Hans-Heinrich Dieter

Afghanische Augenhöhe   (20.11.2011)

 

Präsident Hamid Karsai hatte zur traditionellen Loja Dschirga geladen und rund 2000 Stammesälteste aus ganz Afghanistan strömten in die Hauptstadt Kabul. Es ging darum, wie es mit dem sogenannten "Friedensprozess" weitergehen soll und wie die Verhandlungen mit den USA für die Zeit nach 2014 zu führen seien.

Die Thematik ist hochaktuell wegen der bevorstehenden Konferenz "Petersberg II", Außenminister Westerwelle war spontan zur Teilnahme als Zuhörer der Großen Ratsversammlung eingeladen und diese Loja Dschirga findet trotzdem in den Medien kaum Beachtung. Online befassen sich nur wenige Medien wirklich mit dem Thema. Dabei ist die Konferenz in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Im Vorfeld hatte Karsai verkündet, mit den USA werde es Verhandlungen nur auf Augenhöhe geben. Zum Konferenzort über die Entfernung weniger Autominuten lässt sich Karsai aus Sicherheitsgründen mit dem Hubschrauber fliegen. Eine Tagesordnung war den meisten der angereisten Tagungsmitgliedern nicht bekannt. In der Eröffnungsansprache sagte Karsai zur Freude der Delegierten: "Amerika mag reich und mächtig und größer sein als wir, aber wir sind ein Löwe. Ein Löwe bleibt ein Löwe, auch wenn er alt und schwach werden mag. Amerika sollte uns in den Verhandlungen als Löwen betrachten." Die Delegierten haben in der Abschlusserklärung der Loja Dschirga 54 teilweise sehr weitgehende und auch stark einschränkende Bedingungen für einen Stationierungsvertrag mit den USA für die Zeit nach 2014 verabschiedet und sich dafür ausgesprochen, den bislang erfolglosen Friedensprozess mit den Taliban fortzusetzen.

Präsident Karsai sagte, er verstehe die Beschlüsse der Loja Dschirga nicht als Empfehlung, sondern als verbindlich für seine Regierung und er ging sogar noch weiter, indem er verkündete, er betrachte die Abschlusserklärung nicht als Vorschlag, sondern als Anweisung: "Wir stimmen in allen Punkten mit der Erklärung überein. Und verstehen sie als Direktive der afghanischen Bevölkerung an die afghanische Regierung."

Der interessierte westliche Beobachter kommt aus dem Staunen nicht heraus. Da will ein afghanischer Präsident, dem es trotz massiver Unterstützung bisher in zehn Jahren nicht gelungen ist, stabile Verwaltungsstrukturen zu schaffen, der einer teilweise korrupten Regierung vorsteht und der es nicht wagt, in der von afghanischen Sicherheitskräften zu kontrollierenden Hauptstadt Kabul mit dem Auto zu seiner Konferenz zu fahren, auf Augenhöhe mit den USA verhandeln. Karsai bezeichnet eines der am wenigsten entwickelten Länder der Erde, das noch Generationen brauchen wird, um so weit entwickelt zu sein, dass man es als "Entwicklungsland" bezeichnen kann, als "Löwe" und will so behandelt werden. Der afghanische Präsident erwirkt Erklärungen und Auflagen für einen Stationierungsvertrag während laufender Verhandlungen mit den USA, ohne dass die Delegierten den Sachstand der Verhandlungen und die Position der USA kennen. Karsai versteht die "Anweisung" der Loja Dschirga als verbindliche Direktive für seine Regierung, ohne die Entscheidungskompetenzen des afghanischen Parlamentes zu berücksichtigen. Die Rolle des afghanischen Parlamentes sieht Karsai offenbar ausschließlich im "Abnicken" der Ratsbeschlüsse. Soweit zum Erfolg der "Demokratisierung" dieses eher mittelalterlich strukturierten Landes.

Die Forderung der Ratsversammlung, die Friedensgespräche mit den "gemäßigten" Taliban fortzusetzen, ist verständlich, allerdings haben die Taliban Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung bisher verweigert. Sie verlangen einen bedingungslosen Abzug aller ausländischen Soldaten aus Afghanistan. Da macht die ins Auge gefasste Bindung Afghanistans an die USA bis 2024 und danach erfolgreiche Verhandlungen mit den Taliban eher unrealistisch. Gleichzeitig sollen die für die Bekämpfung der Taliban unverzichtbaren nächtlichen Operationen und Hausdurchsuchungen durch ausländische Truppen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung eines Abkommens mit den USA enden. Hier tut sich das Dilemma auf, dass die Taliban sich der Aussöhnung weiter verweigern und gleichzeitig nicht mehr wirkungsvoll bekämpft werden können. Die Rahmenbedingungen für eine ins Auge gefasste Unterstützung und Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft nach Abzug der Kampftruppen in 2014 werden dadurch immer schwieriger.

In den zehn Jahren des US-Engagements sind allein 57 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe nach Afghanistan geflossen, von den übrigen Kosten der USA und der internationalen Staatengemeinschaft ganz zu schweigen. Die inkompetente und bestechliche Regierung Karsai gleicht eher einem abgetretenen Bettvorleger im Löwenlook als dem König der Tiere und hätte allen Grund, etwas bescheidener aufzutreten.

Die Ergebnisse dieser Loja Dschirga lassen für "Petersberg II" wenig Gutes erwarten. Aber mehr als eine politische Inszenierung wird diese Konferenz unter der Leitung des großsprecherischen und zur Dampfplauderei neigenden afghanischen Präsidenten Hamid Karsai wohl ohnehin nicht.

(20.11.2011)

 

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