz froh, dass diese zwei Flieger nicht auch noch abgestellt werden müssen. In dieser schwierigen Lage behilft sich die Bundeswehr mit Leasing-Antonovs eines russisch-ukrainischen Unternehmens. Ob für die Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak oder die Bundeswehrmission in Zentralafrika, überall greift man auf teure Mietflugzeuge zurück. Und der Airbus-Konzern ist mit der Auslieferung des neuen Transportflugzeugs der Bundeswehr vier Jahre in Verzug. Ende November soll die erste von insgesamt 53 bestellten Maschinen endlich ausgeliefert werden – allerdings mit stark eingeschränkten Fähigkeiten. Für Verteidigungsministerin von der Leyen und ihre neue Rüstungsstaatssekretärin Suder bleibt also viel zu tun. Mit blumigen Worten vom angestrebten „professionellen Rüstungsmanagement“ und einer ins Auge gefassten Zusammenarbeit mit einer "Rüstungsindustrie 4.0" ist es nicht getan.

Die Bundeswehr ist - und bleibt wohl angesichts der Schuldenbremse - unterfinanziert, da kommt es leicht zwischen dem guten Willen, dem sehr schnellen Wort und erfolgreichem Handeln zu erheblichen Diskrepanzen. Die deutsche Gesellschaft muss sich entscheiden, in welcher Quantität und Qualität sie zukünftig Staatsbürger in Uniform haben will, die nötigenfalls für die Erhaltung unserer Werte, für Sicherheit und für unser Leben in Frieden und Freiheit, möglicherweise vermehrt im internationalen Rahmen eingesetzt werden sollen. Dementsprechend müssen mehr Haushaltsmittel bereitgestellt werden, insbesondere wenn Deutschland - wie angekündigt - mehr Verantwortung in der Sicherheitspolitik übernehmen will.

Bei der kommenden UN-Vollversammlung wird Deutschland von Außenminister Steinmeier vertreten sein. Er wird bei seiner Rede am Samstag wohl auch eine zukünftige Rolle Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ansprechen. Sollte Deutschland irgendwann in eine solche Verantwortung genommen werden, dann müssen wir auch die Handlungsfähigkeit der erforderlichen politischen Instrumente gewährleiten. Die Bundeswehr ist ein solches Instrument.

(24.09.2014)

 

 

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